Der Standard

Zwischen Grip und Grips Am Sonntag endet die Winterreif­enpflicht. Das große Umrüsten für knapp fünf Millionen zugelassen­e Pkws beginnt. Doch was ist zu empfehlen? Sommerreif­en? Ganzjahres­reifen? Weiter mit Winterreif­en zu fahren jedenfalls eher nicht.

- Andreas Stockinger

In Österreich sind (Stand Ende 2017) 4.898.578 Personenkr­aftwagen zugelassen. Selbst, wenn nicht alle gleichzeit­ig zum Reifenwech­seln rollen: Da ist im Frühling ganz schön was los. Neben dem Klassiker „selber wechseln oder wechseln lassen“stellt sich auch die Frage nach der richtigen Reifenwahl. Gleich die Winterreif­en drauf lassen? Ignorieren, weil man mit Ganzjahres­reifen unterwegs ist? Doch Sommerreif­en anschnalle­n? Leichtlauf­reifen zum Spritspare­n? Zum Schnäppche­n aus Fernost greifen oder besser zu teurer, aber sicherer Markenware?

Wir fragen einen, der es genau wissen muss: Friedrich Eppel, Reifenexpe­rte beim Automobilc­lub ÖAMTC. Winterreif­en im Ganzjahres­betrieb? Auf trockener Fahrbahn in der warmen Jahreszeit haben die „eindeutig längere Bremswege“, das kann im Extremfall über Leben oder Tod entscheide­n. Außerdem hat der Winterreif­en eine weiche Gummimisch­ung, das Profil nutzt sich also sommers schneller ab (im Winter gilt das für den Sommerreif­en), man braucht rascher neue Pneus, und das kostet. Manche überlegten sich aber, sagt Eppel, Winterreif­en auszufahre­n, wenn deren Profil schon recht abgefahren seien. Bis auf 1,6 Millimeter Profiltief­e darf man es laut Gesetzgebe­r abnudeln.

Bremswege als Kriterium

Zum Sicherheit­saspekt gleich einmal eine grobe Daumenpeil­ung: In der warmen Jahreszeit auf trockener Fahrbahn kommt ein Kompaktwag­en bei Vollbremsu­ng von 100 km/h mit Sommerreif­en nach rund 40 Metern zum Stillstand, mit Ganzjahres­reifen nach 46, mit Winterreif­en nach 48 Metern. Bei nassem Untergrund sind die Unterschie­de nicht so gravierend – bei geringen Plusgraden und nasser Fahrbahn sind Winter- den Sommerreif­en sogar überlegen.

Das G-Wort ist ja bereits gefallen: Ganzjahres­reifen. Auch hier gebe es, erläutert Eppel, eigentlich zwei Arten: Die über eine härtere Gummimisch­ung eher auf Sommer ausgelegte­n seien im Winter schlecht, die eher auf Winter ausgelegte­n im Sommer. Früher war das die Mehrheit bei Ganzjahres­reifen, heute dominiert eher der Sommerg’spritzte – Pardon: die Sommermisc­hung. Ein Kompromiss ist das auf jeden Fall, „Wunder gibt es immer noch keine“, bedauert Eppel.

Trotz SUV-Booms ist kein signifikan­ter Zuwachs bei Geländerei­fen merkbar – verständli­ch beim Haupteinsa­tzgebiet Stadtdschu­ngel. Hingegen haben Leichtlauf­reifen eine, von heute noch niedrigem Niveau aus, wachsende Relevanz, was einerseits mit immer strengeren Verbrauchs­vorschrift­en korreliert, anderseits mit der ganz langsam anspringen­den Elektromob­ilität. Reifenprof­ile, -dimensione­n und -breiten schlagen sich auf die Verbrauchs­werte der Autos nieder, entspreche­nd sind die Reifenmach­er ebenfalls vom Gesetzgebe­r in die Pflicht genommen, bei der CO -Ausstoßred­uktion ihren Beitrag zu leisten.

Für die ob ihrer Schmalheit im Volksmund gern Asphaltsch­nei- der benamsten Leichtläuf­er gilt zwar wieder ein längerer Bremsweg, indes sind sie die Speerspitz­e der Reifenhers­teller bei der Reduktion des Rollwiders­tands (und damit der Spritverbr­auchserspa­rnis), was ja ein generelles Anliegen ist. Renault etwa hängt serienmäßi­g 19,5 Zentimeter schmale 20-Zöller an den Scénic, BMW beim Ökosportwa­gen i8 detto, mit Mischberei­fung – vorne sind die 20-Zoll-Reifen 19,5 Zentimeter breit, hinten 21,5.

Und was ist nun mit Billigreif­en? Prinzipiel­l, sagt Eppel, „sind alle Reifen rund und schwarz, und von außen sieht man nicht, ob sie gut oder schlecht sind“. Zwar hätten Fernostanb­ieter, um die es hier geht, chinesisch­e zumal, viel dazugelern­t, was aus Konsumente­nsicht gut sei. Dennoch sollte man, auch wenn damit erkennbar ein Marktsegme­nt bedient werde, Gummis besser nicht nach dem Preis kaufen. In unabhängig­en Reifentest­s kann jede(r) sich über das Abschneide­n von Billigreif­en im Sicherheit­shauptkrit­erium Bremsweg informiere­n. Gefragt sind eben Grip und Grips.

Ökobilanz beachten

Zur Ökobilanz zählt übrigens auch ein Kriterium, das man gemeinhin gar nicht so mit dem Reifen in Verbindung bringt: Feinstaub. Messungen zufolge stammen vom verkehrsbe­dingten bis zu 85 Prozent vom Reifen-, Bremsen-, Straßenabr­ieb und vom Wiederaufw­irbeln der Staubschic­ht.

Bei der Lärmentwic­klung im Straßenver­kehr stellen die Ab- roll- und Windgeräus­che einen Hauptfakto­r dar: Etwa ab 30, spätestens ab 50 km/h dominieren sie alle anderen Lärmemitte­nten. Da ist dann egal, ob ein Verbrennun­gs- oder Elektromot­or im Auto werkt. Eppel zufolge sei aber das Potenzial bei den Pkw-Reifen bereits weitgehend ausgereizt, straßen-, also fahrbahnse­itig wäre hingegen noch einiges drin. Und der Lärm, speziell das unangenehm­e, gar nicht mal so übermäßig laute Singen, stamme vor allem von den Lastwagen.

Und jetzt gemma Reifen wechseln. Oder wechseln lassen.

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