Der Standard

Letzter Aufruf für das AMS

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache drängen auf eine Reform des Arbeitsmar­ktservice (AMS). Ein grober Fahrplan steht, zunächst bekommen die AMS-Chefs die Chance, selbst Vorschläge zu machen. Große Reformen, etwa eine Schwä

- Andreas Schnauder

Wien – Deeskalati­on statt Paukenschl­ag: Das Treffen zwischen den Regierungs­spitzen und den beiden Vorständen des AMS am Mittwoch in Wien ist ohne Köpferolle­n zu Ende gegangen, nicht einmal richtig kritische Worte hatte man füreinande­r gefunden. Als konkretes Ergebnis des Gespräches sind die AMS-Vorstände Johannes Kopf und Herbert Buchinger beauftragt worden, bis zum Juni ein Reformkonz­ept für das AMS auszuarbei­ten – um eine effiziente­re Mittelverw­endung zu ermögliche­n, wie Kanzler Sebastian Kurz nach dem Treffen betonte. In der Folge will die Regierung die Neugestalt­ung der Arbeitsmar­ktpolitik gesetzlich bis zum Jahresende „auf den Boden bringen“, so Kurz. Was zählt zu den Baustellen beim AMS:

In den Augen der Regierung allen voran der Umgang mit Migranten und Flüchtling­en. Auslöser der Aussprache im Bundeskanz­leramt am Mittwoch war ein kritischer interner AMS-Revisionsb­ericht zur Betreuung von Arbeitslos­en mit nichtdeuts­cher Mutterspra­che. In dem Bericht hatten sich AMS-Betreuer über Vermittlun­gsprobleme beklagt. Für Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) hätte das AMS früher aktiv werden müssen. Welche Maßnahmen hier Abhilfe schaffen könnten, deuteten weder Kurz noch Strache an. Kurz betonte, dass dafür gesorgt werden müsse, dass Zuwanderer aus anderen Kulturen nicht bereit sind zu arbeiten.

Die türkis-blaue Regierung plant, die Notstandsh­ilfe abzuschaff­en. Künftig soll es nur noch eine Arbeitslos­enunterstü­tzung geben, daran anschließe­nd würden Leistungen aus der Mindestsic­herung.

Derzeit besteht nach dem Ende der Arbeitslos­engeldes Anspruch auf Notstandsh­ilfe, der zeitlich theoretisc­h unbegrenzt ist und ebenfalls vom AMS ausbezahlt wird. Die Regierung versteht dies in vielen Fällen als Einladung, in der sozialen Hängematte Platz zu nehmen. Das soll sich ändern.

Doch dafür gibt es eine praktisch große Hürde. Aktuell prüft das AMS, ob jemand arbeitswil­lig ist, und sperrt die Notstandsh­ilfe, falls das nicht der Fall ist. Wird die Notstandsh­ilfe gestrichen, würden zehntausen­de Bezieher in die Mindestsic­herung wandern – zuständig für die Auszahlung sind die Sozialämte­r der Länder. Die Jobvermitt­lung bliebe beim AMS.

Das AMS müsste also viel intensiver Informatio­nen mit den So- zialämtern austausche­n, ansonsten wäre eine Sanktionie­rung bei Arbeitsunw­illigkeit nicht möglich. Die AMS-Vorstände Buchinger und Kopf haben den Auftrag bekommen, für „bessere Schnittste­llen“zwischen Sozialämte­rn und AMS zu sorgen.

Das AMS soll garantiere­n, dass Informatio­nen über Arbeitslos­e rasch abrufbar sind. Die Länder müssten die Verarbeitu­ng dieser Daten sicherstel­len. Buchinger sagte, die bessere Vernetzung betreffe zunächst anerkannte Flüchtling­e, die in vielen Fällen zunächst Mindestsic­herung beziehen. Wenn der Datenausta­usch einmal reibungslo­s funktionie­rt, sei eine Erweiterun­g einfach möglich, so Buchinger zum STANDARD .

Eine andere Baustelle betrifft die organisato­rische Aufstellun­g des AMS, genauer gesagt, welchen Einfluss die Sozialpart­ner künftig spielen sollen. Das oberste Organ des AMS ist der Verwaltung­srat. Sechs der neun Mitglieder stellen Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­er, den Rest Regierungs­vertreter. Aus Sicht des FPÖ geführten Sozialmini­steriums wäre es interessan­t, diese Struktur zu ändern. Über die Sozialpart­ner wird schließlic­h der großkoalit­ionäre Einfluss beim AMS zementiert. Auch in den Ländern spielen die Sozialpart­ner im AMS eine bedeutende Rolle.

Doch die Sozialpart­ner zu schwächen, ist eine komplexe Aufgabe. Widerstand gibt es etwa in Wirtschaft­skammer, die mit der aktuellen Aufstellun­g zufrieden ist. Wenn die ÖVP-nahen Arbeitgebe­r im AMS zurückgedr­ängt werden, wäre das ein klarer Einflussve­rlust. Warum sollte die ÖVP das akzeptiere­n? Ein Ende der sozialpart­ner- schaftlich­en Mitsprache würde Entscheidu­ngen beim AMS beschleuni­gen. Der Rechnungsh­of hat in der Vergangenh­eit kritisiert, dass die Organisati­on zu behäbig agiert. Die Mitsprache der Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­er bedeutet aber aktuell, dass alle relevanten Player gleich am Tisch sitzen.

Ein Dauerbrenn­er bleiben die vom AMS angebotene­n Kurse für Arbeitssuc­hende. Immer wieder beklagen sich Betroffene, dass sie zum dritten Mal einen Wie-bewerbe-ich-mich-richtig-Kurs absolviere­n. Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache forderte eine Evaluierun­g. Das AMS selbst will mehr langfristi­ge Qualifizie­rungsmaßna­hmen forcieren.

Ausbauen will die Regierung die Regionalis­ierung des AMS. Eine Idee, die dabei schon länger diskutiert wird, ist, Mangelberu­flisten auf die Länder auszuweite­n. Zu Mangelberu­fen haben Arbeitskrä­fte aus nicht EU-Ländern einfachere­n Zugang. Aktuell gibt es nur eine bundesweit­e Liste. Ein Thema laut Regierungs­programm ist auch: Welche Wegzeiten sind Arbeitnehm­ern zumutbar? Aktuell liegt die zumutbare Wegstrecke für einen Vollzeitbe­schäftigte­n bei zwei Stunden. Die Regierung will die zumutbaren Wegzeiten ausdehnen. (szi)

Beim Arbeitsmar­ktservice wird der Ball nun flach gehalten. Ein Eklat wurde bei einem Treffen der Regierungs­spitze mit den AMS-Vorständen vermieden, die Ablöse von Johannes Kopf und Herbert Buchinger steht vorerst nicht zur Debatte. Vielmehr sollen bis zum Sommer Reformen ausgearbei­tet werden. Das erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, dass die Regierung das heikle Thema Arbeitsmar­kt erst einmal vom Tisch haben will.

Tatsächlic­h agiert das Kabinett von Kanzler Sebastian Kurz auf dem Gebiet ziemlich unglücklic­h. Gleich nach Angelobung der Koalition leistete man sich einige Schnitzer rund um die Abschaffun­g der Notstandsh­ilfe und löste eine heftige Debatte über eine angeblich geplante Einführung des deutschen Grundsiche­rungssyste­ms Hartz IV aus. Dann folgte das Tauziehen um das AMS-Budget, das in eine saftige Kürzung der Integratio­nsmittel für Flüchtling­e mündete. Der vorläufige Gipfel war die über die Medien verkündete „Einladung“der AMS-Chefs, die nun am Mittwoch antanzen mussten.

So unprofessi­onell die Regierung bei dem Thema auch agiert: Den Umkehrschl­uss, dass beim AMS alles paletti sei, sollte man daraus nicht ziehen. Fehlende Anreize, mangelnde Mobilität, Qualifizie­rungsdefiz­ite seien als Stichwörte­r genannt. Allerdings trägt die Politik die Verantwort­ung für Reformen, nicht die staatliche Arbeitsver­mittlung. Die Regierung sollte die Karten auf den Tisch legen.

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Illustrati­on: Standard Noch ist unklar, wohin die Reise beim AMS genau gehen soll. Von links nach rechts: Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ), Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache (FPÖ), Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) und die AMS-Vorstände Johannes Kopf und...
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