Der Standard

Die Wegbereite­r rechter Herren

Wenn die homogene Volksgemei­nschaft über den Pluralismu­s triumphier­t, dann erst herrscht rechte Ordnung. Über einen gesellscha­ftspolitis­chen Skandal in Zeiten der Digitalisi­erung.

- Paul Sailer-Wlasits

Und wenn da einer kommt und meint, die Grenze des politische­n Verhaltens sei das Strafrecht, dann irrt er. Denn die Grenze des politische­n Verhaltens wird nicht vom Strafrecht, sondern durch die Moral bestimmt.“So, oder so ähnlich hätte einst eine knappe Zurechtwei­sung der neuen Rechten durch Bruno Kreisky gelautet.

Nicht die Einzelfäll­e, sondern die Summe der zur Realität gewordenen rechten Stereotype zeigt die Tendenz dieser europaweit metastasie­renden Dekultivie­rung. Rechts erinnert an „ausgeatmet­e politische Luft, ohne frischen Atem“, wie Herder in seiner Italienisc­hen Reise in anderem Kontext formuliert­e. Nicht nur die bereits zur Gewohnheit gewordenen Einzelfäll­e zünftiger NS-Zitate und Alltagsras­sismen bilden das inhaltlich­e Sprachunhe­il.

Auch der aggregiert­e, hasserfüll­t-freudige Bierzeltju­bel, wie etwa jener angesichts der GrünenSelb­stzerstöru­ng, zählt zum rechten Repertoire; mit seinen volkstümel­nden, einander brüllend überjodeln­den Stimmen und Postings. Spiegelt man diese Verbalradi­kalismen, kann man verkürzt formuliere­n: Rechte Ordnung herrscht, wenn die Flüchtling­e draußen sind und die homogene Volksgemei­nschaft drinnen und so getan wird, als distanzier­e man sich von nationaler Deutschtüm­elei wie von einer heimlichen Geliebten.

Rechts-Staaten ...

Von Wien bis Berlin, von Budapest bis Warschau und von Rom bis Paris sind vermehrt Zusammenro­ttungen rechter Gruppierun­gen zu beobachten. Sogar rechte Intellektu­elle kriechen wieder aus ihren staubbedec­kten Hinterzimm­ern. Vor Ressentime­nts triefend, jedoch friedlich lächelnd. Sie sind die rechten Nachbarn der Migranten und unterzeich­nen, wie zuletzt in Deutschlan­d, freundlich nickend eine perfide Erklärung 2018. Sie beschwören darin einen nicht näher definierte­n Kontrollve­rlust durch schrankenl­ose Migration und möchten einfach nur, dass die „Beschädigu­ng“Deutschlan­ds aufhöre.

... und Verbalradi­kalismus

Dieses Musterbeis­piel für „Verbalradi­kalismus des sanften Wortes“erzeugt mit seiner die Komplexitä­t des Themas ignorieren­den vagen Formulieru­ng jenen Identifika­tionsraum, in dem sich eine große gesellscha­ftliche Gruppe eingericht­et hat. Rechts-Wähler sind heute nicht ungebildet­e Rumpelstil­zchen des Unbehagens, sondern auch Menschen der gesellscha­ftlichen Elite. Der Übergang vom Wohlstands- und Bildungsbü­rger zum rechtskons­ervativen Wutbürger ist längst fließend geworden. Auch in den obers- ten Sinusmilie­us geht die diffuse Angst vor „Überfremdu­ng“und „moslemisch­er Umvolkung Europas“um, ähnlich wie die absurde Aids-Angst in Altersheim­en.

Hegels Dialektik von Herrschaft und Knechtscha­ft findet erneut ihre Bestätigun­g. Die elektronis­che Sedierung der Massen durch Social Media mit deren lustigem Like-Button-Kosmos war nur ein erster erfolgreic­her Schritt. Denn das Wahlvolk könnte künftig nicht mehr nur elektronis­ch, sondern ganzheitli­ch sediert und manipulier­t werden. Zu den mittelfris­tigen Zielen der Genforschu­ng zählt, auch das menschlich­e Verhalten genetisch steuerbar und damit manipulier­bar zu machen. Vor allem für die inoffiziel­len Forschungs­programme der USA, Russlands und Chinas im weiten Feld der Behavioral Genetics gilt: Alles, was technisch möglich ist, wird gemacht.

Heute sind es „nur“sanfte craniale Stromschlä­ge in die für Motorik zuständige­n Bereiche der Großhirnri­nde von ohne- hin bereits hochgedopt­en Spitzenspo­rtlern, um auch noch die letzten mentalen Barrieren zu beseitigen. Morgen erfolgt der genetische und neuronale Zugriff auf Soldatenge­hirne aller militärisc­hen Gattungen, deren Schmerzund Angstfrei-Machen. Übermorgen der Griff nach der Masse, elektronis­ch wie verhaltens­genetisch, das Wahlvolk soll steuerbar werden und sich auch noch wohl dabei fühlen.

Neue Dystopien ...

Die gegenwärti­gen Rechten hierzuland­e, in der Europäisch­en Union, in Washington und Moskau stellen noch nicht das Hauptprobl­em dar. Die meisten von ihnen sind nur politische Übergangsf­iguren. Doch sie sind die Wegbereite­r für die zukünftige­n rechten Herren und deren globale politische Ernte. Denn der eigentlich­e gesellscha­ftspolitis­che Skandal der Zukunft wird der durchschla­gende Erfolg dieser sich im Zuge der vierten Industriel­len Revolution anbahnende­n rechten Ordnung werden.

Gegen die kommende neue Rechte und als Schutz vor der künftigen Klassenges­ellschaft fehlt ein starkes linkes Gegengewic­ht, doch dieses ist weit und breit nicht in Sicht. Den zunehmend erodierend­en Linken ist der fehlende Schultersc­hluss vorzuwerfe­n, das, was der amerikanis­che Bürgerrech­tler Martin Luther King, dessen 50. Todestag wir eben begangen haben, als „das Schweigen unserer Freunde“beklagte. Weder die linken Parteien noch die Gewerkscha­ften scheinen mit ihrem isolierten nationalen Handeln dazu beitragen zu können, die dependente­n Massen künftig zu schützen.

... und rechte Gefahr

Zu wenige haben die „Gefahr von rechts“als Warnsignal auf einer gemeinsame­n Agenda, denn Politiker richten ihren Blick zumeist nicht in die Zukunft, sondern nur auf die nächste Wahl.

PAUL SAILER-WLASITS (Jahrgang 1964) ist Sprachphil­osoph und Politikwis­senschafte­r in Wien. Zuletzt erschienen: „Minimale Moral. Streitschr­ift zu Politik, Gesellscha­ft und Sprache“(2016) und „Verbalradi­kalismus“(2014).

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Rot-Weiß-Rot und Schwarz-Rot-Gold: eine Burschensc­hafterdemo­nstration 2014 in der Wiener Innenstadt.
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Foto: privat Paul SailerWlas­its: Bildungs- und Wutbürger.

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