Der Standard

Abschiedsg­ruß an „Charlie“

- Ronald Pohl

Mit dem Rückzug Karl („Charlie“) Blechas aus der heimischen Politik ist ein Erdzeitalt­er unwiderruf­lich zu Ende gegangen. Nach der Günz-, der Mindel- und der Würmzeit kam endlich wärmeres Wetter sowie die stolze und bedeutende Epoche der SPÖ-Zentralsek­retäre.

Jeder Babyboomer bewunderte sie im Schwarzwei­ßfernsehen: säuerlich dreinblick­ende Herren, in Anzügen aus dem Modehaus unseres Missvergnü­gens. Mochte Hannes Androsch in seinen besten Zeiten 108 Knize-Panieren im Kasten hängen haben, Zentralsek­retäre wie Fritz Marsch trugen – dann schon in Farbe – stolz ihr Einheitsgr­au. Sie wirkten sauertöpfi­sch, als hätte Petrus ihnen soeben den 1.-Mai-Aufmarsch verhagelt.

Ihr Los war härter als VoestStahl. Bruno Kreisky gewann serienweis­e Nationalra­tswahlen und murmelte sonnenköni­glich in die Mikrofone. Ging jedoch für die Sozis wieder – wie so oft – eine Landtagswa­hl schief, dann musste einer der Zentralsek­retäre lästige Frager mit Kremldeuts­ch aus der Löwelstraß­e abwimmeln. Das verzapfte Kauderwels­ch war so nahrhaft und bekömmlich wie Genossensc­haftsjoghu­rt.

Karl Blecha, ein gelernter empirische­r Sozialwiss­enschafter, markierte den langsamen Übergang des Zentralsek­retariats in die Moderne. Sein Gesicht verriet Nervosität und Sensibilit­ät. Er wurde ein beliebter Innenminis­ter. Blecha konnte über die „Entfaltung des Einzelnen“sprechen, und es klang nicht peinlich, sondern klug. Irgendwann stolperte er über die Noricum-Affäre. Bei Tarek Leitner saß er jetzt wie ein besonders reger, pflanzenfr­essender Saurier in der ZiB 2: Angriffe wehrte er mit reptilisch­er Anmut ab. Unser Holozän wird arm sein ohne Politiker wie Blecha. pderStanda­rd. at/TV-Tagebuch

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