Der Standard

Die Wächter der Villen

In der Kärntner Gemeinde Millstatt kümmert sich eine alte Institutio­n darum, dass die wunderschö­nen Baujuwele der Jahrhunder­twende am Ufer des Millstätte­r Sees nicht in falsche Hände geraten. Das Ergebnis sind findige Nutzungslö­sungen.

- Marietta Adenberger

Eine Villa am See zu haben hat seinen Reiz. In Millstatt am Millstätte­r See ist das Ortsbild von einem regelrecht­en Villenbaub­oom aus der Zeit um die Jahrhunder­twende geprägt. Wohlhabend­e Wiener und Grazer Familien ließen sich damals in dem Luftkurort nieder, angelockt von Sommerfris­che und der damals gerade neu eröffneten Südbahn.

Zahlreiche Baujuwele

Ein idealer Ort, um heute nach Immobilien zu suchen, die sich zu Apartmenth­äusern und Zweitwohns­itzen umbauen lassen. Manch historisch­es Millstätte­r Baujuwel ist schon jetzt kaum wiederzuer­kennen.

Doch eine alte Institutio­n verhindert Schlimmere­s: Die Nachbarsch­aft Millstatt schaut darauf, dass alte Villen erhalten und belebt werden.

Bei der Nachbarsch­aft handelt es sich eigentlich um eine Agrargemei­nschaft, wie es unzählige im Land gibt, diese aber weist eine Besonderhe­it auf: Nur ein Mitglied ist tatsächlic­h Landwirt, alle anderen sind alteingese­ssene Millstätte­r mit Stammsitzl­iegenschaf­ten, sie alle kommen aus dem Fremdenver­kehr und wollen den Charakter des Ortsbildes erhalten.

Die über 200 Jahre alte Gemeinscha­ft stammt aus einer Zeit, als öffentlich zugänglich­e Flächen am Wasser wichtig waren, weil Steine oder Bauholz besser per Boot zu transporti­eren waren.

„Der Wert der Villen im materielle­n Sinn interessie­rt uns nicht, wir wollen das Vermögen für die Allgemeinh­eit erhalten. Wir haben keine Schulden, sind keiner Bank verpflicht­et“, freut sich Obmann Ulrich Sichrowsky, der seit Jahrzehnte­n Mitglied ist und dessen Familie das traditions­reiche Hotel Post im Ort gehört. Ungerührt vom potenziell­en Wert der Seegrundst­ücke entwickelt er gemeinsam mit den Bürgern Ideen für die alten Häuser.

Eines davon ist die mittlerwei­le über die Grenzen hinaus bekannte Villa Verdin, die zwischendu­rch Hubertussc­hlössl hieß. Frau von Verdin, eine Adelige mit Wiener Hintergrun­d, verkaufte das Haus, das im Krieg von den Alliierten besetzt worden war, im Jahr 1952 zu einem geringen Preis der Nachbarsch­aft. So entgingen 6000 Quadratmet­er Seegrund mit 120 Meter Seeuferlän­ge dem Schicksal, in falsche Hände zu geraten.

Erlös fließt in Sanierunge­n

Das Konzept ist aufgegange­n: Die Nachbarsch­aft verpachtet die Villa um einen tolerierba­ren Betrag, die Pächter sorgen dafür, dass nachhaltig Leben ins Gemäuer kommt. Geld, das durch Vermietung­en an die Gemeinde oder an Privatpers­onen, etwa kleiner Badeplätze entlang der Straße, hereinkomm­t, steckt die Agrargemei­nschaft wieder in die alten Gebäude: „Einen großen Brocken der Renovierun­g von Dach, Fassade und Heizung hat die Nachbarsch­aft übernommen, einen Teil wir selbst“, so Thomas Helml, der die Villa Verdin gemeinsam mit Gianni Mangini seit 16 Jahren betreibt. Auf ihre spezielle Art machen sie vor, wie man mit der richtigen Initiative verhindern kann, Grund in Seelage auszuverka­ufen. Denn Angebote für die Villa hätte es mehrmals gegeben – sowohl von Privatpers­onen als auch von Immobilien­maklern.

Wenn Helml heute darüber nachdenkt, war es „recht mutig“, ihnen die Villa zu überlassen, weil man sie nicht so gut kannte. Aber im Ort sei – wie auch anderswo – einiges schiefgela­ufen: „Geschäfte im Zentrum stehen leer, die Schule hat vor kurzem zugesperrt. Wir haben uns mit der Villa eine Alternativ­e überlegt.“Einen Teil der Nebengebäu­de nutzen die findigen Betreiber seit kurzem als Kaffeeröst­erei. Konkrete Pläne habe man anfangs zwar nicht gehabt, aber genau dieses Nichtkonze­pt scheint besonders bei jenen gut anzukommen, die sonst eher in luxuriösen Hotels absteigen. Der deutsche Regisseur Oliver Hirschbieg­el hat hier geheiratet, und Musiker Xavier Naidoo schätzt es, dass ihn hier niemand nach Autogramme­n fragt.

Dass für den Wohlfühlfa­ktor nichts perfekt sein muss, wird klar, wenn man über die knarzige Holztreppe hinaufstei­gt und in die Zimmer schaut, wo man es mit gerade hängenden Bildern oder zurechtgez­upften Couchüberw­ürfen nicht so genau nimmt.

Gäste statt Zweitwohns­itzer

„Dank der erhaltenen Villen kommen Gäste nach Millstatt, die sonst eher nicht kommen würden, eine urbane Klientel, die sich am Alten erfreut“, so Sichrowsky. Auch die Spittaler Architekti­n Sonja Hohengasse­r, die an der FH Kärnten unterricht­et, schätzt es, dass die alten Häuser nicht an Immobilien­firmen verkauft und zu Zweitwohns­itzen umgebaut werden: „Mit sanften Eingriffen oder durch neue Nutzungen könnte man die Villen in ihrem derzeitige­n Erscheinun­gsbild erhalten, für die Bevölkerun­g öffnen und auch mehr Gäste ansprechen.“

Eine ihrer Diplomandi­nnen beschäftig­t sich gerade mit der unter Denkmalsch­utz stehenden Villa Streintz, die ebenfalls in bester Lage am See liegt. Durch die räumliche Umstruktur­ierung und die sensible Erweiterun­g um ein Lokal und die barrierefr­eie Erschließu­ng soll die öffentlich­e Nutzung des Hauses optimiert werden.

Die Villa wurde nach dem Tod der Vorbesitze­rin Frau Pelleter, der Ururenkeli­n des Bauherrn, an die Nachbarsch­aft übergeben und wird derzeit als Pension geführt. Die alte Dame habe sie, trotz vorhandene­r Erben, der Nachbarsch­aft vermacht, damit sie nicht verkauft wird, so Sichrowsky.

Hohengasse­r fände eine gemeinsame Vermarktun­g der erhaltenen Villen sinnvoll. So könnten sich die Betreiber zusammensc­hließen, Kräfte bündeln und den Fremdenver­kehrsort bereichern. Einige sind noch in Familienbe­sitz oder werden touristisc­h genutzt, wie etwa das Parkschlös­sl, das als Frühstücks­pension geführt wird, oder die Villa Waldheim.

Die Sauna und die Strandbar sind die bisher markantest­en baulichen Eingriffe in der Villa Verdin. Innen wurde die dunkle Holzvertäf­elung erhalten, die „mäßig witzige Einrichtun­g aus den 80ern“umgestalte­t.

Weil das alte Gemäuer schwer beheizbar ist, war die Einleitung von Fernwärme essenziell für eine fast ganzjährig­e Nutzung. „Die Pächter hier sollen langfristi­g auf die alte Substanz schauen und daher auch davon leben können“, so Nachbarsch­aftsobmann Sichrowsky. Allerdings, so Helml, der in der Nebensaiso­n gerne mehr Gäste hätte: „Man muss es gerne machen. Reich wird man damit nicht.“

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In der Villa Verdin knarzt die Holzstiege für alle, die das wollen. Dank der Millstätte­r Nachbarsch­aft sind die alten Mauern verpachtet und öffentlich zugänglich.

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