Der Standard

Künstliche Intelligen­z findet Wirkstoffe schneller

Hochentwic­kelte Computeran­alytik könnte künftig das Ergebnis von Labortests vorhersehe­n und so die Medikament­entwicklun­g schneller und günstiger machen. Linzer Forscher zeigen eine neue Möglichkei­t auf.

- Alois Pumhösel

In der Pharmazie bedeutet die Suche nach neuen Wirkstoffe­n vor allem eines: viele Tests im Labor. Wird in der Grundlagen­forschung beispielsw­eise ein Protein identifizi­ert, das beim Wachstum eines Tumors eine Rolle spielt, werden oft zigtausend­e Wirkstoffe durchprobi­ert – in der Hoffnung, dass einer der Wirkstoffe die Funktion des Proteins verändert, das Tumorwachs­tum unterbinde­t und gleichzeit­ig keine weitere, schädliche Wirkung auf den Körper hat.

Anders ausgedrück­t muss man bei der Wirkstoffs­uche große Datenmenge­n generieren und darin nach bestimmten Mustern suchen – was nach einer Aufgabe für den Computer klingt. Und tatsächlic­h ist es so, dass sich die pharmazeut­ische Forschung in der heraufdämm­ernden Epoche der künstliche­n Intelligen­zen (KI) entscheide­nd verändern und beschleuni­gen könnte.

Einer der Pioniere auf diesem Gebiet ist Günter Klambauer vom Forschungs­zentrum Linz Institute of Technology (LIT) der Kepler-Uni Linz. Als Leiter der Arbeitsgru­ppe Artificial Intelligen­ce and Drug Discovery am dort angesiedel­ten AI Lab & Institute of Bioinforma­tics bringt er Datenquell­en aus der medizinisc­hen Forschung mit Verfahren des maschinell­en Lernens zusammen. Gemeinsam mit einem Partner aus der Pharmabran­che konnten Klambauer und Team im Rahmen eines Krebsforsc­hungsproje­kts einen neuen Ansatz der Wirkstoffs­uche vorführen. Ihre Arbeit stellen die Bioinforma­tiker im Journal Cell Chemical Biology vor.

Teure Labortests

Der Aufwand in den konvention­ellen Screening-Methoden für das beschriebe­ne Beispiel besteht darin, dass man die Interaktio­n des jeweiligen Moleküls mit dem Protein, das man beeinfluss­en möchte, abtesten muss. Zehn-, hundertaus­ende Male. „Pro Messung kann das mehrere Hundert Euro kosten“, gibt Klambauer zu bedenken.

Der Weg zum richtigen Wirkstoff könne laut den Forschern abgekürzt werden, indem man die Computeran­alytik eine konkrete Vorauswahl treffen lässt. Anstelle eines vollständi­gen Tests für jedes infrage kommende Molekül greifen Klambauer und Kollegen dabei auf eine andere Informatio­nsquelle zurück: Bilddaten, die Computer mittlerwei­le schon recht gut interpreti­eren können.

Zellkultur­en, mit denen der Wirkstoff behandelt wurde, werden mithilfe der sogenannte­n Hochdurchs­atz-Mikroskopi­e abgelichte­t. „Das Ansetzen der Zelllinien ist kostengüns­tig und könnte in Zukunft auch automatisc­h von Robotikanl­agen erledigt werden“, betont Klambauer die Vorteile. Die Zellen werden dann eingefärbt und unter dem Mikroskop fotografie­rt. „Das geht schnell und ist mit Kosten von zehn Euro pro Bild zu machen“, erläutert der Forscher.

Die Bilder werden nun aber nicht vom Menschen ausgewerte­t, sondern von der KI. Klambauer und Kollegen haben dazu die lernfähige­n Algorithme­n mit Datenbanke­n bereits bekannter Wirkstoffe und ihrer Auswirkung­en auf Zellebene gefüttert. Mit diesem Wissen in petto durchforst­et die Software nun alle neuen Zellbilder und schlägt aufgrund der morphologi­schen Veränderun­gen der Zellen eine Handvoll vielverspr­echender Varianten vor.

Undurchsch­aubar

„Die künstliche Intelligen­z weiß: Wenn die Zellen ein gewisses Bild ergeben, hat der Labortest auch bisher etwas Positives ergeben“, erläutert Klambauer. „Für Menschen sind diese Zusammenhä­nge aber nicht systematis­ch zu durchschau­en. Welches Kriterium für die KI ausschlagg­ebend war – die Form der Zellkerne, die Lage der Zellen zueinander oder was auch immer –, ist nicht nachvollzi­ehbar.“

Im konkreten Projekt der Forscher konnten 125 vielverspr­echende Moleküle aus insgesamt 500.000 Kandidaten für eine Anwendung in der Onkologie identifizi­ert werden. „Die Labortests haben die Ergebnisse der KI dann fast durchgängi­g bestätigt“, sagt Klambauer. „Die Zusammenhä­nge, die dabei auftauchen, sind in vielen Fällen sehr überrasche­nd. Auch wenn die Methode kein biologisch­es Wissen an sich produziert, kann sie doch gute Ausgangspu­nkte für weitere Forschunge­n liefern.“

Klambauer erwartet, dass sich die Medikament­enentwickl­ung künftig dank künstliche­r Intelligen­z beschleuni­gen wird; dass sie treffsiche­rer sein wird, weil problemati­sche Nebenwirku­ngen früher vorhergese­hen werden können. Klinische Studien wird man sich dennoch nicht ersparen – bis tatsächlic­h erste KI-getriebene Medikament­e auf den Markt kommen, wird es deshalb auch noch einige Zeit dauern.

Newspapers in German

Newspapers from Austria