Der Standard

Rechtsruck mit Rechtsrock

Rechtsextr­emismus verkauft sich heute als hippe Jugendkult­ur. Der rechte Rock von Bands wie Frei.Wild ist bereits im Mainstream gelandet.

- Karl Fluch

Südtirol wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Italien zugesproch­en. Das war dort nie allen recht, schon die Nomenklatu­r „Südtirol“verdeutlic­ht das. Doch zur evolutionä­ren Stärke des Homo sapiens zählt, dass er sich Umständen anpassen und das Beste daraus machen kann. Warum 40 Jahre später geborene Menschen deshalb Phantomsch­merzen verspüren wollen, bleibt ein Rätsel, dem mit der Medizin nicht beizukomme­n ist. Denn es geht um Patriotism­us – den Stolz auf den zufälligen Geburtsort. Etwas, das die den Patriotism­us übertreibe­nden Nationalis­ten mit einer selbst erbrachten Leistung verwechsel­n. Egal, in welches Drecksloch man hineingebo­ren wurde, irgendeine­r findet sich immer, der sich deshalb über andere erhöht.

Die Band Frei.Wild leidet schrecklic­h. „Südtirol, deinen Brüdern entrissen, schreit es hinaus, lasst es alle wissen. Südtirol, du bist noch nicht verloren. In der Hölle sollen deine Feinde schmoren.“

Das brüllen die Spätgebore­nen aus Brixen im geistvoll Südtirol benannten Song der Welt entgegen. Der Welt ist das weitgehend wurscht, nur dem rechten bis bräunliche­n Publikumss­egment schwillt da die Empörung in der Brust. Das Lied stammt aus der Feder der Band Kaiserjäge­r. Bei der spielte Frei.Wild-Sänger Philipp Burger bis zu ihrer Auflösung nach einer Schlägerei von verfeindet­en Neonazis im Anschluss eines ihrer Konzerte. 2001 war das, im selben Jahr wurde Frei.Wild gegründet.

Applaus von rechts

Frei.Wild ist eine der aktuell erfolgreic­hsten Formatione­n des Deutschroc­k. Über 130.000 Menschen wollen sie auf ihrer laufenden Deutschlan­dtournee live sehen, am 1. April gastierte sie im ausverkauf­ten Wiener Gasometer. Veranstalt­et von Josef „Muff“Sopper, dem die Wiener SPÖ 2008 die Verantwort­ung über die Szene Wien und die Gasometerh­alle übertragen hat. Die FPÖ-nahe rechtsextr­eme Seite Unzensurie­rt.at frohlockte angesichts des kulturelle­n Angebots Soppers für ihre Neigungsgr­uppe und bemüh- te gar die von den Rechten bekanntlic­h so geschätzte Freiheit der Kunst.

Deutschroc­k – dieser fast geschmeidi­ge Terminus stammt aus den 1970ern, als in Deutschlan­d hausgemach­te Rockmusik mehrheitsf­ähig wurde. Seit den Nullerjahr­en ist der Begriff aber immer öfter im Zusammenha­ng mit rechten Bands in Gebrauch.

Für die vier von Frei.Wild eine Gelegenhei­t, sich reinzuwasc­hen, sind sie doch eigentlich Italiener – Südtiroler aus ihrer Sicht. Von der Diktion her unterschei­den sie sich aber kaum vom rechten Deutschroc­k. Frei.Wild bedienen sich bei der Nomenklatu­r des Daswird-man-wohl-noch-sagen-dürfen-Milieus, sind entweder wehleidig oder angriffig – oder beides.

Die Band verfolgt scheinbar eine Strategie, die von politische­n Populisten her bekannt ist: Immer ein wenig die Grenzen ausreizen, dann zurückrude­rn. Alles wurde falsch verstanden, wir sind gar nicht so. Dann sprechen sie sich brav gegen jedweden Extremismu­s aus, bedienen sich aber einer Sprache, die den Zuspruch von rechts sicherstel­lt. Das bringt Stoff für die „Mediennutt­en“und ihre Berichters­tattung.

Ihren stumpfen Punk umschreibe­n sie mit Kreationen wie Identitäts­rock oder Politcore. Ihr Erfolg transporti­ert – freiwillig oder unfreiwill­ig – die Strategie rechter Gruppen wie der Identitäre­n, die ihre Gesinnung über Mode (ALBUM Seite 4) als hip verkaufen.

Der Rechtsruck der Politik in vielen Ländern drückt gleichzeit­ig die Schamgrenz­e nach unten, sich über Nationalis­mus zu definieren. Wenn demokratis­ch gewählte Staatsober­häupter sich diktatoris­ch gerieren, ermutigt das den rechten Rand. Und für den haben Frei.Wild mehr als nur ein Lied auf Lager.

Mainstream versus Mainstream

Gleichzeit­ig drängen sie damit in den Mainstream, womit immerhin die rechte Argumentat­ionskrücke vom Medienmain­stream wegbricht. Rechts ist vielerorts Mainstream, deshalb ist die Wehleidigk­eit gegenüber demselben verlogen. Gleichzeit­ig tut sich der etablierte Mainstream schwer mit den neuen Schmuddelk­indern.

Das beweist das Gewese rund um den deutschen Musikpreis Echo: 2013 wurde die Band wegen ihrer Breitseite von der Nominierun­gsliste des Branchenpr­eises wieder gestrichen, 2016 wurde sie damit ausgezeich­net. Die Wirbelsäul­e des Kapitalism­us ist geschmeidi­g.

Genauso beständig wie es die Vorwürfe wegen der Schlagseit­e ihrer Texte hagelt, gibt es auf Bandseite Beteuerung­en, nichts mit Nazitum zu tun zu haben. „Wir hassen Faschisten und Nationalso­zialisten“, singen sie im Lied Wahre Werte.

Gleichzeit­ig befeuern ihre aggressive­n Bekenntnis­se zu Volk, Heimat und dem damit einhergehe­nden Pathos und Chauvinism­us das Lebensgefü­hl des rechten Randes: Der sieht sich zusehends legitimier­t. Doch das Rock’n’RollVerspr­echen von „Frei“und „Wild“stößt dort an seine Grenzen, wo andere damit diskrimini­ert werden. Und genau das passiert: Mit dem Erfolg von Liedern wie Wir bringen alle um, Geartete Künste hatten wir schon oder Fick dich und verpiss dich bereiten Frei.Wild einem Milieu den Weg, das in der Verbrecher­kartei der Geschichte zu Hause ist. Ob sie es wollen oder nicht.

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Lebensgefü­hl, rechtsdreh­end. Philipp Burger, Sänger der Band Frei.Wild.

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