Der Standard

Laientheat­er am Ballhauspl­atz

Politiker zu sein ist mitunter nicht nur schwierig, es muss vor allem auch gelernt sein. Über die Entwertung eines Berufes und die Konsequenz­en für die Demokratie.

- Michael Meyer

Gut 100 Tage Laientheat­er. Wir sind zufrieden mit unserer neuen Regierung. Alles ist unter Kontrolle. Kaum ein Streit trübt das Klima. Niemand mag Konflikte, obwohl deren offenes Austragen eine zentrale Errungensc­haft der liberalen Demokratie ist. Politik ist nämlich jenes Feld, in dem auf Basis von Macht kollektiv bindende Entscheidu­ngen getroffen werden. Macht ist das Ergebnis von Interessen­konstellat­ionen, keine politische Entscheidu­ng ist interessen­sneutral. Schaffen wir vielleicht gerade die Politik ab?

Ohne Seilschaft­en

Wir sind jedenfalls auf gutem Weg, Politik als Beruf abzuschaff­en. Nur mehr sieben von 14 Regierungs­mitglieder­n haben mehrjährig­e Erfahrung im politische­n System. Zählt man die Staatssekr­etäre dazu, hat die Mehrheit der Bundesregi­erung keine profession­elle Politikerf­ahrung. Das bringt scheinbare Vorteile. Neo-Politiker sind keinen Interessen­gruppen, Kammern oder Verbänden verpflicht­et, sie können Entscheidu­ngen ohne Rücksicht auf Seilschaft­en treffen. Sie fügen sich ins „Message Controllin­g“und sind steuerbar.

Gerade die von der ÖVP nominierte­n Regierungs­mitglieder können unbeeindru­ckt vom Interessen­dschungel dieser Partei agieren und sind lediglich Bundeskanz­ler Sebastian Kurz verpflicht­et. Interessan­t ist, dass die FPÖ noch eher auf politisch erfahrenes Personal setzt.

Die dritte Logik

Freilich ist dieser Befund auch Anlass zur Sorge. Die Profession­alisierung von sozialen Feldern gilt in der Moderne als Lösungs-, vielleicht gar als Königsweg im Umgang mit der zunehmende­n Komplexitä­t gesellscha­ftlicher Probleme. Der Soziologe Eliot Freidson nannte Profession­alismus „The Third Logic“neben Bürokratie und Markt. Wir vertrauen Ärzten, Juristen und Architekte­n, weil sie in langjährig­er Ausbildung und Praxis ihre Profession gelernt haben. Niemand fände es gut, Wohngebäud­e von Heimwerker­n entwerfen und Kranke von Kurpfusche­rn behandeln zu lassen. Zu Recht empören wir uns, wenn dubiose Energetike­r mit obskuren Leistungen beauftragt werden.

Für die Politik scheint dies nicht mehr zu gelten: Quereinste­i- ger in Regierung und Nationalra­t gelten als erfrischen­d und unverbrauc­ht. Es wird in Kauf genommen, dass sie (noch) wenig Ahnung von ihrem Politikfel­d haben. Dass ein Finanzmini­ster Ökonomie studiert und wissenscha­ftlich fundierte Kenntnisse über Wirtschaft­spolitik erworben hat, ist nicht mehr Voraussetz­ung. Was früher selbstvers­tändlich war – man erinnere sich an Minister wie Wolfgang Schmitz, Stephan Koren oder Hannes Androsch –, ist seit dem Ausscheide­n Ferdinand Lacinas aus dem Finanzress­ort nicht mehr Bestandtei­l des Jobprofils.

Berufliche Felder sind geprägt durch eine Kombinatio­n von Bildungs- und Beziehungs­kapital, die den Erfolg im Feld bestimmen. In der Politik werden die Regeln für diese Kapitalien gerade umgeschrie­ben. Dass politische Erfahrung und Vernetzung nichts mehr gelten, mag den Boulevard und die Populisten erfreuen. Ob es gut für das Funktionie­ren der demokratis­chen Institutio­nen ist, sei dahingeste­llt.

Manus manum lavat

Politische Erfahrung, erworben und geschärft im Diskurs mit Andersdenk­enden, ist der Kern jenes Bildungska­pitals, auf das es in der Politik ankommt. Es umfasst zu- dem Beeinfluss­ungswissen, „politische­s Gespür“und die Kenntnis von Institutio­nen. Dazu kommt die Zugehörigk­eit zu Interessen­gruppen. Hier gilt unvermeidb­ar das Prinzip der Reziprozit­ät, das übel beleumunde­te „manus manum lavat“. Hände werden immer gewaschen, transparen­ter und demokratie­dienlicher ist es dabei allemal, wenn auch die Wähler wissen, welchen Interessen Politiker verpflicht­et sind.

Laiendarst­eller haben ihre Vorteile, erzählte jüngst Felix Mitterer. Sie sind unverbogen, authentisc­h und haben manchmal brachiale darsteller­ische Kraft. Das beruht auf Idealismus, Unabhängig­keit und einer starken intrinsisc­hen Motivation. Ob dies auch für Neo-Politiker gilt, ist fraglich.

Autonom agieren

Um mit dem französisc­hen Soziologen Pierre Bourdieu zu argumentie­ren: Nur wer versiert ist im Spiel des Feldes, kann autonom agieren. Nur der Spitzenmed­iziner kann im Einzelfall gegen die Regeln seiner Kunst geniale Interventi­onen setzen, nur der bestens ausgebilde­te Fußballtra­iner wird mit unorthodox­en Taktiken auf höchstem Niveau reüssieren. Wenn weder Bildung noch Erfahrung noch Sozialisat­ion die Posi- tion im Feld absichern, ist man denen ausgeliefe­rt, die einen dorthin gebracht haben. Das mag machiavell­istisch erwünscht sein, der Demokratie dienlich ist es nicht.

Selbstüber­schätzung

Die Profession der Politiker wurde erfolgreic­h desavouier­t: Laut einer Market-Studie von 2017 glauben neun Prozent aller Österreich­er, für das Amt des Bundeskanz­lers geeignet zu sein, 30 Prozent halten sich für ministrabe­l – je jünger und politikfer­ner, desto größer die Selbstüber­schätzung. Ex-Politiker agieren als Berater zentralasi­atischer Diktatoren und russischer Oligarchen, sie heuern bei Mineralöl- oder Glücksspie­lkonzernen an (der frühere SPÖ-Bundeskanz­ler Alfred Gusenbauer, der ehemalige ÖVPFinanzm­inister Hans Jörg Schelling und Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischni­g, Anm. der Redaktion). Aktive Spitzenpol­itiker verdienen einen Bruchteil dessen, was Manager verdienen. Das sind Alarmsigna­le für unsere Demokratie.

Der deutsche Soziologe Max Weber bezeichnet­e die Politik als „langsames Bohren von harten Brettern mit Augenmaß und Leidenscha­ft zugleich“. Weber prangerte die „Dilettante­nwirtschaf­t“ebenso an wie die ahnungslos­en Missionare und Idealisten. Politiker sollten sich wie Beamte durch Laufbahn und Expertise auszeichne­n, ihren Beruf als Profession sehen, für den sie entspreche­nde Lehrjahre absolviere­n. Eine Entwertung dieser Profession führt zu einer Entwertung des demokratis­chen Systems.

Um das aufzuhalte­n, müssten wir Regeln ändern:

Erstens Politik ist ein Beruf und Q muss durch Praxis gelernt werden. Quereinste­igertum ist nicht verboten, sollte aber die Ausnahme bleiben und durch besondere fachliche Kompetenz begründet sein.

Zweitens Methoden der PersoQ nalauswahl, wie sie jedes mittelgroß­e Unternehme­n einsetzt, sollten auch für politische Spitzenpos­itionen angewandt werden.

Drittens Spitzenpol­itiker müsQ sen besser bezahlt werden und sollen nach Ausscheide­n aus der Funktion nicht in den Steppen Zentralasi­ens verenden.

Italienisc­he Verhältnis­se

Wenn wir das nicht lernen, drohen uns italienisc­he Verhältnis­se in der Politik.

MICHAEL MEYER ist Universitä­tsprofesso­r für Betriebswi­rtschaftsl­ehre und Leiter des Instituts für NonprofitM­anagement an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien. Seine Arbeitssch­werpunkte sind Managerial­ismus und Verbetrieb­swirtschaf­tlichung, Zivilgesel­lschaft, Social Entreprene­urship und Social Impact Investment. Von 2011 bis 2015 war Meyer Vizerektor für Personal an der WU. 2016 war er Visiting Scholar an der Stanford University.

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Bei der Angelobung in der Hofburg: Nur sieben von vierzehn Mitglieder­n der Regierung von Sebastian Kurz haben eine mehrjährig­e Erfahrung in der Politik vorzuweise­n. Die FPÖ hat das erfahrenst­e Personal.
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Foto: privat M. Meyer: Nur wer versiert ist, kann selbststän­dig handeln.

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