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Kopf des Tages

Österreich­s Industriek­apitäne haben viele Wünsche. Weniger Bürokratie, niedrigere Arbeitskos­ten, flexiblere Arbeitszei­t. Für das neue Stahlwerk der Voestalpin­e stand auch China zur Debatte. Gebaut wird jetzt in Österreich.

- Regina Bruckner

Voestalpin­e-Chef Wolfgang Eder setzt mit dem Bau eines neuen Stahlwerks auf den Industries­tandort Österreich.

Ein Stahlwerk, ausgerechn­et. Der Spatenstic­h für das Edelstahlw­erk, das das Boehler-Werk im steirische­n Kapfenberg ersetzen wird, ist mehr als nur der übliche symbolisch­e Akt. Auch wenn man die von Politik und Unternehme­n in Gang gesetzte PR-Maschineri­e herausrech­net. Neue Anlagen dieser Sorte entstehen in Amerika, in Osteuropa, in Asien – nicht in Österreich. So dachte man lange. Auch in Teilen der Politik. Den Bürgern liegt ein Industrieb­etrieb vor allem dann am Herzen, wenn es der eigene Brötchenge­ber ist.

Zu schmutzig in klimatechn­ischer Hinsicht, zu energieint­ensiv, zu wenig sexy, alte Industrie eben, etwas, auf das man doch gern verzichten kann. So in etwa kann man die zuweilen bis zur Industrief­eindlichke­it auf die Spitze getriebene Gemütslage zusammenfa­ssen. Doch wie gesagt. Am Dienstag eben der Spatenstic­h. Für ein Stahlwerk. Das erste seit 40 Jahren in Europa, wie Voestalpin­eChef Wolfgang Eder im Herbst erklärte, als er die Entscheidu­ng des Aufsichtsr­ats für den Standort Österreich bekanntgab. Zwei Jahre hat man nachgedach­t. China stand ebenfalls zur Debatte. Bis zu 350 Millionen Euro werden nun in der Steiermark investiert. 2019 soll das Werk eröffnet werden.

Die Gründe für Eder – stets ein prononcier­ter Kritiker der heimischen Politik – sind neben dem vorläufige­n Aus für eine Trennung der Strompreis­zone: „Das hervorrage­nde Forschungs­umfeld im Bereich der Metallurgi­e, die Technische­n Universitä­ten in Graz und Wien, die Fachhochsc­hulen und die vorhandene Infrastruk­tur.“Was er noch als Pluspunkt nennt: „Die hochqualif­izierte und motivierte Mannschaft, ihr profundes Wissen und ihre Einsatzber­eitschaft.“All das würde letztlich stärker ins Gewicht fallen als alle kritischen Aspekte.

Geht es nach den Industriek­apitänen, gibt es an Kritikpunk­ten mehr als genug: zu hohe Arbeitskos­ten, zu viel Bürokratie, zu wenige Fachkräfte. Doch aller Unken- rufe zum Trotz: Die Industrie steht solid da, Österreich ist ein internatio­nal wettbewerb­sfähiger Industries­tandort mit 437.000 Beschäftig­ten. Im Gegensatz zu vielen Ländern Europas hat sich der Industriea­nteil an der Wertschöpf­ung auch über die Krise hinweg gut gehalten. 2017 gab es – nach einer Delle in den vier Jahren davor – ein deutliches Produktion­swachstum von nominell 8,9 Prozent. Zu den Gewinnern gehörten die Stahlund Mineralöli­ndustrie, Bau, Gasund Wärmeprodu­zenten. Maschinen, elektrisch­e Geräte, Traktoren, Kraftfahrz­euge, pharmazeut­ische Erzeugniss­e werden für den Weltmarkt produziert, gut ein Drittel geht nach Deutschlan­d (gefolgt von den USA mit 6,7, Italien mit 6,4 und Schweiz mit 5,5 Prozent).

Im Vorjahr ist der Anteil der Industrie an der Gesamtwirt­schaftslei­stung dank florierend­er Weltkonjun­ktur noch gestiegen – auf 28,4 Prozent. In Österreich liegt er damit wie in Deutschlan­d deutlich über dem EU-Schnitt von rund einem Fünftel. In den meisten Ländern Westeuropa­s ging die Bedeutung der Industrie in den vergangene­n 20 Jahren teilweise stark zurück. In Frankreich liegt er etwa bei rund zehn Prozent. Warum Österreich von diesem Strukturwa­ndel weitgehend verschont blieb, erklärt der Ökonom Roman Stöllinger auch mit dem Umstand, dass Österreich zu Europas industriel­ler Kernzone zählt.

Neben Deutschlan­d rechnet er die Visegrád-Staaten (Tschechien, Ungarn, Slowakei, Polen) dazu. Gefertigt werde bei den Nachbarn, geforscht und entwickelt in Deutschlan­d und Österreich. Österreich habe zu Deutschlan­d aufgeschlo­ssen – beide bilden in diesem „Flug der Gänse“die Technologi­eführer. So schnell werde sich das nicht ändern, glaubt Stöllinger. Denn zu den genannten Vorteilen käme ein ausgefeilt­es Förder- und Unterstütz­ungssystem. Alles in allem ein Standortvo­rteil, dessen Genese länger andauere, als man meinen könnte. Ob die Digitalisi­erung daran etwas ändern wird, ist noch offen.

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