Letzter Aufruf für das AMS
Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache drängen auf eine Reform des Arbeitsmarktservice (AMS). Ein grober Fahrplan steht, zunächst bekommen die AMS-Chefs die Chance, selbst Vorschläge zu machen. Große Reformen, etwa eine Schwä
Wien – Deeskalation statt Paukenschlag: Das Treffen zwischen den Regierungsspitzen und den beiden Vorständen des AMS am Mittwoch in Wien ist ohne Köpferollen zu Ende gegangen, nicht einmal richtig kritische Worte hatte man füreinander gefunden. Als konkretes Ergebnis des Gespräches sind die AMS-Vorstände Johannes Kopf und Herbert Buchinger beauftragt worden, bis zum Juni ein Reformkonzept für das AMS auszuarbeiten – um eine effizientere Mittelverwendung zu ermöglichen, wie Kanzler Sebastian Kurz nach dem Treffen betonte. In der Folge will die Regierung die Neugestaltung der Arbeitsmarktpolitik gesetzlich bis zum Jahresende „auf den Boden bringen“, so Kurz. Was zählt zu den Baustellen beim AMS:
In den Augen der Regierung allen voran der Umgang mit Migranten und Flüchtlingen. Auslöser der Aussprache im Bundeskanzleramt am Mittwoch war ein kritischer interner AMS-Revisionsbericht zur Betreuung von Arbeitslosen mit nichtdeutscher Muttersprache. In dem Bericht hatten sich AMS-Betreuer über Vermittlungsprobleme beklagt. Für Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) hätte das AMS früher aktiv werden müssen. Welche Maßnahmen hier Abhilfe schaffen könnten, deuteten weder Kurz noch Strache an. Kurz betonte, dass dafür gesorgt werden müsse, dass Zuwanderer aus anderen Kulturen nicht bereit sind zu arbeiten.
Die türkis-blaue Regierung plant, die Notstandshilfe abzuschaffen. Künftig soll es nur noch eine Arbeitslosenunterstützung geben, daran anschließend würden Leistungen aus der Mindestsicherung.
Derzeit besteht nach dem Ende der Arbeitslosengeldes Anspruch auf Notstandshilfe, der zeitlich theoretisch unbegrenzt ist und ebenfalls vom AMS ausbezahlt wird. Die Regierung versteht dies in vielen Fällen als Einladung, in der sozialen Hängematte Platz zu nehmen. Das soll sich ändern.
Doch dafür gibt es eine praktisch große Hürde. Aktuell prüft das AMS, ob jemand arbeitswillig ist, und sperrt die Notstandshilfe, falls das nicht der Fall ist. Wird die Notstandshilfe gestrichen, würden zehntausende Bezieher in die Mindestsicherung wandern – zuständig für die Auszahlung sind die Sozialämter der Länder. Die Jobvermittlung bliebe beim AMS.
Das AMS müsste also viel intensiver Informationen mit den So- zialämtern austauschen, ansonsten wäre eine Sanktionierung bei Arbeitsunwilligkeit nicht möglich. Die AMS-Vorstände Buchinger und Kopf haben den Auftrag bekommen, für „bessere Schnittstellen“zwischen Sozialämtern und AMS zu sorgen.
Das AMS soll garantieren, dass Informationen über Arbeitslose rasch abrufbar sind. Die Länder müssten die Verarbeitung dieser Daten sicherstellen. Buchinger sagte, die bessere Vernetzung betreffe zunächst anerkannte Flüchtlinge, die in vielen Fällen zunächst Mindestsicherung beziehen. Wenn der Datenaustausch einmal reibungslos funktioniert, sei eine Erweiterung einfach möglich, so Buchinger zum STANDARD .
Eine andere Baustelle betrifft die organisatorische Aufstellung des AMS, genauer gesagt, welchen Einfluss die Sozialpartner künftig spielen sollen. Das oberste Organ des AMS ist der Verwaltungsrat. Sechs der neun Mitglieder stellen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer, den Rest Regierungsvertreter. Aus Sicht des FPÖ geführten Sozialministeriums wäre es interessant, diese Struktur zu ändern. Über die Sozialpartner wird schließlich der großkoalitionäre Einfluss beim AMS zementiert. Auch in den Ländern spielen die Sozialpartner im AMS eine bedeutende Rolle.
Doch die Sozialpartner zu schwächen, ist eine komplexe Aufgabe. Widerstand gibt es etwa in Wirtschaftskammer, die mit der aktuellen Aufstellung zufrieden ist. Wenn die ÖVP-nahen Arbeitgeber im AMS zurückgedrängt werden, wäre das ein klarer Einflussverlust. Warum sollte die ÖVP das akzeptieren? Ein Ende der sozialpartner- schaftlichen Mitsprache würde Entscheidungen beim AMS beschleunigen. Der Rechnungshof hat in der Vergangenheit kritisiert, dass die Organisation zu behäbig agiert. Die Mitsprache der Arbeitgeber- und Arbeitnehmer bedeutet aber aktuell, dass alle relevanten Player gleich am Tisch sitzen.
Ein Dauerbrenner bleiben die vom AMS angebotenen Kurse für Arbeitssuchende. Immer wieder beklagen sich Betroffene, dass sie zum dritten Mal einen Wie-bewerbe-ich-mich-richtig-Kurs absolvieren. Vizekanzler Heinz-Christian Strache forderte eine Evaluierung. Das AMS selbst will mehr langfristige Qualifizierungsmaßnahmen forcieren.
Ausbauen will die Regierung die Regionalisierung des AMS. Eine Idee, die dabei schon länger diskutiert wird, ist, Mangelberuflisten auf die Länder auszuweiten. Zu Mangelberufen haben Arbeitskräfte aus nicht EU-Ländern einfacheren Zugang. Aktuell gibt es nur eine bundesweite Liste. Ein Thema laut Regierungsprogramm ist auch: Welche Wegzeiten sind Arbeitnehmern zumutbar? Aktuell liegt die zumutbare Wegstrecke für einen Vollzeitbeschäftigten bei zwei Stunden. Die Regierung will die zumutbaren Wegzeiten ausdehnen. (szi)
Beim Arbeitsmarktservice wird der Ball nun flach gehalten. Ein Eklat wurde bei einem Treffen der Regierungsspitze mit den AMS-Vorständen vermieden, die Ablöse von Johannes Kopf und Herbert Buchinger steht vorerst nicht zur Debatte. Vielmehr sollen bis zum Sommer Reformen ausgearbeitet werden. Das erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, dass die Regierung das heikle Thema Arbeitsmarkt erst einmal vom Tisch haben will.
Tatsächlich agiert das Kabinett von Kanzler Sebastian Kurz auf dem Gebiet ziemlich unglücklich. Gleich nach Angelobung der Koalition leistete man sich einige Schnitzer rund um die Abschaffung der Notstandshilfe und löste eine heftige Debatte über eine angeblich geplante Einführung des deutschen Grundsicherungssystems Hartz IV aus. Dann folgte das Tauziehen um das AMS-Budget, das in eine saftige Kürzung der Integrationsmittel für Flüchtlinge mündete. Der vorläufige Gipfel war die über die Medien verkündete „Einladung“der AMS-Chefs, die nun am Mittwoch antanzen mussten.
So unprofessionell die Regierung bei dem Thema auch agiert: Den Umkehrschluss, dass beim AMS alles paletti sei, sollte man daraus nicht ziehen. Fehlende Anreize, mangelnde Mobilität, Qualifizierungsdefizite seien als Stichwörter genannt. Allerdings trägt die Politik die Verantwortung für Reformen, nicht die staatliche Arbeitsvermittlung. Die Regierung sollte die Karten auf den Tisch legen.