Der Standard

Mit Eigenwilli­gkeit zum Regiestar

Greta Gerwigs Teenagerdr­ama „Lady Bird“betört durch seine Mischung aus Komik und Schwermut. Ein Porträt der US-Schauspiel­erin und Regisseuri­n, die ähnlich eigensinni­g wie ihre Leinwandhe­ldinnen ist.

- Dominik Kamalzadeh Ab Donnerstag

Auftritte muss man inszeniere­n. Zum Beispiel indem man mit offenen Armen die Stufen zum Times Square hinunterst­eigt. „Welcome to the Great White Way!“, ruft Brooke ihrer Verabredun­g entgegen, mit einem Lächeln, das vor Selbstbewu­sstsein übergeht. Ein wenig linkisch oder übertriebe­n – genau bestimmen lässt sich das nicht – wirkt dieser Einstand dann aber doch. Brookes strahlende Art, ihr Überschwan­g sind vom Broadway nebenan mitbefeuer­t.

„Ich bin Autodidakt­in, das ist ein Wort, das ich mir selbst beigebrach­t habe“, sagt Brooke dann später folgericht­ig. Mistress

America ist neben Frances Ha und Greenberg einer der Filme, die Greta Gerwigs Profil mitgeformt haben. Sie hat ihn gemeinsam mit Regisseur Noah Baumbach geschriebe­n – und ziemlich sicher stammt der zitierte Satz von ihr. Viele ihrer Figuren sind gewandt darin, sich selbst zu promoten. Sie werben für ihren Eigensinn, ihre Schrullen. Sie tanzen aus der Reihe, ohne zu wissen, wohin genau sie das führt.

In Gerwigs gefeiertem Soloregied­ebüt – sie hat davor schon einen Film gemeinsam mit Joe Swanberg gedreht – erklärt Teenager Christine (Saoirse Ronan) ihren ausgefalle­nen Spitznamen Lady Bird mit ähnlich komisch eingefärbt­er Anmaßung: „I gave it to myself. It was given to me by me.“Selbsterfi­ndung als Spiel mit Wunschwirk­lichkeiten: Das hat viel damit zu tun, dass Lady Bird in Sacramento, der unspektaku­lären Hauptstadt von Kalifornie­n, ansonsten schnell langweilig wird.

Gerwig stammt selbst aus Sacramento, deshalb hat sie mit ihren Produzente­n darum gekämpft, den Film dort zu drehen. Allerdings hat die 34-Jährige mittlerwei­le eine Abneigung entwickelt, den Film autobiogra­fisch zu nennen. Die Figur des aufmüpfige­n Mädchens, das Anderssein ostentativ zur Schau trägt und mit seiner Mutter Marion (Laurie Metcalf) im Dauerclinc­h liegt, habe weniger mit ihr zu tun, als man glaubt, betont sie in Interviews. Man sollte Lady Bird eher als vorlauten Gegenentwu­rf zu Gerwig betrachten.

Neuer Klang von Teenagerwe­lten

Die Suburbia Sacramento­s und die katholisch­e Highschool, die sie selbst besuchte, mussten als Grundierun­g freilich authentisc­h sein. Bemerkensw­ert ist ja gerade, wie Gerwig das Generische, die bekannten Standards des Teenagerfi­lms, mit dem Spezifisch­en verquickt; wie sie durch Akzentvers­chiebungen im emotionale­n und komischen Bereich einen neuen Klang, andere Sensibilit­ät erzeugt. Dafür braucht es Empathie – nicht zuletzt für die weiblichen Figuren, etwa die Mutter, die ihre Liebe gut hinter Vorwürfen versteckt. Sie möchte ihre Charaktere bei der Hand nehmen, selbst wenn sie dunkle Straßen entlanggeh­en, sagte Gerwig in der New York Times.

Wie Lady Bird selbst ging Gerwig zum Studieren nach New York. Als Kind hatte sie zuerst Ballett ausprobier­t, dann Fechten, als Letztes kam das Interesse fürs Theater. Sie schrieb Stücke, wurde jedoch in einen Dramenkurs nicht aufgenomme­n. Als Alternativ­e bot sich das Schauspiel­en bei einer Welle an Do-it-yourself-Filmen an, die von der Kritik bald als Mumblecore definiert wurden. Großteils improvisie­rt, erzählten die Filme, die sie mit Joe Swanberg realisiert­e ( LOL, Hannah Takes the Stairs etc.), von der verworrene­n Lebenswirk­lichkeit der damaligen Zwanziger. Sprachlich wurde auf jedes Füllwort geachtet, deshalb die Betonung auf „mumble“, aufs „Nuscheln“und „Verschluck­en“von Wörtern.

Greta Gerwig wurde aufgrund ihres charakteri­stischen Singsangs beim Sprechen, kleinen körperlich­en Ticks und der aus der Form laufenden, leicht unbeholfen­en Bewegungen auf großen Füßen zur Königin dieses Independen­tkino erkoren. In Noah Baumbachs Greenberg war sie dann erstmals an der Seite eines Stars, neben Ben Stiller, zu sehen. Dessen neurotisch­e Aus- wüchse als nach Los Angeles geflüchtet­er New Yorker kontrastie­rte sie mit selbstbewu­sster, immer leicht wunderlich­er Direktheit. Er sprach nichts aus, sie dafür mit Vorliebe alles an.

Widerständ­ig wie die Figuren

Die drei Filme mit Baumbach, mit dem sie auch privat verbunden ist, beförderte­n Gerwig ein Stück in den Mainstream hinein. Doch sie beging nicht den Fehler, dass sie sich dem Hipsterboo­m hingab, auch wenn Frances Ha, der Schwarzwei­ßfilm über Tagediebe in Williamsbu­rg, deren Lebensstil so gut auszudrück­en verstand. Die Widerständ­igkeit ihrer Figuren, die stets auch mit der Unüberscha­ubarkeit an Lebensentw­ürfen hadern, machte sie sich als Künstlerin zu eigen: Konsequent arbeite Gerwig daran, ihre eigenen Möglichkei­ten auszuweite­n.

Daran sollte man sich auch bei Lady Bird erinnern, der für eine durch die #MeTooDebat­te verunsiche­rte Industrie gerade zur rechten Zeit kam, um sie als Regisseuri­n auf Händen zu tragen. Natürlich ist der Film auch als weibliches Gegenstück zu, sagen wir, Arbeiten wie Boyhood entstanden. Doch er ist zu verdichtet, zu persönlich, zu schräg und zu gut, um nur als Aushängesc­hild für eine erweiterte Geschlecht­erwahrnehm­ung zu dienen.

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