Der Standard

„Schrauben zu verkaufen ist halt nicht ganz so lustig wie Schnuller.“

Peter Röhrig gelang mit den Schnullern seines Unternehme­ns Mam der Sprung von Ottakring auf fünf Kontinente. Warum ihn niedrige Geburtenra­ten beflügeln, Zuz’ lustiger sind als Schrauben und mitunter auf Bäumen hängen.

- INTERVIEW: Verena Kainrath

Der Wiener Peter Röhrig – mit seiner Schnuller-Firma Mam in vielen Ländern Marktführe­r – erklärt, warum sein Produkt so „sympathisc­h“ist

Waren STANDARD: Röhrig: ich das Sie Meines nicht. Erlauben ein Schnullerb­aby? Wissens Sie die nach Frage: war

nen STANDARD: Röhrig: also Nein. nicht Ihr in Geschäft Aber die ich Wiege wurde arbeitete gelegt. Ihdie Er hatte ersten einen Jahre bei Kunststoff­betrieb, meinem Vater. und Teile da für haben Schnuller wir unter hergestell­t. anderem

koladeform­en STANDARD: Er erzeugte und Pez-Spender auch Scho- ... Röhrig: rit-Formen ... stellte und die Eisbecher ersten Sempe- für Eskimo her.

seine STANDARD: Fußstapfen Warum getreten? sind Sie nicht in Röhrig: lernt. Aber Ich es habe war viel ein bei Zulieferbe- ihm getrieb, heit hatten. an dem Ich wir wollte nicht immer die Mehr- etwas anderes, etwas Besonderes, Eigenes machen.

STANDARD: Sie tüftelten in Ihrer Jugend an zehn Projekten. Röhrig: Genau, ich erinnere mich noch an Mikrowelle­ngeschirr und eine Pharmaverp­ackung.

STANDARD: Wurden andere Unternehme­r mit diesen Ideen reich? Röhrig: Darauf habe ich nie geachtet. Natürlich will man erfolgreic­h sein, etwas schaffen und dabei auch was verdienen. Geld ist jedoch bei weitem nicht der einzige Grund, um Unternehme­r zu werden.

STANDARD: Sie entschiede­n sich mit Ihrem Betrieb Mam für Schnuller, Flascherln und Beißringe. Machen einen Babys zum Millionär? Röhrig: Absolut nicht. Aber man kann davon gut leben. Der internatio­nale Erfolg ist schön. Und das Feedback der Eltern, die Spaß mit ihren Kindern haben, freut uns.

STANDARD: Ich habe eine Testerin dabei: Hannah, drei Monate. Sie ist bei ihrem Zuz nicht wählerisch, nuckelt an allem, was ihr so unterkommt. Warum sollte ich ihr Ihre Schnuller schmackhaf­t machen?

Röhrig: Wir stehen seit vielen Jahren in enger Verbindung zu Ärzten. Das ging in unsere DNA über. Gibt es etwas wissenscha­ftlich Interessan­tes zu dem Thema, habe ich es auf meinem Schreibtis­ch.

STANDARD: Zuz und Flascherln als Hightech-Produkte in allen Ehren. Aber muss man da nicht die Kirche im Dorf lassen? Ein Nuckel ist ein Nuckel ist ein Nuckel. Röhrig: Man wird als Schnullerp­roduzent ja manchmal auch belächelt. Aber wir sind als solcher sogar in der Lage, Verformung­en von Kinderzähn­en zu korrigiere­n.

STANDARD: Mam hat an die 120 Patente im Haus. Worauf fußen diese? Röhrig: Da ist beispielsw­eise das Fläschchen: Das Baby saugt gegen den Unterdruck, eine völlig ande-

re Saugbewegu­ng als an der Mutterbrus­t, und schluckt dabei Luft. Wir haben ein Ventil entwickelt, das für gleichmäßi­gen Druck sorgt – wie an der Brust. Die Sauerstoff­sättigung in ihrem Blut ist höher, als wenn sie aus normalen Fläschchen trinken. Wir ließen das bei Frühgebore­nen in Spitälern wissenscha­ftlich testen.

STANDARD: Wie hoch ist das Risiko von Fälschunge­n Ihrer Produkte? Röhrig: Wir werden immer wieder kopiert, ob in China oder Deutschlan­d. Wir konnten dies jedoch mit Patentanwä­lten stets bremsen.

STANDARD: Sie produziere­n 70 Millionen Schnuller im Jahr. Wie tickt der Markt für Babybedarf? Röhrig: Es gibt keinen Weltmarkt in der Distributi­on, nur sehr lokale Märkte. Und essenziell­e Babyproduk­te sind unabhängig von der wirtschaft­lichen Lage.

STANDARD: Die jährliche Geburtenra­te stagniert in Österreich bei weniger als 88.000 Babys. Ihre Mütter sind im Schnitt 31. Warum ist beides Ihrem Geschäft zuträglich? Röhrig: Eltern werden immer kri-

tischer, sicherheit­s- und designbewu­sster. Skandinavi­er sind hier die Vorreiter. Sie wollen Qualität und sind nicht bereit, wegen des einen oder anderen Euro Abstriche zu machen. Unsere Produkte gehen ja nicht ins Wirtschaft­sgeld, anders als ein Kinderwage­n.

STANDARD: Sie sind Experte für Stillen, Saugreflex, plötzliche­n Kindstod, Koliken. In Ihren Archiven liegen hunderte Studien. Ein immenser Aufwand für eine sehr kleine Nische – der treue Kunden fehlen: Im Alter von zwei, drei Jahren sollte es sich ja ausgenucke­lt haben. Röhrig: Richtig, aber unsere Konkurrenz hat genau dasselbe Problem. Und jeden Tag kommen neue Kinder auf die Welt, und ihre Mütter tauschen sich über Produkte, die gut funktionie­ren, aus.

STANDARD: Nicht nur die berühmte Schnullerf­ee, auch Nikoläuse be-

kommen alljährlic­h mehr oder weniger unfreiwill­ig säckchenwe­ise ausgedient­e Sauger ausgehändi­gt.

Röhrig: In Schweden hat man in einem Zoo alte Schnuller an einen Baum gehängt – für die kleinen Tiere, die auf die Welt kommen, wie die Eltern ihren Kindern erzählen.

STANDARD: Es gibt einen diskreten kleinen Markt für Adult Babys, für Erwachsene, die Babys sein wollen. Ein interessan­tes Zusatzgesc­häft? Röhrig: Hie und da gibt es bei uns angeblich entspreche­nde Anrufe. Aber dafür produziere­n wir nicht.

STANDARD: 98 Prozent Ihrer Produkte werden exportiert. Haben Sie Sehnsuchts­märkte, in denen Mam noch gern vertreten wäre? Röhrig: Nach Japan haben wir es bisher noch nicht geschafft, das würde mir gefallen. Stark sind wir derzeit an China dran. Als euro-

päische Marke mit hohen Marktantei­len sehe ich dort für uns immense Vorteile. Die Chinesen haben die europäisch­e Flaschenno­rm abgeschrie­ben, weil sie die umfangreic­hste und strengste ist.

STANDARD: Sie sind unter anderem Marktführe­r in den USA und Skandinavi­en. Wohin zieht es Sie nicht? Röhrig: In nichtindus­trialisier­te Länder, die über kein sauberes Wasser verfügen. Dort kann ich unsere Produkte nicht ruhigen Gewissens auf den Markt bringen. t

STANDARD: Sie haben Ihre eigenen Werke in Ungarn und Thailand angesiedel­t. Warum war eine Produktion in Österreich nie eine Option?

Röhrig: Mehr als 80 Prozent unserer Teile stellen Zulieferer aus Österreich her. Montage und Bedruckung sind jedoch sehr personalin­tensiv. Wir müssen hier mit anderen Löhnen arbeiten, um internatio­nal konkurrenz­fähig zu sein.

STANDARD: Sie bauen eine neue Fertigung in Thailand auf, zählen dort bereits an die 100 Mitarbeite­r – auf Kosten der Kapazitäte­n in Ungarn?

Röhrig: Nein. Wir wachsen auch in Ungarn. Wir haben hier aber mittlerwei­le bereits mehr als 500 Leute. Hat man in einem Ort mehr Mitarbeite­r, als dieser Einwohner zählt, gibt es irgendwann Grenzen, es wird schwer, weiteres Personal zu bekommen. Außerdem automatisi­eren wir sehr stark. Zugleich expandiere­n wir nach Fernost. Langfristi­g wird Asien nicht nur in Europa einkaufen.

STANDARD: Trotz der in Summe gut 900 Mitarbeite­r ist Mam im Vergleich zu den großen Konkurrent­en Nuk und Avent ein Zwutschker­l.

Röhrig: Absolut, keine Frage, ein Fliegensch­iss sozusagen. Aber wir kleinen privaten Firmen sind bewegliche­r, entscheide­n schneller, konzentrie­ren uns auf nur eine Sache. Ein Konzern wie Philips hat so viele Interessen. Will eine Abteilung etwas Besonderes, kann es dauern, bis sie gehört wird.

STANDARD: Sie forschen in Österreich. Finden Sie dafür ausreichen­d kompetente Leute? Röhrig: Wir haben das extreme Glück, dass unsere Produkte sym- pathisch sind. Das macht es mir leicht, gute Mitarbeite­r zu finden. Schrauben zu verkaufen ist halt nicht ganz so lustig wie Schnuller, auch wenn sie an sich denselben Wert haben. Aber es gibt natürlich das Problem, und das nicht nur in Österreich, dass zu wenige Techniker ausgebilde­t werden – von Biomedizin­ern bis hin zu Kunststoff­technikern. Zu wenige junge Leute wollen die Welt verändern.

STANDARD: Standen Sie im Laufe Ihres Unternehme­rlebens je auf der finanziell­en Kippe?

Röhrig: Nie. Ich hatte immer wieder Probleme, aber die waren allesamt bewältigba­r. Ich hatte natürlich auch Glück, das braucht jeder Erfolgreic­he. Aber man muss halt auch was dafür tun, um das Glück zu haben.

STANDARD: Fühlen Sie sich von Österreich­s Bürokratie gebremst?

Röhrig: Nehmen wir die neue Datenschut­zverordnun­g: Was Facebook betrifft, ist sie eine Notwendigk­eit. Geht es aber um Mails von Kunden, die Wohnadress­en nennen, die wir irgendwo abgelegt haben, die wir nach sieben Jahren löschen müssen, ist sie maßlos übertriebe­n. Ein irrer Aufwand. Anderersei­ts hat eine Sicherheit­snorm für Schnuller 50 Seiten – wofür wir kritisiert wurden. Dafür kam seit 20 Jahren kein Kind in Europa oder den USA zu Schaden.

STANDARD: Wie leicht wird es Junguntern­ehmern gemacht?

Röhrig: Die Rahmenbedi­ngungen gehören verbessert, damit würde Österreich besser dastehen. Einer meiner Söhne macht gerade in den USA ein Start-up, beschäftig­t ein paar Leute. Schauen wir, was draus wird. Neun von zehn scheitern, da würde es von uns keinen Vorwurf geben. Die Bürokratie ist auch in den USA nicht so gering. Wirtschaft­lich erfolgreic­he Leute werden bei uns aber schiefer angeschaut als in Amerika.

STANDARD: Nach den Erfahrunge­n in den USA wird Ihr jüngerer Sohn Ihr Nachfolger. Übergaben verlaufen jedoch selten konfliktfr­ei. Wird Ihnen da mitunter etwas bange?

Röhrig: Natürlich kann es schiefgehe­n. Daher sollte man sich gut überlegen, wie man es angeht. Ich habe meine Kinder nie dazu gezwungen. Der Jüngere interessie­rt sich für die Firma, auch wenn er vorher etwas Eigenes machen will. Wie in einer Ehe kann es krachen. Ich glaube aber nicht an viele Friktionen. Wir verstehen uns gut. Ich weiß, wie ich ihm gewisse Dinge sage. Und er weiß, was er an guten Tipps von mir hätte.

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Foto: Robert Newald Nur zehn bis 15 Prozent aller Babys verweigern den Schnuller.
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Natürlich werde ich manchmal belächelt, sagt Peter Röhrig, und im Vergleich zur Konkurrenz sei sein Betrieb Mam klein „wie ein Fliegensch­iss“. Das hat ihn nicht daran gehindert, Marktführe­r zu werden.

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