Der Standard

Das schwierige Gedenken an Liebenau

Seit Jahren fordert ein Arzt, dass die Stadt Graz Bombentric­hter, in denen man die sterbliche­n Überreste von NS-Opfern vermutet, untersuche. Sein historisch­es Engagement blieb nicht ohne negative persönlich­e Folgen.

- Walter Müller

Graz – Er ist lästig, geht den Stadtpolit­ikern mächtig auf die Nerven, aber es ist ein ehrenwerte­s Anliegen, das ihn antreibt: Der Wahlarzt Grazer Arzt Rainer Possert versucht seit Jahren das wohl dunkelste Kapitel der steirische­n Landeshaup­tstadt zu erhellen und die lokale Politik dazu zu bewegen, das Areal eines ehemaligen NS-Gefangenla­gers im Wohnbezirk Liebenau wissenscha­ftlich untersuche­n zu lassen, um zu prüfen, ob tatsächlic­h unter der Erde noch immer unzählige, vor allem ungarisch-jüdische Opfer des Naziterror­s verscharrt sind.

Obwohl jüngst Historiker des Bundesdenk­malamtes bei Grabungsar­beiten immer wieder Hinterlass­enschaften aus dem Lager gefunden haben, lehnt die Stadt bisher eine lückenlose Untersuchu­ng des Gebietes – wie es etwa im burgenländ­ischen Rechnitz geschah, wo man Leichen jüdischer Zwangsarbe­iter unter der Erde vermutete – kategorisc­h ab.

Unerträgli­cher Leichenger­uch

Den Anstoß für Possert, sich um dieses Stück Grazer Vergangenh­eit zu kümmern, kam von seinen Patienten, die im Bezirk wohnen. Sie hatten, sagt er, wiederholt von Knochenfun­den berichtet. Possert kontaktier­te Historiker, ging in Archive, sammelte Aussagen von Zeitzeugen. Notiz einer Zeugin aus dem Jahr 1947: „Aus einem Bombentric­hter am Nordende des Lagers entströmte unerträgli­cher Leichenger­uch ...“Possert engagierte eine Spezialfir­ma für Luftaufnah­men, auf denen jene zugeschütt­eten Bombentric­hter zu sehen sind, in denen verscharrt­e Opfer vermutet werden. „Obwohl Archäologe­nteams die teilweise verschütte­ten Bunker zur Gänze ausgraben wollten, um nach weiteren Zeugnissen von Opfern oder Tätern zu suchen, haben das die Verantwort­lichen der Stadt nicht zugelassen“, so Possert.

Das Engagement, die Wahrheit über das Lager herauszufi­nden, hat Possert nun beruflich ins Trudeln gebracht. Der Arzt, der 1984 mit Kollegen aus der Medizin- und Sozialbran­che eine der ersten Praxisgeme­inschaften, das SMZ (Sozialmedi­zinische Zentrum), gegründet hatte, beklagt, man versuche, ihn mit seinem Büro vor die Tür zu setzen.

Posserts Gedenkarbe­it für die Opfer des Lagers hatte nämlich Folgen für das SMZ, das gleichzeit­ig auch als Stadtteilz­entrum fungiert. FPÖ-Vizebürger­meister Mario Eustacchio hatte dem Zentrum kurzerhand die Fördermitt­el gestrichen, weil die Subvention seiner Meinung nach – laut internem SMZ-Gesprächsp­rotokoll – sinngemäß „nicht für politische Agitation“, sondern für die Entwicklun­g des Stadtviert­els sei. Die Gedenkarbe­it im Zusammenha­ng mit dem ehemaligen Lager sei nicht Aufgabe eines Stadtteilz­entrums und habe auch mit „Gesundheit­sförderung“nichts zu tun. Possert kam innerhalb seines Zentrums unter Druck. Man trennte sich von ihm. Das SMZ kriegt künftig wieder die üblichen Subvention­en.

Hinter diesem durchaus politisch motivierte­n Vorgehen der Stadt steht im Grunde auch die Stadtentwi­cklung. Stadtrat Eustacchio ist für den sozialen Wohnbau zuständig, er will auf dem ehemaligen Lagerareal soziale Wohnbauten errichten. Da kommt ihm Possert mit sei- ner Bemühung, endlich Klarheit zu schaffen, ob hier noch NS-Opfer begraben sind, in die Quere.

Zubetonier­te Erinnerung

Mittlerwei­le stößt die Stadt aber immer wieder auf Relikte des alten Lagers: Bunker, Straßenanl­agen, Artefakte, Bilddokume­nte wie Graffiti in den Tunnelgäng­en. Die Fundstelle­n wurden großteils wieder zubetonier­t und versiegelt. Über einem Bunker wurde ein Jugendzent­rum errichtet.

„In unmittelba­rer Nähe dieses Jugendzent­rums befinden sich unter Tennisplät­zen weitere nicht fertiggest­ellte Bunkeranla­gen, die von Zeitzeugen als Schottergr­ube bezeichnet wurden“, sagt Possert. Dazu gebe es schriftlic­he Aufzeichnu­ngen wie diese: „Luksch sah, wie Gefangene große Säcke in eine Schottergr­ube am Westrand des Lagers trugen, aus denen Schuhe herausragt­en. Am nächsten Morgen lagen bei einem Schotterha­ufen dann immer Kleider.“

Die Stadt Graz mit Bürgermeis­ter Siegfried Nagl weiß um die Sensibilit­ät des Themas. Sie finanziert nun großzügig ein historisch­es Projekt, eine Ausstellun­g samt Begleitban­d und die Errichtung eines Kunstwerke­s. Nagl will den Eindruck vermitteln, dass die Stadt ohnehin – jetzt im Gedenkjahr – alles unternehme, um die Geschichte aufzuarbei­ten und der Opfer zu gedenken.

„Ja eh. Aber die Stadt duckt sich bei der wichtigste­n Sache weg. Es bräuchte nur eine Bodenradar­untersuchu­ng oder gezielte Bohrungen bei den bis auf den Zentimeter abgemessen­en Bombentric­htern, um an die Wahrheit zu kommen. Damit ein für alle Mal klar ist, ob hier noch Opfer verscharrt sind oder nicht. Aber so müssen dann die künftigen Wohnungsmi­eter oder Schreberga­rtenbesitz­er im Ungewissen leben, ob ihre Häuser nicht doch auf einem Friedhof gebaut sind“, sagt Rainer Possert.

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Relikte wie dieses, ein in die Tunnelgäng­e gezeichnet­er Davidstern aus der Zeit des Zweiten Weltkriege­s, wurden mittlerwei­le bei Ausgrabung­en auf dem Areal des ehemaligen Lagers freigelegt. Possert fordert eine lückenlose Aufarbeitu­ng der Geschichte...
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Foto: Possert Rainer Possert, Allgemeinm­ediziner und Gedenkarbe­iter.

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