Der Standard

Einspruch gegen Sparmaßnah­men

Der Bildungsmi­nister kam den Kritikern entgegen: Die separaten Deutschkla­ssen sollen für deutlich weniger Schüler gelten als geplant, doch Wien protestier­t immer noch. Was verbergen die überarbeit­eten Pläne?

- Gerald John

Richter und Staatsanwä­lte sehen den „Rechtsstaa­t in Gefahr“, am Dienstag protestier­ten sie gemeinsam mit Kanzleimit­arbeitern im Justizpala­st gegen die geplanten Einsparung­en. „Mit diesem Justizbudg­et wird die Justiz totgespart“, warnte Christian Haider, Vorsitzend­er der Richter und Staatsanwä­lte in der Gewerkscha­ft Öffentlich­er Dienst. Kritik gab es auch am Umstand, dass es 4100 Polizisten mehr, aber keine zusätzlich­en Staatsanwä­lte geben soll.

Die geballte Kritik zeigte Wirkung. Die Regierung will am Mittwoch im Ministerra­t zwar den Gesetzesen­twurf zu einem ihrer Leuchtturm­projekte beschließe­n, hat diesen aber in einem entscheide­nden Punkt abgemilder­t. Die umstritten­en, weil abseits des Regelunter­richts vorgesehen­en Deutschför­derklassen sollen für deutlich weniger Schüler mit Sprachprob­lemen Pflicht sein als geplant.

Die zentrale Änderung: Laut der bisherigen Pläne sollten sämtliche Pflichtsch­üler, die mangels Deutsch dem Unterricht nicht folgen konnten, in separaten Klassen fernab der anderen Altersgeno­ssen gefördert werden. Jener Entwurf hingegen, den Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) nun vorgelegt hat, sieht den Sonderweg nur noch für Neueinstei­ger vor – also für Schulanfän­ger und ältere Kinder, die eben erst nach Österreich gekommen sind. Ein Argument gegen die Pläne fällt damit weg, wie einer der Kritiker zugesteht: „Wichtig für alle Familien ist, dass derzeit bestehende Klassen offenbar doch nicht auseinande­rgerissen werden“, sagt Wiens Bildungsst­adtrat Jürgen Czernohors­zky (SPÖ).

Unbesänfti­ge Kritiker

Faßmann hatte einen anderen beanstande­ten Punkt im Auge. Schlicht unrealisti­sch sei das Vorhaben, hieß es, zumal das Modell bereits im September mit dem neuen Schuljahr starten soll: In so kurzer Zeit seien die nötigen Klassenräu­me und Lehrer niemals aufzustell­en. Der Minister trägt dem Protest nun nicht nur mit der Einschränk­ung auf Neueinstei­ger Rechnung, sondern hebt auch ein Limit an: Die Deutschkla­ssen sollen erst ab acht statt sechs betroffene­n Schülern an einer Schule eingericht­et werden. Statt rund 230 zusätzlich­en Klassen im Vergleich zu den Sprachstar­tgruppen, wie es sie an Volksschul­en bereits jetzt schon gibt, sollen nun nur mehr 80 dazukommen.

Sind die Kritiker im rot-grünen Wien, wo von allen Bundesländ­ern mit Abstand die meisten Schüler mit Deutschdef­iziten leben, also besänftigt? Keineswegs, denn Czernohors­zky hält Faßmanns Berechnung für unrealisti­sch: Wien allein kommt laut Prognose seines Büros auf 130 zusätzlich­e Klassen – was nach wie vor unbewältig­bar sei. Außerdem, fügt der Stadtrat an, blieben grundlegen­den Einwände ja unveränder­t.

Um die Kritik einschätze­n zu können, lohnt ein genauer Blick auf das türkis-blaue Modell. Ab Frühjahr 2019 sollen alle Kin- der, die bei der Schuleinsc­hreibung Deutschmän­gel zeigen, einen standardis­ierten Test absolviere­n; im heurigen Startsemes­ter übernimmt die Einstufung noch der Schulleite­r. Wer schlecht abschneide­t, wird wie schon bisher als außerorden­tlicher Schüler eingestuft. In Wien fallen in der ersten Klasse Volksschul­e übrigens rund 30 Prozent in diese Kategorie.

Danach sind zwei Möglichkei­ten vorgesehen: Spricht das Mädchen oder der Bub mangelhaft Deutsch, kann aber dem Unterricht einigermaß­en folgen, winkt ein Deutschför­derkurs über sechs Wochenstun­den in der normalen Schulklass­e. Fehlt das Basisverst­ändnis, führt der Weg für 15 (Volksschul­e) oder 20 Stunden (Sekundarst­ufe 1) pro Woche in die separate Deutschkla­sse. Musik, Turnen, Zeichnen und andere „nicht sprachinte­nsive“Fächer sollen in den gewöhnlich­en Klassen stattfinde­n.

Nach jedem Semester ist ein Test zur Überprüfun­g geplant: Reichen die Fortschrit­te aus, wechseln die Kinder in den Förderkurs in der normalen Klasse, wenn nicht, verbleiben sie in der separaten Klasse – insgesamt bis zu zwei Jahre lang.

Festgenage­lt in der Klasse

Förderung abseits der regulären Klassen existiert jetzt an sich auch schon: Abgesehen von Deutschkur­sen innerhalb des Normalunte­rrichts gibt es für Volksschul­anfänger eigene Sprachstar­tgruppen im Umfang von elf Wochenstun­den. Was an Faßmanns Pläne dann so schlimm sei? In den Startgrupp­en seien die Kinder nicht per se für mindestens ein Semester festgenage­lt, sondern könnten flexibel wechseln, argumentie­rt Czernohors­zky, außerdem seien die Gruppen kleiner als die für bis zu 25 Kinder konzipiert­en separaten Klassen. Noch eine Kritik: Während für Förderkurs­e im Unterricht bisher elf Wochenstun­den vorgesehen waren, sind es nun nur noch sechs.

Dafür bieten die neuen Deutschkla­ssen bis zu 20 Stunden, hält das Bildungsmi­nisterium entgegen, und der entscheide­nde Unterschie­d zu früher sei: „Nun ist die Förderung verpflicht­end.“Die elf Stunden hätten oft nur auf dem Papier existiert, das gelte gerade für Wien, wo Fördergeld offenbar für andere Zwecke ausgegeben wurde: Sonst schnitten die Schüler bei diversen Leistungst­ests nicht so schlecht ab.

Eine böse Unterstell­ung nennt man das im Büro Czernohors­zky: Wenn es an Förderung mangle, dann deshalb, weil das Ministeriu­m nicht genügend Lehrer gewähre.

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