Der Standard

Das „Kennenlern­en“des Armeniers

22-Jährigem werden fünf Sexualdeli­kte in kurzer Zeit vorgeworfe­n

- Michael Möseneder

Wien – Ruben A. hat Glück, da Elisabeth Reich, Vorsitzend­e des Schöffenge­richts im Vergewalti­gungsproze­ss gegen den 22-Jährigen, ein ausgeglich­enes Wesen hat. Anderes richterlic­hes Personal hätte sich von ihm möglicherw­eise rasch etwas auf den Arm genommen gefühlt.

Die Vorwürfe gegen den unbescholt­enen Armenier wiegen schwer: Am 14. November soll er in Wien-Landstraße versucht haben, eine Frau in einem Hausflur zu vergewalti­gen; einen guten Monat zuvor soll er innerhalb einer Stunde gleich vier Frauen bedrängt und/oder unsittlich berührt haben, wie ihm die Staatsanwä­ltin vorhält.

„Wie kommt es dazu?“, will die Vorsitzend­e von A. wissen. „Ich habe nach dem Deutschkur­s Frauen auf der Straße beobachtet und verfolgt“, lässt der eher schmächtig­e Angeklagte übersetzen. Zum ersten Opfer, das er um 18.45 Uhr attackiert­e, sagt er: „Ich wollte die Frau kennenlern­en, konnte aber nicht ausreichen­d Deutsch. Da habe ich ihr mit beiden Händen auf den Po gegriffen.“– „Um sie kennenzule­rnen?“, ist Reich überrascht.

Das „Kennenlern­en“brachte nicht den gewünschte­n Erfolg, die Frau schrie, A. lief davon. Im Zehn-Minuten-Takt griff er weitere zwei Opfer an, das vierte und letzte um 19.45 Uhr. „Was wollten Sie von der Frau?“, probiert es die Vorsitzend­e erneut. „Ich wollte sie kennenlern­en. Ich habe einen Fehler gemacht.“– „Herr A., wie lernt man Frauen kennen?“, fühlt sich Reich von dem jungen Mann, der in seiner Heimat ein Studium begonnen hatte, nicht ganz ernst genommen.

„Normalerwe­ise spricht man sie an.“– „Und wann wäre die Kennenlern­phase überwunden gewesen?“– „Das braucht sicher einige Zeit.“– „Was war damals konkret Ihr Plan?“– „Ich habe mir keine Gedanken gemacht, erst jetzt in Haft.“– „Herr A., jetzt rennen drei Frauen vor Ihnen weg, und Sie denken sich in der Situation nix?“, reagiert die Vorsitzend­e ungläubig. Einen guten Monat später kam A. wieder vom Deutschkur­s. „Ich bin in der Straßenbah­n gesessen und habe eine Frau gesehen. Ich habe sie nach ihrem Namen und ihrer Adresse gefragt, habe aber ihre Antwort nicht verstanden“, begründet der Angeklagte wieder mit der Sprachbarr­iere, warum er dem Opfer bis in den Hausflur folgte.

Er berührte sie zunächst auf dem Gesäß, nach seiner Darstellun­g stolperte sie, er legte sich auf sie, hielt sie fest und betastete ihre Scheide. „Was wäre der nächste Schritt gewesen? Und sagen Sie bitte nicht , kennenlern­en‘!“, ringt Reich ein einziges Mal merkbar um Fassung. „Ich habe schon an Sex gedacht“, sagt der Angeklagte leise.

Seine Mutter, auf deren Anraten hin er sich nach medialer Fahndung bei der Polizei gestellt hat, schluchzt laut auf, als nach der Beratung das Urteil verkündet wird: Bei einem Strafrahme­n von einem bis zehn Jahren erhält A. dreieinhal­b Jahre Haft für versuchte Vergewalti­gung.

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