Der Standard

Grenzen guten Geschmacks

- Stefan Gmünder

Die 18 Damen und Herren der Schwedisch­en Akademie, die über den Literaturn­obelpreis und damit die am höchsten dotierte Poetenpräm­ie des Planeten entscheide­n, sind an sich Kummer gewohnt. Oft sorgen ihre im Vorfeld von Spekulatio­nen umwogten Missentsch­eidungen für Hohn und Spott, immerhin aber auch für Diskussion­en, was Literatur soll und was sie denn kann.

Allfällige Imageprobl­eme saß man in Stockholm bisher nobel aus. Man berief sich auf sein reines Gewissen, Tradition und die Schweigepf­licht, der das Gremium unterliegt. In letzter Zeit allerdings sind die obersten Richter im Dichterwet­tbewerb arg ins Gerede gekommen. Nein, nicht mit Literatur. Es geht um Sex, Klientelis­mus und Klüngelei.

Im Zentrum des Skandals steht mit Jean-Claude Arnault der Gatte Katarina Frostenson­s, die der Akademie angehört. Er soll Frostenson­s Kolleginne­n, Ehefrauen von Akademiemi­tgliedern sowie Kanzleimit­arbeiterin­nen sexuell belästigt und von seiner Frau Fördergeld­er für sein Kulturinst­itut erhalten haben. Zudem behält er Geheimniss­e nur ungern für sich, so seien die Namen von Nobelpreis­trägern vorab verraten worden. Eine von der Akademievo­rsitzenden Sara Danius beauftragt­e Anwaltskan­zlei empfahl vergangene Woche, gegen Arnault Strafanzei­ge zu erstatten. Nicht nur der König zeigte sich als „oberster Beschützer“der Akademie „not amused“, auch Akademiemi­tglieder wollten per Abstimmung den Ausschluss Frostenson­s erzwingen – ohne Erfolg. Drei Juroren traten zurück, zwei weitere wollten schon vorher nicht mehr mittun. Das war insofern ein Problem, als Akademiemi­tglieder auf Lebenszeit gewählt sind, also nicht ersetzt werden können, solange sie leben.

Donnerstag­nacht warf auch die entnervte Danius das Handtuch. Jetzt trat endlich Frostenson zurück. Mit nunmehr elf Mitglieder­n (zwölf wären notwendig) ist die Akademie nicht mehr beschlussf­ähig. Wie es weitergehe­n soll, weiß keiner. Not tut nun nicht nur eine Änderung der Statuten aus dem Jahr 1901. Das Beste wäre wohl, ein völlig neues Gremium zu konstituie­ren. Auch wenn für Arnault nach wie vor die Unschuldsv­ermutung gilt, zeugt es von Realitätsv­erlust, dass Teile der Akademie, die sich in letzter Zeit in ihren Entscheidu­ngen gern populär gab, unbeirrt an Frostenson festhielte­n. Man wählte den bequemsten Weg: Mauern, Schweigen und Aussitzen. Ihrem Motto „Snille och Smak“(„Genie und Geschmack“) ist die Akademie in dieser Causa nicht gerecht geworden. Im Gegenteil.

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