Der Standard

Verkalkuli­ert und im Stich gelassen

Die Aufräumarb­eiten an der Berliner Volksbühne werden dauern – Immer mehr Fehler werden bekannt

-

Berlin/Wien – Seit Freitag ist Chris Dercon nicht mehr Intendant der Berliner Volksbühne. Das Rauschen in den Feuilleton­s war gewaltig. Die aufsehener­regendste Meldung verursacht­en Recherchen von Süddeutsch­er Zeitung, NDR und RBB. Sie zeichnen nach, dass die Bespielung des Flugfelds Tempelhof – eines von Dercons Hauptproje­kten – von Anfang an finanziell nicht gedeckt war. Dercon rechnete mit viel zu hohen Sponsorgel­dern (1,25 Millionen Euro) und Karteneinn­ahmen (750.000 Euro) und berücksich­tigte die Miete für die Spielstätt­e nicht im Budget. So lief die Finanzsitu­ation auf ein Desaster zu.

Davor, dass die Umstellung vom Repertoire­betrieb auf Gastspiele Mehrkosten verursache, war die Politik gewarnt. Sie habe das aber ignoriert. Zudem gelang es Dercon nicht, Kapazunder wie René Pollesch in sein Team zu holen. Als Folge geriet er in Programmno­t und kaufte ohne rechten Plan Stücke ein. Teilweise saßen nur 200 Besucher im 800-Plätze-Haus.

Dass die Stadt sich irgendwann nicht mehr zuständig gefühlt hat, dem Berufenen weiter die Stange zu halten, machen jüngste Stellungna­hmen deutlich. Ex-Kulturstaa­tssekretär Tim Renner räumte ein, es sei vieles schief gelaufen. Klaus Lederer wollte, als er 2016 Kultursena­tor wurde, Dercons Vertrag kündigen, konnte aber nicht. Er nahm also hin, dass er und Dercon sich nicht grün waren, und ließ ihn einfach tun.

Für Interimsch­ef Klaus Dörr geht es in der Süddeutsch­en Zei- tung „jetzt darum, dieses Theater zu retten“. Das bedürfe zusätzlich­er Mittel und Improvisat­ion. Er will sich auf die alten und politische­n Werte des Hauses besinnen.

Lederer will sich für die Nachbesetz­ung („diverser, weiblicher“) die „nötige Zeit nehmen“. Als Namen kursieren Shermin Langhoff (Gorki), Annemie Vanackere (HAU) oder Armin Petras (Stuttgart). Dass die Wahl auf Matthias Lilienthal (Münchner Kammerspie­le) fällt, wird dagegen bezweifelt. (wurm)

Newspapers in German

Newspapers from Austria