„Bei uns kann man sich wehren, wenn man beschimpft wird“
US-Giganten wie Google, Facebook und Co an die Kandare nehmen wollen ProSiebenSat1Puls4-Chef Markus Breitenecker und Puls4-Infochefin Corinna Milborn. Wie, ist ab Mittwoch Thema beim 4GameChangers-Festival.
Standard: Ihre Veranstaltung steht auch unter dem Motto „Das Netz von Google und Facebook zurückerobern“. Sie haben bereits einen Teilrückzug aus Facebook angetreten – in Richtung Blog. Warum? Milborn: Facebook hat einen bestimmten Mechanismus, wie es den Newsfeed zusammenstellt. Der Newsfeed ist ein Medium wie etwa auch derStandard.at, er ist redaktionell zusammengestellt. Facebook wählt aus, was ich sehe und was es belohnt. Die Mechanismen dahinter sind übel, weil Polarisierung belohnt wird. Alles, was Reaktionen hervorruft, wird belohnt. Sie spülen Hass nach oben. Sie fördern Spaltung und Filterblasen. Das hat einen Einfluss auf die Art, wie Menschen diskutieren und schreiben.
Standard: Jetzt ist es besser? Milborn: Ich versuche aufzuklären, verschiedene Zugänge offenzulegen, wie ich zu meiner Meinung komme – und das alles wird von Facebook bestraft. Der Einfluss von Facebook auf Parteien und Medien ist, dass alles simplifiziert wird. Greift man jemanden an, bekommt man besonders viele Likes. Das ist total demokratiezersetzend, und ich habe keine Lust mehr, Facebook Dinge zu schenken, an denen ich arbeite.
Standard: Aus Sicht Ihrer Senderfamilie: Ist es nicht ein Widerspruch, einerseits auf Facebook zu schimpfen, andererseits mit allen Kanälen dort präsent zu sein? Breitenecker: Richtig. Das ist ein Hauptthema, das wir auch beim 4GameChanger-Festival diskutie- ren. Wir sehen Facebook und Youtube als Konkurrenzmedien und nicht als unabhängige Plattformen oder als Host-Provider. In Wirklichkeit sind das Medien, die Inhalte vorher filtern und Werbung rundherum verkaufen. Die Hauptteile von Facebook, eben der Newsfeed, und das Autoplay von Youtube sind für uns Medien – nach eigentlich allen europäischen Mediengesetzen. Daher sind das Mitbewerber und Hauptkonkurrenten.
Standard: Komplett weg aus Facebook ist eine Option? Breitenecker: Wir würden Facebook so behandeln wie auch andere Medien. Man gibt ja manchmal auch Ö1 ein Interview oder dem STANDARD, obwohl das andere Medien sind. Das heißt nicht, dass man alles verbannt, aber man setzt sie in dem Bewusstsein ein, dass das nicht Plattformen sind, sondern Medien und Mitbewerber.
Standard: Facebook hat mit mehr als zwei Milliarden Nutzern eine Größe erreicht, die es schwermacht, überhaupt eine Konkurrenzplattform aufzubauen. Geht das noch? Breitenecker: Unsere Meinung ist: ja. Obwohl Facebook derzeit ein Defacto-Social-Media-Monopol hat, glauben wir trotzdem, dass es möglich ist – wenn wir in Europa Medienallianzen schließen und gemeinsam eine Finanzierung als europäische Player auf die Beine stellen, gibt es eine Chance, europäische Destinationen zu entwickeln. Die nächste technische Revolution kommt. Und wer sagt, dass Facebook auf alle Zeit eine Monopolstellung haben muss?
Standard: Keine Kapitulation, sondern eigene Gesetze? Milborn: Es ist nicht neu, dass eine Medienrevolution solche gesellschaftlichen Verwerfungen nach sich zieht. Das war beim Buchdruck so, beim Flugblatt mit den Hexenverbrennungen, beim Radio und Fernsehen, die vom Faschismus genutzt wurden. Wir stehen mittendrin, hätten die Regeln, es zu ändern. Über Jahrhunderte haben wir uns medienrechtliche Grundsätze erarbeitet, diese Regeln sind aber nicht auf die neuen Spieler angepasst. Diesen Schritt brauchen wir. Mit der Erfahrung von Faschismus existieren in Europa ganz andere Regeln beim Persönlichkeitsschutz und bei der Privatsphäre als in den USA. Bei uns kann man sich wehren, wenn man beschimpft wird.
MARKUS BREITENECKER (49) ist Geschäftsführer von ProSiebenSat1Puls4. CORINNA MILBORN (45) ist Infochefin von Puls 4. pLangfassung: derStandard.at/Etat