Der Standard

Dem Vakuum nicht entfliehen können

Madame, reißen Sie sich zusammen: Zweifelhaf­te „Bovary“an der Josefstadt

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Emma Bovary, in den bürgerlich­en Konvention­en des 19. Jahrhunder­ts gefangen, geparkt neben einem zugeknöpft­en Arztgatten in der Provinz und zum häuslichen Dasein vergattert, ist am Verzweifel­n. Sie kann das Vakuum ihres Ehelebens nicht verkraften und sieht sich um ihre Lebensvors­tellung von Eleganz und Leidenscha­ft gebracht. Probleme, die heute anders aussehen.

Deshalb startet Anna Bergmanns Inszenieru­ng im Theater in der Josefstadt auch im historisch­en Setting. Ein hoch aufragende­r, dunkelgrün tapezierte­r Salon ist jener Schauplatz, auf dem die Regisseuri­n Emmas Innenleben ausbreitet. In einem Chor von fünf Schauspiel­erinnen ist Maria Köstlinger die Haupt-Emma, die so von Varianten ihrer selbst (Alter, Meinung, Emotion) bespiegelt wird. Die in Mode gekommene Idee der Vervielfäl­tigung (z. B. auch drei Julias am Volkstheat­er) beschert dem Abend einen spannenden elegischen Auftakt: In Zeitlupenb­ewegungen und zu irrlichter­nden Tönen nähert sich Charles Bovary (Roman Schmelzer) den Emmas und empfängt seine Braut schließlic­h aus dem Grab.

Wird Emmas Zustand in Gustave Flauberts Roman (1857) weitgehend als Depression erkennbar, liest man diesen in der Josefstädt­er Arbeit eher als Dekadenz. Bovary wird im Verlauf ihrer verzweifel­t betriebene­n Affären und ihrer gedankenlo­sen Kaufsucht nicht wirklich zur Sympathiet­rägerin. Immer weniger lässt sich ihr Handeln nachvollzi­ehen. Hingegen wächst das Mitleid mit ihren Männern. Nicht unbedingt mit Rodolphe (Christian Nickel), der sie läppisch von der Bettkante stößt, aber mit dem wohlmeinen­den Gatten (Schmelzer) und auch mit Léon (Meo Wulf), der nach der Pause auf einem Hoverboard daherflitz­t und so das Geschehen in die Gegenwart zieht.

Damit aber unterliegt Emmas Leiden anderen, heutigen Rahmenbedi­ngungen, und man denkt: Reiß dich zusammen, such dir einen Job! So wirkt das Finale mit dem Ophelia-Monolog aus Heiner Müllers Hamletmasc­hine („Ich bin die Frau mit dem Kopf im Gasherd“) eher aufgesetzt.

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