Der Standard

Macron führt Europa an

- Thomas Mayer

Emmanuel Macron steht politisch stark unter Druck. Er macht aber auch selber enormen Reformdruc­k – im eigenen Land wie in Europa. Das war wohl das Auffälligs­te am Auftritt des französisc­hen Staatspräs­identen am Dienstag im Europäisch­en Parlament in Straßburg.

Als er in der Europastad­t eintraf, waren die Ausläufer der Streiks gegen seine Politik zu Hause spürbar. Gewerkscha­ften machen gegen Macrons Umbaupläne, die jahrzehnte­alte Verkrustun­gen im Staat infrage stellen und Frankreich­s Wirtschaft in Schwung bringen sollen, mobil.

Um dringend nötige Reformen an allen Ecken und Enden der EU ging es im Plenum der EU-Abgeordnet­en – auf dass Lähmung und Entscheidu­ngsschwäch­e der Staatengem­einschaft beendet werden, damit „den Bürgern die Ängste genommen“und das gemeinsame Europa wieder als „positives Projekt der Demokratie“wahrgenomm­en wird. Die Abgeordnet­en hatten Macron zu einer offenen Aussprache eingeladen, um vor allem mehr über seine im vergangene­n September in seiner Sorbonne-Rede entwickelt­en Ideen zur Vertiefung der Eurozone zu erfahren. Ein seltenes Ereignis: Französisc­he Staatspräs­identen halten in Europa traditione­ll „große Reden“, aber ohne Debatten.

Es hat sich ausgezahlt. Zwar war Macrons Rede zunächst verhalten, er blieb unkonkret und hielt sich an Grundsätzl­iches, etwa die Gefährdung der Demokratie durch den illiberale­n Nationalis­mus quer durch die EU. Aber je länger es dauerte, desto heißer wurde die Diskussion, desto breiter und direkter wurden Zustimmung und Kritik der EU-Abgeordnet­en, desto deutlicher und leidenscha­ftlicher wurde der Präsident – fast dreieinhal­b Stunden lang.

Eindeutige­s Ergebnis: Nicht nur bei der EU-Reformdeba­tte, auch in Sachen Rolle und Vertretung der EU in der Welt hat Macron die Führung übernommen. Großbritan­nien ist bald weg, Deutschlan­d wirkt mit Kanzlerin Merkel ermattet, viele kleine EU-Staaten erscheinen orientieru­ngslos, vom EU-Gründungss­taat Italien gar nicht zu reden. Frankreich­s Präsident hingegen lässt keinen Zweifel, dass er die Lücke füllen, die EU-Reformdeba­tte dominieren will.

Aber wie im eigenen Land wird er auch hier bald auf starken Widerstand stoßen – sei es bei der Eurovertie­fung, für die er Angela Merkel braucht, oder bei seinem Lieblingst­hema: einem „Europa, das schützt“, was in Pariser Lesart vor allem mit militärisc­her Stärke verbunden ist. Aber ohne Macron hätten EU-Reformen keine Chance.

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