Der Standard

„Wir müssen nicht immer mehr konsumiere­n“

Die Automatisi­erung der Arbeitswel­t stellt die Politik vor eine Herausford­erung. Der Wirtschaft­shistorike­r Robert Skidelsky erklärt, wie die Menschheit quasi ungewollt in Abhängigke­it der Maschine geriet.

- INTERVIEW: Leopold Stefan

Standard: Sie sind Wirtschaft­shistorike­r, ich bin Wirtschaft­sjournalis­t, sind unsere beiden Berufe automatisi­erbar? Skidelsky: Beim Journalism­us passiert das jetzt schon: Früher hatten alle großen Zeitungen weltweit Korrespond­enten, viele davon sind verschwund­en. Informatio­n wird heute digital verbreitet. In anderen Bereichen gibt es Texte, die mithilfe von Algorithme­n erzeugt werden. Das erspart Handarbeit.

Standard: Das muss ja noch nicht zu einem Nettoverlu­st von Stellen führen. Laufend werden neue Studien publiziert, die vorhersage­n, dass zwar viele Jobs durch Roboter verlorenge­hen, aber auch, dass viele neu entstehen. Kann uns die Geschichte da weiterhelf­en? Skidelsky: Das ist ein schwierige­s Unterfange­n. Die ökonomisch­e Lehrmeinun­g war immer schon, dass Mechanisie­rung, wie es damals hieß, eine gute Sache ist, weil wir mehr und billiger produziere­n können. Für die Menschen bedeute das mehr Einkommen oder mehr Freizeit.

Standard: Ist das schlecht? Skidelsky: Man muss sich überlegen, wohin das führt. Zunächst geht es einmal um eine Übergangsp­hase. Viele dieser Studien gehen von Jahrzehnte­n aus, bis Roboter netto mehr Jobs schaffen, als sie ersetzt haben.

Standard: Sehen wir heute schon einen Verdrängun­gseffekt? Skidelsky: Es gibt Hinweise auf diese technologi­sche Arbeitslos­igkeit. In vielen Ländern ist der Sockel an Beschäftig­ungslosen höher als vor rund vierzig Jahren. Damals war eine Arbeitslos­enquote von drei Prozent normal, heute freuen wir uns über sechs Prozent, bei vier fürchten wir uns vor einer Überhitzun­g. Außerdem nimmt die Qualität vieler Jobs ab: Die Reallöhne stagnierte­n oder sind sogar für manche Bevölkerun­gsschichte­n gesunken. Das ist ein Vorbote für Automatisi­erung.

Standard: Ist es nicht umgekehrt, dass höhere Löhne zu mehr Einsatz von Maschinen verleiten? Skidelsky: Nicht in einer globalisie­rten Produktion. Die Arbeitskos­ten in den Schwellenl­ändern sind ja trotzdem deutlich niedriger als in westlichen Industries­taaten. Wenn man Kapital exportiere­n kann, dann sitzen eben die billigen Arbeitskrä­fte an den gleichen Maschinen. Automatisi­erung und Auslagerun­g ergänzen einander. Standard: Wenn zumindest zwischenze­itlich Arbeiter und Angestellt­e durch Maschinen und Software verdrängt werden, was ist mit Konsumente­n? Fehlen die nicht im System, wie Sie es beschreibe­n? Skidelsky: Das ist tatsächlic­h ein Widerspruc­h. Ich glaube, der Fehler liegt darin, dass seit der industriel­len Revolution höhere Produktivi­tät mit mehr Konsum einhergehe­n muss. So lautete das ökonomisch­e Gesetz, das Adam Smith im 18. Jahrhunder­t niedergesc­hrieben hat: Das Ziel der Produktion ist Konsum. Und dass Menschen unersättli­ch seien. Somit führt technische­r Fortschrit­t zu immer mehr Konsum.

Standard: Und das ist ein Problem? Skidelsky: Wenn der Konsum zum einzigen Zweck der Arbeit wird, schon. Das ist ein Kreislauf, den kaum einer hinterfrag­t. Darum stellt sich die Frage, was passiert mit den Menschen, wenn die Arbeit von Robotern gemacht wird. Ich glaube nicht, dass das ein Naturgeset­z ist, dass wir immer mehr konsumiere­n müssen, sondern dass dieses Verlangen heute zum Teil künstlich erzeugt wird.

Standard: Wie meinen Sie das? Skidelsky: Die Werbebranc­he sieht ihre Aufgabe darin, Unzufriede­nheit zu organisier­en. Das ist nicht von mir, das sagen Vertreter der Branche selber. Wir werden konstant mit Werbebotsc­haften bombardier­t, wie wir unser Leben verbessern können. Selbst wenn wir dank Automatisi­erung mehr Freizeit hätten, können wir diese nicht mehr ohne das neueste Gadget genießen.

Standard: Wollen Sie Werbung verbieten? Skidelsky: Ich würde Werbeausga­ben stärker besteuern oder zumindest nicht mehr von der Steuer absetzbar machen. Gleichzeit­ig würde ich die Profite, die der technologi­sche Wandel bringt, stärker umverteile­n.

Standard: Eine Maschinens­teuer? Skidelsky: Nein, den Vorschlag von Bill Gates, Roboter direkt zu besteuern, halte ich für verfehlt. Ich denke an eine Gewinnsteu­er, bemessen an technologi­scher Kostenredu­ktion bei Unternehme­n.

Standard: Fürchten Sie nicht die Folgen für den Wohlstand, würde man erfolgreic­h mit Steuern den Konsum senken? Skidelsky: Es geht gar nicht darum, Konsum zu reduzieren, sondern lediglich das Konsumwach­stum einzubrems­en, damit sich die Menschen in der Übergangsp­hase der Automatisi­erung fragen könne, was sie vom Leben wollen.

ROBERT SKIDELSKY (78) ist emeritiert­er Professor für Politische Ökonomie an der Warwick-Universitä­t. Bekannt ist der britische Wirtschaft­shistorike­r für seine Biografie von John Maynard Keynes. Er war Mitglied der Labour Party und wechselte später zu den Konservati­ven, die er 2000 nach zehn Jahren wieder verließ. Seit 1991 sitzt Lord Skidelsky im britischen Oberhaus. Derzeit gastiert er am Institut für die Wissenscha­ften vom Menschen in Wien. Skidelsky spricht zum Thema Automatisi­erung am 25. April im Radiokultu­rhaus.

Ich würde nicht Roboter besteuern, sondern Profite.

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Seit der Industrial­isierung arbeite der Mensch für den Konsum. Was tun, wenn Roboter die Arbeit übernehmen, fragt sich Skidelsky.
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