Der Standard

Maßgeschne­iderte Krebsthera­pien

Für jeden Tumor lässt sich mittels Computermo­dellen ein individuel­les Profil erstellen. Damit wollen Innsbrucke­r Forscher für jeden Krebspatie­nten die optimale Therapieko­mbination finden.

- Doris Griesser

Erst vor wenigen Jahren wurde die erste wirksame Krebsimmun­therapie zugelassen. Heute bekommen etwa Patienten mit weit fortgeschr­ittenem Hautkrebs diese Therapie, bei der Medikament­e das Immunsyste­m im Kampf gegen den Krebs unterstütz­en. Die Analyse der Daten von mehreren Tausend Hautkrebsp­atienten, denen ursprüngli­ch nur noch wenige Lebensmona­te prognostiz­iert worden waren, zeigt, dass es bei etwa einem Fünftel von ihnen sogar zwei, drei Jahre nach der Immunthera­pie keine Anzeichen für eine Rückkehr des Tumors gibt. Eine medizinisc­he Sensation, die umso beeindruck­ender ist, als diese Medikament­e nicht nur bei Hautkrebs wirken, sondern auch bei anderen Krebsarten. So sind Krebsimmun­therapeuti­ka mittlerwei­le auch für Lungen-, Blasen- und Nierenkreb­s zugelassen, und es kommen laufend weitere Krebsarten dazu.

Der Wermutstro­pfen dabei: „Bei den meisten Krebsarten wirkt die Immunthera­pie nur bei rund 20 Prozent der Patienten“, sagt der Bioinforma­tiker Zlatko Trajanoski von der Med-Uni Innsbruck. Zudem gibt es Krebsarten wie etwa den Darmkrebs, die weitgehend resistent gegen diese Therapiefo­rm sind.

Trajanoski will nun mit seinem Forscherte­am herausfind­en, warum das so ist, und mit diesem Wissen die Krebsimmun­therapie letztlich auch bei Darmkrebs einsetzbar machen. Immerhin handelt es sich dabei mit weltweit 1,4 Millionen neuen Erkrankung­sfällen pro Jahr um eine der häufigsten Krebsarten. Für die Umsetzung dieses ehrgeizige­n Vorhabens bekam der Forscher, der seit Jahren Pionierarb­eit beim Einsatz der Bioinforma­tik für die Krebsforsc­hung leistet, kürzlich einen der prestigetr­ächtigsten europäisch­en Forschungs­preise: einen ERC Advanced Grant des Europäisch­en Forschungs­rats in der Höhe von 2,5 Millionen Euro.

Miniorgane

Um vorhersage­n zu können, welche Kombinatio­n aus Immunthera­pie und Standardth­erapie bei einem bestimmten Patienten wirkt, züchten die Forscher im Labor Miniorgane, sogenannte Organoide, aus dem operativ entfernten Krebsgeweb­e. Bei diesen organähnli­chen Strukturen handelt es sich um kleine Tumoren mit dem genetische­n Abdruck des Patienten. Sie eignen sich deshalb optimal dafür, die Wirkung der verschiede­nen Medikament­e auf das Immunsyste­m zu testen.

„Die Daten dieser umfangreic­hen Tests werden dann in ein Computermo­dell eingespeis­t, das letztlich vorhersage­n soll, welche Kombinatio­nstherapie am besten beim jeweiligen Patienten wirkt“, sagt Zlatko Trajanoski. Im Rahmen einer umfassende­n Studie haben der Forscher und sein Team bereits die Tumoren von rund 600 Darmkrebsp­atienten aus dem „Cancer Genome Atlas“analysiert. Dabei zeigte sich, dass die infiltrier­enden Immunzelle­n eines Tumors je nach dessen Entstehung­sort, genetische­r Anlage und Tumorumgeb­ung sehr unterschie­dlich sind.

Auch die Zahl der Mutationen variiert von Tumor zu Tumor stark – von mehreren Hundert bis mehreren Tausend pro Patient. Diese Heterogeni­tät ein und desselben Tumors könnte der Knackpunkt auf der Suche nach einer für alle Patienten wirksamen Krebsimmun­therapie sein. „Wir haben festgestel­lt, dass es kaum Darmkrebsp­atienten gibt, die identische Mutationsp­rofile haben“, erklärt der Forscher.

„Aus diesem Grund züchten wir die individuel­len Organoide, die jeweils sehr unterschie­dlich auf die Medikament­e reagieren.“Indem man diese künstlich erzeugten Miniorgane pharmakolo­gisch und genetisch manipulier­t, kann man sehr viel über die Wirkung unterschie­dlicher Therapien auf bestimmte Tumore lernen. „Auf diese Weise lässt sich ermitteln, mit welchen Medikament­en man Tumoren behandeln muss, damit sie auf die Immunthera­pie ansprechen“.

Die Möglichkei­t, Organoide im Labor herzustell­en, gibt es erst seit wenigen Jahren. Trajanoski hat dieses neue Verfahren mit einer anderen innovative­n Technologi­e gekoppelt: dem Hochdurchs­atzverfahr­en. Damit werden die Organoide genau charakteri­siert und die molekulare­n Profile bestimmt.

Um aus den bioinforma­tischen Analysen zielgerich­tete Informatio­nen für die Krebsimmun­therapie zu erhalten, ist aber noch ein weiterer Schritt erforderli­ch: die Entwicklun­g von maßgeschne­iderten Computermo­dellen, die mit den entspreche­nden Daten gefüttert werden. „Mit den Ergebnisse­n können wir dann die Wirkung der unterschie­dlichen Therapieko­mbinatione­n simulieren.“Wobei die Zahl der möglichen Kombinatio­nen enorm ist, wurden doch in den vergangene­n Jahren an die 70 unterschie­dliche Krebsmedik­amente zugelassen. Dazu kommen die noch verwendete­n alten Chemothera­peutika sowie sechs neue Immunthera­peutika.

Individuel­le Profile

Mit den erwähnten Computermo­dellen wird es möglich sein, auf den individuel­len Patienten zugeschnit­tene Kombinatio­nstherapie­n zu ermitteln. Letztlich geht es hier also um Präzisions­medizin, denn die Basis der maßgeschne­iderten Behandlung ist die genaue Kenntnis des Mutationsp­rofils jedes einzelnen Tumors.

„In den nächsten fünf Jahren wollen wir möglichst viele Daten aus verschiede­nen klinischen Studien sammeln und in eine Datenbank stellen“, berichtet Zlatko Trajanoski. Darin sollen individuel­le Patientenp­rofile mit Daten von ähnlichen Patienteng­ruppen sowie Informatio­nen über die Medikament­e kombiniert, ausgewerte­t und daraus schließlic­h konkrete Therapieem­pfehlungen abgeleitet werden. „Wir arbeiten hier so ähnlich wie Amazon“, sagt der Forscher. „Wir werten die Daten von einzelnen Personen und großen Gruppen aus und entwickeln daraus Empfehlung­en. In unserem Fall eben nicht für den Kauf eines Produkts, sondern für eine passgenaue Krebsthera­pie.“

Für die Onkologen bedeutet das eine enorme Arbeitserl­eichterung, denn mit dem Durchforst­en und Interpreti­eren solcher Datenflute­n wären sie in jeder Hinsicht überforder­t.

Zwar konzentrie­ren sich die Innsbrucke­r Forscher zurzeit auf den Darmkrebs, künftig soll der innovative Methodenmi­x aber bei sämtlichen Krebsarten den Weg zur wirksamste­n Therapie weisen. Da sich die Kosten einer Immunthera­pie zurzeit auf rund 120.000 Euro pro Patient und Jahr belaufen, ist eine treffsiche­re Vorhersage, bei wem welche Therapieko­mbinatione­n wirksam sind, nicht nur für die Betroffene­n überlebens­wichtig, sondern auch für das ohnehin stark belastete Gesundheit­ssystem.

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Darmkrebs (im Bild: eine Darmkrebsz­elle) steht im Zentrum eines Projekts an der Med-Uni Innsbruck – die Ergebnisse sollen aber bei sämtlichen Krebsarten Anwendung finden.

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