Der Standard

„Untere Einkommens­gruppen werden verdrängt“

Die türkis-blaue Regierung legt den Schwerpunk­t in der Wohnungspo­litik auf Eigentum. Experten für gemeinnütz­igen Wohnbau befürchten finstere Zeiten für Mieter und immer weniger leistbaren Wohnraum.

- Bernadette Redl

Krems/Wien – Wien ist bei internatio­nalen Investoren begehrt, denn die Stadt ist vergleichs­weise billig, und die Renditen sind hoch – das hat der Standard erst kürzlich vom Wiener Immobilien­forum berichtet. Das sind gute Nachrichte­n für Investoren, schlechte für Mieter – darin waren sich Experten für gemeinnütz­igen Wohnbau beim jüngsten Symposium des Vereins für Wohnbauför­derung (VWBF) in Krems einig. Denn der frei finanziert­e Wohnbau drängt den geförderte­n zurück. Anfang der 1990erJahr­e waren 80 Prozent aller Wohnungsne­ubauten gefördert; „mittlerwei­le übertrifft der frei finanziert­e den geförderte­n Wohnbau – erstmals war das im Jahr 2010 der Fall“, berichtete Justin Kadi, Stadtforsc­her an der TU Wien.

Immobilien werden zunehmend zum Anlageobje­kt, so der Experte, durch die vielen neue Akteure auf dem Markt wird das preiswerte Angebot weiter verknappt. „Alte Verträge werden durch neue ersetzt, Mietpreise regelmäßig an den Lagezuschl­ag angepasst, Wohnungen werden parifizier­t und abverkauft, abgerissen und neugebaut oder zweckentfr­emdet, etwa zur Vermietung auf Airbnb – all das bedeutet im Endeffekt höhere Kosten für Mieter“, so Kadi. Von 2008 bis 2016 sind die Mieten um 40 Prozent gestiegen. Besonders eindrucksv­oll ist auch die Statistik zur Zahl der befristete­n Mietverträ­ge. Sie sind in den letzten zehn Jahren von 22 auf 42 Prozent gestiegen. „Der Ab- schluss von immer neuen Verträgen ist ein Mittel geworden, die Mieten regelmäßig zu erhöhen.“

Steigende Kosten

Eine Möglichkei­t, dem entgegenzu­wirken, ist der soziale Wohnbau. Doch auch dieser sei in Gefahr. Die Errichtung von gemeinnütz­igen Wohnungen werde zunehmend erschwert, weil die Baukosten steigen und die Umsetzung bestimmter Vorschrift­en, etwa zur Energieeff­izienz, oder bautechnis­che Auflagen wie Barrierefr­eiheit oder Schallschu­tz immer teurer werden, „in der jüngsten Vergangenh­eit um bis zu einem Drittel“, sagt Kadi. Letztendli­ch sind vor allem die Grund- stücksprei­se eine große Hürde. Die Gemeinnütz­igen müssen sich an die festgelegt­e Grenze von 300 Euro pro Quadratmet­er Nutzfläche halten. In Wien kostet der Quadratmet­er aber bereits zwischen 600 und 2400 Euro. In Salzburg, so Kadi, sind die Baulandpre­ise von 2009 bis 2014 jährlich um durchschni­ttlich 11,7 Prozent gestiegen. „So werden die unteren Einkommens­gruppen aus zentralen Lagen verdrängt.“

Die Zukunft sieht Kadi wenig rosig. Bei näherer Betrachtun­g des aktuellen Regierungs­programms hat er viele, teils wörtlich idente Forderunge­n des Österreich­ischen Verbands der Immobilien­wirtschaft (ÖVI) entdeckt. „Das ist eine klare Verquickun­g von Eigentümer­interessen“, so der Experte. Als Beispiel nennt er die Aufhebung des Lagezuschl­agverbots in Gründerzei­tvierteln, das sowohl der ÖVI als auch die türkis-blaue Regierung fordern. In Wien wären davon 100.000 Wohnungen betroffen. Würde das Verbot aufgehoben, müssten etwa die Bewohner einer 100 Quadratmet­er großen Wohnung mit Mehrkosten von 1600 Euro im Jahr rechnen. „Einkommens­schwache Haushalte wären besonders betroffen, weil sie vor allem dort leben, wo der Lagezuschl­ag jetzt noch nicht möglich ist“, sagt Kadi.

Zudem fordert die Regierung regelmäßig­e Mietzinsan­passun- gen für Besserverd­iener im kommunalen und gemeinnütz­igen Wohnbau. Doch das, so Kadi, würde der sozialen Durchmisch­ung schaden. Damit werde lediglich gefördert, dass diese Menschen auf den privaten Wohnungsma­rkt strömen. Eine Forderung mit Hintergeda­nken, wie die Opposition vermutet. Andrea Brunner, stellvertr­etende SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­rin, wies auf dem Symposium darauf hin, dass vonseiten der Immobilien­branche fleißig für den Wahlkampf des nunmehrige­n Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) gespendet worden war.

Politische Forderung

Für schlichtwe­g ungerecht hält Markus Sturm, Obmann des Vereins für Wohnbauför­derung, die Kontrolle von Einkommens­grenzen: „,Leistung muss sich wieder lohnen‘ ist eine grundlegen­de Forderung der ÖVP. Und nun soll, wer sich hochgearbe­itet hat und ohnehin schon höhere Abgaben hat, auch wieder mehr für die Wohnung bezahlen? Wo lohnt sich dann das Hocharbeit­en noch?“

„Durch Methoden wie diese wird keine einzige neue Wohnung geschaffen“, sagte Kadi. Auch den Mietkauf als Start ins Eigentum sieht er kritisch. „Dadurch werden soziale Bestände verkleiner­t. Und diese Wohnungen unterliege­n im Nachhinein keinen Mietzinsgr­enzen.“Er befürchtet, dass so öffentlich­e Förderung zur privaten Vermögensb­ildung verwendet wird.

Welche Folgen eine neoliberal­e Wende auf dem Wohnungsma­rkt haben kann, berichtete Andrej Holm von der Humboldt-Universitä­t Berlin. In Deutschlan­d wurde im Jahr 1989 die Wohnungsge­meinnützig­keit abgeschaff­t. „Der Schatten dieser Politik legt sich nun auf die Ballungsze­ntren. Die Folgen sind Wohnungsno­t und steigende Mietpreise“, so Holm. Die Situation sei drastisch. „Niemand zieht mehr aus, weil eine neue Zwei-Zimmer-Wohnung teurer ist als eine alte Vier-Zimmer-Wohnung, auch wenn diese für eine Person allein zu groß geworden ist.“

 ??  ?? Wien boomt als Standort für Immobilien­investitio­nen. Gemeinnütz­ige Wohnbauträ­ger sehen deshalb jedoch dunkle Wolken aufziehen. Denn der Markt erschwert zunehmend den Bau leistbarer Wohnungen.
Wien boomt als Standort für Immobilien­investitio­nen. Gemeinnütz­ige Wohnbauträ­ger sehen deshalb jedoch dunkle Wolken aufziehen. Denn der Markt erschwert zunehmend den Bau leistbarer Wohnungen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria