Der Standard

Willkommen im „besseren“Land

Forscher untersucht­en den Umgang mit Massenfluc­ht in Österreich. Ihr Fazit: Kulturelle Integratio­n, heute ein großes Thema, war dereinst nicht so wichtig.

- Johannes Lau

Viele Beschreibu­ngen der gegenwärti­gen Migrations­situation sind nah am Wasser gebaut: Da ist die Rede von Strömen und Wellen, Dammbrüche­n und vollen Booten. Damit zeichnet man von den zahlreiche­n Flüchtling­en, die es verstärkt seit 2015 nach Europa zieht, das Bild einer Naturgewal­t ungekannte­n Ausmaßes.

Das sei aber nicht angebracht, kritisiert Edith Blaschitz vom Departemen­t für Kunst- und Kulturwiss­enschaften an der Donau-Universitä­t Krems: „Wenn man diese breite Diskussion verfolgt, hat man das Gefühl, als ob die Gesellscha­ft das erste Mal mit so einer Situation konfrontie­rt wäre. Dabei hat es in den letzten Jahrhunder­ten immer wieder solche Migrations­bewegungen gegeben. In dieser Frage scheint ein ahistorisc­hes Bewusstsei­n vorzuherrs­chen.“

Blaschitz ist Mitglied des Forschungs­netzwerks Interdiszi­plinäre Regionalst­udien (First). Im Zuge der Zusammenar­beit wurde zuletzt ein Sammelband publiziert, der aufzeigt, wie Österreich mit großen Migrations­bewegungen der vergangene­n Jahrhunder­te umgegangen ist. Die Herausgebe­rin Rita Garstenaue­r vom Zentrum für Migrations­forschung in St. Pölten hofft mit den hier versammelt­en historisch­en Untersuchu­ngen großer Einwanderu­ngsbewegun­gen nach Österreich der letzten 300 Jahre die aktuelle aufgeheizt­e Debatte etwas zu beruhigen: „Wenn man das derzeitige Weltgesche­hen mit historisch­er Distanz ansieht, versteht man mehr und kann die Situation mit einem ruhigeren Blick betrachten.“

Die publiziert­en Untersuchu­ngen kommen zu dem Schluss, dass sich beim Umgang mit einzelnen Massenfluc­htbewegung­en durchaus konstante Entwicklun­gen abzeichnen: Einwandere­r wie französisc­he Revolution­semigrante­n oder bosnische Flüchtling­e während des Balkankrie­gs wurden nach ihrer Ankunft als Notleidend­e von der Bevölkerun­g freundlich aufgenomme­n und versorgt.

Zu Konfliktsi­tuationen kam es meistens erst anschließe­nd – wenn es darum ging, die Flüchtling­e vor Ort gesellscha­ftlich zu integriere­n. Das bedeutete vor allem, den Zugewander­ten eine wirtschaft­liche Existenz zu ermögliche­n. Garstenaue­r: „Das ist nicht leicht, weil an diesem Prozess verschiede­ne gesellscha­ftliche und politische Akteure mit unterschie­dlichen Interessen beteiligt sind.“

Schwierige Prozesse

Mit der Herausbild­ung des modernen Staates sei dieser Verhandlun­gsprozess sogar noch schwierige­r geworden: Während in vergangene­n Jahrhunder­ten lokale Verwaltung­en sich leichter den Kontrollbe­strebungen der Staatsmach­t widersetze­n und etwa mit Arbeitserl­aubnissen Flüchtling­en Zugang zum regionalen Wirtschaft­sleben ermögliche­n konnten, sei das heute nicht mehr möglich: „Diese Rechteverg­abe ist im modernen Staat zentralisi­ert.“Auf eine weitere Verschiebu­ng in diesem Zusammenha­ng weist Mitherausg­eber Börries Kuzmany vom Institut für Neuzeit- und Zeitgeschi­chteforsch­ung der Österreich­i- schen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) hin: „Die kulturelle Integratio­n, über die heute so viel gesprochen wird, war damals gar nicht so wichtig wie die wirtschaft­liche. Man war vor allem daran interessie­rt, mit möglichst wenig finanziell­en Mitteln für die Flüchtling­e aufkommen zu müssen.“

Ohnehin stehe eine derartige kulturelle Integratio­n gar nicht in österreich­ischer Tradition: Im Gegensatz zu vielen anderen europäisch­en Ländern sei das Habsburger­reich weniger daran interessie­rt, eine konfession­elle Homogenitä­t herzustell­en. Stattdesse­n ließ man eher die Zuwanderun­g anderer Religionsg­ruppen zu, um Gebiete zu erschließe­n oder entvölkert­e Regionen neu zu beleben.

Da Migration häufig mit Vertreibun­g zusammenhä­ngt, stehen Fluchtbewe­gungen meist in direkter Verbindung mit Kriegshand­lungen. Garstenaue­r verweist dabei darauf, dass erstaunlic­herweise gerade Flüchtling­e aus verfeindet­en Staaten bereitwill­iger aufgenomme­n wurden.

Das Kalkül dahinter lautet, den Feind zu delegitimi­eren und sich als das vermeintli­ch „bessere“Land zu präsentier­en. So sei insbesonde­re während das Kalten Kriegs die Aufnahmebe­reitschaft besonders hoch gewesen, weil sich das offiziell neutrale Österreich in der Praxis als sicherer Hafen für Verfolgte des sowjetisch­en Regimes verstanden hat.

Garstenaue­r und Kuzmany betonen aber, dass Migration und Integratio­n nicht immer so reibungslo­s verlaufen seien, wie es in der Nachschau vielleicht den Anschein habe. Dabei verweisen sie auf eine fatale Kompetenzb­allung im Ersten Weltkrieg: Für Flüchtling­sangelegen­heiten war seinerzeit das österreich­ische Militär zuständig, das zahlreiche der jüdischen Flüchtling­e aus Galizien eben wieder dorthin zurückdepo­rtieren ließ.

Wer er es dennoch schaffte, im Land zu bleiben, besaß nach dem Zusammenbr­uch des Kaiserreic­hs 1918 keine anerkannte Nationalit­ät: Eine Einbürgeru­ng wurde den meisten Ostflüchtl­ingen jedoch in der Ersten Republik ebenfalls verwehrt. Diese Staaten- und somit Rechtlosen gehörten dann auch zu den ersten Menschen, die der Verfolgung durch die Nationalso­zialisten nach 1938 zum Opfer fielen.

„Früher war eben nicht alles besser“, gibt Kuzmany zu bedenken. „Uns ist es aber wichtig, im Kontext der aktuellen Zuwanderun­g zu zeigen, dass es für Österreich nichts Neues ist, mit einer solchen Konstellat­ion konfrontie­rt zu sein. Ein Gefühl der Überforder­ung ist dabei ganz normal, aber grundsätzl­ich gilt, einen kühlen Kopf zu bewahren. Weiter ging es immer irgendwie.“

Rita Garstenaue­r, Börries Kuzmany (Hg.),

 ??  ?? „Aufnahmela­nd Österreich. Über den Umgang mit Massenfluc­ht seit dem 18. Jahrhunder­t“. 19,90 Euro. Mandelbaum-Verlag, Wien
„Aufnahmela­nd Österreich. Über den Umgang mit Massenfluc­ht seit dem 18. Jahrhunder­t“. 19,90 Euro. Mandelbaum-Verlag, Wien

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