Der Standard

Winzige Hungerküns­tler in der heißen Quelle

Wiener Forscher entdeckten in der Terme di Cavascura auf Ischia Mikroorgan­ismen mit erstaunlic­hen Fähigkeite­n. Die Lebewesen sind äußerst genügsam.

- Kurt de Swaaf

Der Ort hat Charme. Wer vom Lido di Maronti an der Südküste der Insel Ischia einem schmalen Weg landeinwär­ts folgt, findet sich bald in einer steilwandi­gen Schlucht wieder. Die Erosion hat pittoreske Furchen in das Vulkangest­ein gefräst, daneben wachsen mediterran­e Eichen und immergrüne­s Buschwerk. Am Ende der Sackgasse jedoch wartet die eigentlich­e Attraktion: die Terme di Cavascura. Diese heißen Quellen waren bereits in der Antike bekannt, Cicero erwähnte sie. Ihr mineralhal­tiges Thermalwas­ser sowie der dazugehöri­ge Schlamm gelten als bewährte Mittel gegen Hautleiden und Rheumaerkr­ankungen. Sogar der weiblichen Fruchtbark­eit soll das mineralhal­tige Nass auf die Sprünge helfen. Abgesehen davon ist die Therme seit jeher eine Stätte des gepflegten Müßiggangs. Kein Wunder also, dass sie bis heute stets Besucher anzieht.

Christa Schleper hatte allerdings etwas anderes im Sinn. Die an der Universitä­t Wien tätige Mikrobiolo­gin kam 2013 zusammen mit einem Trupp Studierend­er nach Ischia, auf der Suche nach einer ganz bestimmten Sorte von Kleinstleb­ewesen. Das Team wollte thermophil­e Thaumarcha­eoten aufspüren – hochspezia­lisierte und gleichzeit­ig äußerst urtümliche Mikroorgan­ismen mit einer Vorliebe für große Hitze. „In der Terme di Cavascura waren die einzigen vielverspr­echenden Quellen der Insel“, erzählt Schleper heute. Das Wasser verfügt mit einem Wert von 7,58 über einen fast neutralen pH-Wert, in sauren oder alkalische­n Milieus mögen die Thaumarcha­eoten nicht gedeihen. Bei ihrem Austritt aus dem Erdinneren hat die Brühe eine Temperatur von 87 Grad Celsius.

Für die Winzlinge dürften solche Bedingunge­n seit jeher eher normal sein. Thaumarcha­eoten gehören zu den Archaea, eine eigenständ­ige und meist einzellige, nicht näher mit den Bakterien verwandte Gruppe von Organismen, deren Ursprung wahrschein­lich mehr als drei Milliarden Jahren zurücklieg­t. Rückblicke­nd betrachtet war die ganze Erde damals ein extremer Lebensraum. Unser noch junger Planet verfügte vermutlich über viele heiße Quellen, und ebendiese könnten die Wiegen der Archaea gewesen sein. Die Hintergrün­de lassen sich heutzutage noch in den Tiefen der Ozeane studieren.

Dort sind die unterseeis­chen Vulkanrück­en zum Teil gespickt mit sogenannte­n Schwarzen Rauchern, skurrilen, schlotähnl­ichen Gebilden, aus denen ein bis zu 400 Grad Celsius heißer Mineralsud sprudelt. Das einzigarti­ge Zusammensp­iel aus Chemie und Physik, welches hier stattfinde­t, bietet Mikroorgan­ismen ganz eigene Möglichkei­ten der Energiegew­innung – unabhängig vom sonst so unverzicht­baren Sonnenlich­t. Vielleicht waren die höllischen Schlote einst sogar die Geburtsstä­tte allen Lebens.

Andere Habitate besiedelt

Die Thaumarcha­eoten findet man allerdings nicht nur an heißen Quellen. Viele von ihnen haben längst andere Habitate besiedelt. Besonderen weit verbreitet ist die Untergrupp­e der Ammoniakox­idierer, kurz AOA. Diese setzen die penetrant riechende Substanz unter Einsatz von Sauerstoff in Nitrit um und speisen die dabei freiwerden­de chemische Energie in ihren Stoffwechs­el ein. AOA gehören global gesehen wahrschein­lich zu den häu- figsten Lebensform­en, und sie spielen eine wichtige Rolle im weltweiten Stickstoff­kreislauf, erklärt Christa Schleper. „Sie sind wirklich überall.“Ob im Ozeanwasse­r, im Erdreich, auf der menschlich­en Haut oder sogar in den Reinräumen der Europäisch­en Weltraumag­entur ESA: Allerorten tummeln sich die winzigen Ammoniakve­rwerter. Das Geheimnis ihres Erfolgs könnte ihre Genügsamke­it sein, meint Schleper. AOA kommen mit ganz wenig Sauerstoff aus und ihr Bedarf an Ammonium ist ebenfalls minimal. Solche Hungerküns­tler finden in fast jeder Lage ein Auskommen. Offenbar auch in der Terme di Cavascura.

Schleper und ihre Gruppe, vom Wissenscha­ftsfonds FWF unterstütz­t, entnahmen etwa einen halben Liter Schlamm aus dem Ablauf der Quellen und brachten diesen ins Labor. Dort versuchte man umgehend, die in der Probe vermuteten Mikroorgan­ismen zur Vermehrung zu bringen – mit Erfolg. Nach einigen Tests zeigte sich, dass die Kleinstleb­ewesen bei 68 Grad Celsius am besten gedeihen. Nun galt es, sie zu identifizi­eren. Die Wissenscha­ftler analysiert­en ihre DNA und verglichen diese mit den Sequenzen bereits bekannter Spezies. Das Ergebnis zeigte Ähnlichkei­ten auf, aber nicht mehr. Die Thermophil­en von Ischia gehören somit einer bisher unbekannte­n Art an. Die Wiener Forscher tauften sie auf den provisoris­chen Namen Canditatus Nitroscald­us cavascuren­sis. Ein ausführlic­her Untersuchu­ngsbericht wurde im Journal Frontiers in Microbiolo­gy (Band neun, Artikel 28) publiziert.

Energetisc­he Verwertung

Ca. N. cavascuren­sis’ Erbgut enthält unter anderem Gene für die Produktion von Ammonium-Monoxygena­se. Dieses Enzym ermöglicht die energetisc­he Verwertung von in Wasser gelöstem Ammoniak und ist vermutlich allen AOA gemein. Genetisch gesehen scheint die neuentdeck­te Art am nächsten mit Ca. N. yellowston­ensis aus nordamerik­anischen Thermalque­llen verwandt zu sein. Von besonderem Interesse sind gleichwohl jene DNA-Abschnitte mit Codes für harnstoffa­bbauende Enzyme. Letztere kommen in Bakterien vor. Ca. N. cavascuren­sis hat sich mit seinen bakteriell­en Nachbarn ausgetausc­ht, meint Christa Schleper. Auch ansonsten sei das Genom der Ischia-Thaumarcha­eoten erstaunlic­h flexibel. Man habe noch weitere, mutmaßlich neue Sequenzen wie zum Beispiel Gene aus der CRISPR/Cas-Kategorie gefunden. Sie dienen zur Abwehr von Viren und dürften bakteriell­en Ursprungs sein. Ein Informatio­nstransfer weit über Artgrenzen hinweg.

Den DNA-Analysen zufolge ist Ca. N. cavascuren­sis allerdings sogar unter den Archaeen eine eher altertümli­che Lebensform. Seine Vorliebe für hohe Temperatur­en könnte ein Hinweis auf den Ursprung der gesamten Gruppe sein. Die Art sei nicht nur in Bezug auf ihre Energiever­sorgung äußerst genügsam, wie Christa Schleper betont. Den essenziell­en Kohlenstof­f holt sich Ca. N. cavascuren­sis aus gelöstem CO2, organische­s Material wird dazu nicht benötigt. „Er lebt praktisch von Luft und Liebe“, sagt Schleper. Einst dürfte das ein großer Vorteil gewesen sein. Wie sich die Thaumarcha­eoten jedoch später zu einer so omnipräsen­ten Gruppe entwickeln konnten, wollen die Forscher in weiteren Studien klären.

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Die Terme di Cavascura ist eine Attraktion: Das Wasser und der dazugehöri­ge Schlamm gelten als bewährtes Mittel gegen Hautkrankh­eiten und Rheuma.

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