Abschalten – aufdrehen
Was die Gegenwart und Menschen sich gegenseitig zumuten, das passt in ein Programm – in jenes des Donaufestivals in Krems. Dieses widmet sich dem Thema „Endlose Gegenwart“.
Krems – Was wir Menschen als Gegenwart wahrnehmen, ist ein Zeitfenster von zwei bis drei Sekunden. Was nicht in diese Zeitspanne passt, verschiebt sich in die Vergangenheit, verbraucht Speicherplatz im Gehirn. In unserer Online-Existenz stopfen wir unsere Gegenwart aber mit Infos voll, als wäre sie ein Fass ohne Boden – ohne dass wir deshalb informiert wären. Diesen Zustand einer überstrapazierten Gegenwart greift das Thema des heurigen Donaufestivals auf: endlose Gegenwart. Was bedeutet das für unser Dasein? Vergessen wir die Vergangenheit, pfeifen wir auf die Zukunft?
Vom 27. April bis 6. Mai findet das Donaufestival an zwei Wochenenden in Krems statt. Schwerpunkte setzt es traditionell auf Musik und Performance, nun verstärkt auch auf eine theoretische Schiene sowie künstlerische Disziplinen, die das Thema streifen. Am Eröffnungstag bietet das von Thomas Edlinger gestaltete Programm mit Grouper einen Act, dem die Wellness-Industrie wohl den Begriff Entschleunigung verpassen würde. Grouper ist das künstlerische Outfit von Liz Harris. Am Tag ihres Auftritts im Klangraum Krems Minoritenkirche erscheint ihr elftes Album Grid of Points (27. 4.).
Schönheit aus der Einöde
Dafür hat sie sich in die Einöde von Wyoming verzogen, um dort an skelettierten Klavieretüden zu arbeiten. Groupers Musik besitzt etwas Spirituelles, etwas Verlorenes, schafft einen Zustand, in den Erste-Welt-Menschen nur noch verfallen, wenn sie sich am Laptop oder am Mobiltelefon vergessen. Die Schönheit von Groupers Musik verführt hingegen zum Abschalten – in jeder Hinsicht.
Aufdrehen tun hingegen Lightning Bolt. Die US-Band tritt ebenfalls am Eröffnungsabend auf. Sie setzt auf Reizüberflutung. Mittels wilden Schlagzeugs und durch Effektgeräte gejagter Bassgitarre berauscht sich das Duo an der Geschwindigkeit. Musik wie Stroboskoplicht, wie ein Acid-Trip gone shit (27. 4.).
Ähnlich, aber anders arbeiten Gravetemple. So nennt sich ein Projekt des Sunn-0)))-Chefs Stephen O’Malley, des Multiinstrumentalisten Oren Ambarchi und des ungarischen Black-Metal-Sängers Attila Csihar mit einschlägigem Portfolio. Ihre Kunst kommt durch den Magen in den Wirt, bewegt sich im Doom – steigt dort aber aufs Gaspedal (29. 4.).
Einen hedonistischeren Entwurf der Gegenwart bietet das Düsseldorfer Duo Mouse on Mars. Beim Donaufestival wird es erstmals sein neues Album Dimensional People Ensemble auf eine europäische Bühne bringen (5. 5.).
Montiertes Präsens
Aus der Vergangenheit montiert sich Nobody sein Präsens und seine Kunst. Nobody ist der Nom de Guerre von Willis Earl Beal. Der Mann aus Chicago baut aus Blues, Gospel oder Prison-Songs neuzeitliche Klagelieder. Die Frage nach der Erlösung bleibt dabei zwar unbeantwortet, aber live ist er eine Erscheinung (28. 4.).
Nicht unähnlich aber wieder anders ist die Musik von Big Brave. So nennt sich eine kanadische Formation, die sich in wüsten Lärm-Epen ergeht. Eine Mischung aus Glenn Branca und den Swans. (6. 5.) Traditioneller, aber nicht weniger grimmig wirkt die Kunst der Britin Scout Niblett. Sie seziert ihre Sujets mit Gitarre und Schlagzeug. Das zeitigt schmerzliche Erkenntnisse, einen Cocktail aus Zorn, Erniedrigung und Zynismus – gängigen Zutaten der modernen Parallelwelt im Netz mit Hang zum Überschwappen ins Real Life (6. 5.).
Talk, Talk
Die Musik und die Performance (siehe unten) des Donaufestivals begleiten eine Talk-Schiene. In dieser begrüßt das Festival etwa Simon Reynolds. Der Musikjournalist und Autor von Büchern wie Rit It Up And Start Again oder Retromania wird sich mit dem Kulturjournalisten Jens Balzer über Geschwindigkeit, Remixing oder die Detailarbeit des Editing unterhalten (28. 4.).
Wie immer bietet das Festival einen Shuttleservice, alle Programmdetails und Tickets gibt es auf seiner Website. pwww. donaufestival.at