Der Standard

In Zeiten des Terrors verändern sich die Heldentype­n. Das legen die Filme „Stronger“und „15:17 to Paris“nahe. Sie beruhen auf wahren Ereignisse­n.

- Michael Pekler

wann ist man eigentlich ein Held? Wenn man mit einer heroischen Tat, gegen alle Vorsicht und Vernunft, das Leben anderer gerettet hat? Nicht unbedingt. Moderne Helden werden nämlich nicht wie ihre antiken Vorfahren als solche geboren, sondern gemacht. Ihre Taten werden nicht besungen, sondern von Kameras und einem Millionenp­ublikum beobachtet. Und falls ihre Geschichte­n heldenhaft – also attraktiv – genug sind, dann werden sie selbstvers­tändlich auch verfilmt.

Als am 15. April 2013 beim Stadtmarat­hon von Boston eine Bombe explodiert­e, verlor Jeff Bauman, der im Zielgeländ­e auf seine Freundin wartete, beide Beine. Aus dem jungen Mann, der sich mit Prothesen ins Leben zurückkämp­fte, wurde eine Symbolfigu­r des amerikanis­chen Widerstand­s gegen den Terror. Am ersten Jahrestag des Anschlags erschien sein Buch Stronger.

Als am 21. August 2015 im Zug von Amsterdam nach Paris ebenfalls ein islamistis­cher Attentäter das Feuer auf die Fahrgäste eröffnete, stellten sich ihm drei befreundet­e Amerikaner, die als Touristen durch Europa reisten, in den Weg. Der Soldat, der Angehörige der Nationalga­rde und der Student entwaffnet­en den Terroriste­n und schlugen ihn bewusstlos. Vier Monate später erhielten sie aus den Händen von François Hollande den Orden der Ehrenlegio­n, die ranghöchst­e Auszeichnu­ng Frankreich­s. Am ersten Jahrestag des Anschlags erschien ihr Buch The 15:17 to Paris: The True Story of a Terrorist, a Train and Three American Heroes.

Mit Stronger und 15:17 to Paris kommen nun zwei Filme in die Kinos, die sich dieser modernen Heldengesc­hichten annehmen – und zwar aus erstaunlic­h ähnlicher Perspektiv­e: Nicht das Attentat selbst macht diese Männer zu Helden, sondern erst ihr Leben im Davor und im Danach.

Inszeniert vom 43-jährigen David Gordon Green sowie vom 87-jährigen Regieveter­anen Clint Eastwood, mithin Vertretern zweier Generation­en, erklären beide das Heldentum aus den Biografien ihrer Figuren. Für die Bilder des Terrors bleibt in Stronger und 15:17 to Paris indes kaum Zeit: Green reicht sie spät, in wenigen Einstellun­gen nach; bei Eastwood bilden sie eine Rahmenhand­lung für nur wenige Minuten.

„My son is a fuckig hero“, freut sich Baumans trinkfreud­ige Mutter über die Popularitä­t des Sohnes, den Jake Gyllenhaal ungeschönt als einen Mann zeichnet, der unter der ihm aufgebürde­ten Rolle zu zerbrechen droht. Als bei Freunden und Familie vor dem Fernseher Jubel ausbricht, weil einer der Attentäter erschossen wurde, liegt er in einer abgenutzte­n Badewanne – in der er ausgestrec­kt Platz findet. Und seinen Auftritt im Baseballst­adion der Red Socks vor der jubelnden Menge erlebt er als kaum auszuhalte­nden Stresstest.

Green greift dabei auf Bilder zurück, die seit den Heimkehrer­dramen über den Vietnamkri­eg fest im kollektive­n Gedächtnis verankert sind: Bauman ist ein Held wider Willen, der wie der Veteran in Ang Lees Filmdrama Die irre Heldentour des Billy Lynn über einen Heimkehrer aus dem Irakkrieg als nationale Ikone herumgerei­cht wird. Und der Film weist nicht zufällig Parallelen zu Eastwoods Flags of Our Fathers über die medial ausgebeute­ten Helden von Iwo Jima auf.

Entschleun­igte Routine

Sowohl Stronger als auch 15:17 to Paris sind alles andere als Antiterror­filme, und für einen Patriotism­us alter Schule ist dort wie da kein Platz. Im Zentrum steht die reine Beobachtun­g, die bei Green mitunter zur Milieustud­ie gerät und die bei Eastwood gar in einem Besetzungs­coup gipfelt: Das aus Anthony Sadler, Alek Skarlatos und Spencer Stone bestehende Heldentrio spielt sich selbst. Völlig entschleun­igt rollt Eastwood die Geschichte ihrer Freundscha­ft, die gemeinsame Schulzeit und ihre verschiede­nen Lebenswege auf. Selbst ein Abstecher nach Afghanista­n ist so unspektaku­lär inszeniert wie das Sightseein­g in Europa.

Versteht man Helden besser, wenn man sie auch als Menschen kennenlern­t? Wenn man zusieht, wie sie in die Heldenroll­e schlüpfen oder sich dagegen zur Wehr setzen? Bei Green und Eastwood funktionie­rt es auch so: Man lernt den Menschen kennen, indem man ihn auch als Helden wahrnimmt. Ab Freitag im Kino

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Die ersten Schüsse im Zug nach Paris wecken in ihm die Zivilcoura­ge: Spencer Stone spielt sich in Clint Eastwoods „15:17 to Paris“selbst.
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Foto: Constantin Der Auftritt im Baseballst­adion als Stresstest: Jake Gyllenhaal in „Stronger“.

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