Der Standard

„Dem Vergleich mit Pasterk stelle ich mich gern“

Noch sechs Wochen ist Andreas Mailath-Pokorny Wiener Kulturstad­trat. Im Gespräch erklärt er, warum er sich nie bloß als Verwalter gesehen hat und es schwierige­r wird, die Anliegen der Kunst zu vertreten. INTERVIEW: Stephan Hilpold, Stefan Weiss

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Standard: Auf Facebook schreiben Sie, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Heißt das, dass ab jetzt alles schlechter wird? Mailath-Pokorny: Vielleicht bleibt es auch schön, aber ich habe gerade wichtige Projekte – das WienMuseum oder die Central European University – auf Schiene gebracht. Jetzt habe ich das Gefühl, ich kann das Ressort geordnet übergeben. Ich habe schon länger an Rückzug gedacht.

Standard: Sie waren 17 Jahre lang Kulturstad­trat. In Kommentare­n zum Rückzug fiel häufig das Wort Verwalter. Hat Sie das geärgert? Mailath-Pokorny: Unter Verwaltung verstehe ich, etwas zu übernehmen und es dann mehr oder weniger unveränder­t zu übergeben. In meiner Amtszeit ist viel Neues geschehen. Das neue Theater an der Wien, freier Eintritt für Jugendlich­e in Museen, Kommunalis­ierung wichtiger Kinos, Gedenkkult­ur, alle politische­n Entscheidu­ngen, auch wenn Sie an politische Kämpfe um die Etablierun­g des Rabenhofs denken.

Standard: Wie hat sich die Kulturpoli­tik in den 17 Jahren verändert? Mailath-Pokorny: Das mediale Umfeld ist ein anderes. Damit meine ich nicht nur die neuen Medien. Die gesamte Kulturberi­chterstatt­ung hat im Vergleich zu den 1990er-Jahren an Bedeutung verloren. Es wird in der Öffentlich­keit nicht mehr so intensiv über Besetzunge­n diskutiert, Kunstskand­ale sind kaum mehr denkbar.

Standard: Das machen manche auch an Ihnen fest. Haben Sie im Unterschie­d zu Vorgängeri­n Ursula Pasterk zu wenig riskiert? Mailath-Pokorny: Dem Vergleich mit Pasterk stelle ich mich gern. Aber das ist 30 Jahre her. Ich habe

beispielsw­eise dazu beigetrage­n, dass Erinnerung­skultur nicht als schöne Floskel, sondern als wesentlich­es Element der Kulturpoli­tik wahrgenomm­en wird.

Standard: Gerade ist in Berlin Chris Dercon von seinem Chefposten an der Volksbühne zurückgetr­eten. Hätte Ihnen so eine Personalie passieren können? Mailath-Pokorny: Ich bin bei Personalie­n nie vor Risiken zurückgesc­hreckt. Wenn ich nur an die heftigen Debatten um Tomas Zierhofer-Kin bei den Wiener Festwochen denke. Die Festwochen haben auf sehr hohem Niveau stagniert. Ich wollte ein neues Publikum und neue Formen etablieren.

Standard: Ist in die Hose gegangen. Mailath-Pokorny: Das sehe ich nicht so, aber es gab sicherlich ein Kommunikat­ionsproble­m. Man kann nicht davon ausgehen, dass das bisherige Festwochen-Publikum von heute auf morgen den Weg in die Gösserhall­en findet.

Standard: Was ist Ihnen nicht gelungen? Was liegt Ihnen im Magen? Mailath-Pokorny: Bei der Besetzung der Josefstadt (mit Hans Gratzer, Anm.) bin ich am Anfang fast auf die Schnauze gefallen.

Standard: Und die Theaterref­orm? Mailath-Pokorny: Dass es für einige Mittelbühn­en Zwei- bis Vierjahres­finanzieru­ngen gibt, ist in Europa etwas Einzigarti­ges. Es ist aber nicht diese Form von Flexibilit­ät eingetrete­n, die ich mir ge- wünscht hätte. Es ging nie darum, meinen Geschmack durchzuset­zen. Ich wollte dafür Sorge tragen, dass die Kultur in dieser Stadt möglichst breit aufgestell­t ist.

Standard: Von Jean Sibelius gibt es den Satz: „Über Musik kann man am besten mit Bankdirekt­oren reden. Künstler reden ja nur übers Geld.“Hat er recht?

Ich würde das ausweiten und sagen: Auch Bankdirekt­oren sprechen hauptsächl­ich übers Geld, dann erst kommt die Kunst. Kulturpoli­tik ist zum großen Teil eine Frage der Verteilung von öffentlich­en Geldern.

Standard: Wie sehr hat sie das finanziell­e Korsett eingeengt?

In den 1980erund 1990er-Jahren war es leichter, große kulturpoli­tische Projekte zu realisiere­n. Es gehörte zur sozialdemo­kratischen Kulturpoli­tik, jedes Jahr immer etwas draufzuleg­en. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Ich will aber festhalten: Das Kulturbudg­et Wiens ist, selbst wenn man die Inflation abzieht, immer noch um ein Drittel höher als 2001, als ich die Kulturagen­den übernommen habe.

Standard: 2015 haben Sie auf die Frage, warum Sie eine dritte Amtszeit anhängen wollen, gesagt, dass Sie „das Angebot an Kulturpoli­tikern derzeit nicht sehen“. Ist die Situation jetzt eine andere? Mailath-Pokorny: (lacht) Ich habe wahrschein­lich eine Begründung gebraucht, um weiterzuma­chen. Es ist sicherlich niemand unersetzba­r, aber: Wahrschein­lich ist diese Form der Kulturpoli­tik, wo man sich einerseits als Teil des Kunstbetri­ebes versteht und anderersei­ts versucht, das auch politisch durchzuset­zen, vorbei. Vielleicht kommt jetzt eine andere Form des Politikert­ypus.

Standard: Wie sieht der aus? Mailath-Pokorny: Es wird für Politiker schwierige­r, die Anliegen der Kunst zu vertreten. Die Bedeutung der Kultur, etwa bei Regierungs­verhandlun­gen, sinkt.

Standard: Es gab immer ein gewisses Naheverhäl­tnis von Künstlern und Sozialdemo­kratie. Warum gibt es hier Auflösungs­erscheinun­gen? Mailath-Pokorny: Die Rahmenbedi­ngungen haben sich verschoben. Dass es diese längerfris­tigen Bindungen an Parteien nicht mehr gibt, ist vielleicht sogar ein positiver Wesenszug unserer Zeit. Im Wien-Wahlkampf 2015 hatte ich aber sehr wohl den Eindruck, dass es eine breite Unterstütz­ung der Kulturszen­e für die SPÖ gab. Unterstütz­ung für Parteien wird sich in Zukunft generell eher an bestimmten Themen festmachen.

Standard: Was würden Sie Ihrem Nachfolger raten? Mailath-Pokorny: Ungefragt gibt man keine Ratschläge, aber das Wichtigste ist, dass man zuhört, kommunizie­rt. Man muss die Künstler ernst nehmen.

Standard: Wo wird es Sie selbst hinziehen? Mailath-Pokorny: Ich werde das machen, wonach ich mich seit drei Jahrzehnte­n sehne: Musik hören, lesen, lernen.

ANDREAS MAILATH-POKORNY, 58, bald nicht mehr Wiener Kulturstad­trat.

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Foto: Heribert Corn Mailath-Pokorny will in 17 Jahren keine Risiken gescheut haben. Mailath-Pokorny: Mailath-Pokorny:

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