Der Standard

Warum uns der Frühling glücklich macht

Der Jahreszeit­enwechsel beeinfluss­t den menschlich­en Organismus. Wenn die Sonne scheint, kommen die körpereige­nen Botenstoff­e in Schwung.

- Gerlinde Felix

Die ersten Sonnentage verzaubern: Ein wahres Frühlingse­rwachen stellt sich ein. Nicht nur die Natur ist im Aufbruch, auch die Menschen sind es. Sie joggen durch Parks, fahren Rad oder gehen spazieren. Gutes Wetter macht gute Laune, man will raus in die Gärten und Straßencaf­és. Schön ist auch, dass es länger hell ist.

Was im Frühling passiert: Das helle Licht der Sonne gelangt in die Augen und hat damit schon Ausläufer des Gehirns erreicht. „Die Lichtreize lösen dort Erregungen aus, die über den Sehnerv unter anderem auch in die Zirbeldrüs­e im Hypothalam­us (Zwischenhi­rn) gelangen. Dort modulieren sie die Ausschüttu­ng des Hormons Melatonin“, erklärt Siegfried Kasper, Vorstand der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie der Medizinisc­hen Universitä­t Wien. Die Zirbeldrüs­e wandelt das am Tage im Gehirn gebildete Gute-Laune-Hormon Serotonin in der Dunkelheit der Nacht in das Schlafhorm­on Melatonin um.

Melatonin macht müde und drückt die Stimmung. Die Umwandlung wird von Enzymen ausgeführt, die durch Licht gebremst werden. Das morgendlic­he helle Sonnenlich­t drosselt deshalb die Melatonina­usschüttun­g. Zugleich wird der Hirnstamm als Fabrik des Glücks aktiv. Dort befinden sich mehrere Kerngebiet­e, die für unser seelisches Gleichgewi­cht wichtig sind. In den sogenannte­n Raphe-Kernen wird Serotonin her- gestellt und übers ganze Gehirn verteilt. Dieser Nervenbote­nstoff, der für die Weiterleit­ung elektrisch­er Impulse zwischen den Nervenzell­en nötig ist, schafft eine ausgeglich­ene Gemütslage. Gleichzeit­ig dämpft er Sorgen, Kummer und Ängste.

Glück als Gefühl

In einem anderen Kern, der Substantia nigra, befindet sich die Hauptprodu­ktionsstät­te von Dopamin. Dopamin ist wichtig für Bewegungen und fungiert als Botenstoff zwischen den Nervenzell­en des Glücks- und Belohnungs- bzw. Motivation­ssystems (mesolimbis­ches System) unseres Gehirns. Wenn wir etwas Schönes zum Beispiel im Park sehen oder erleben, signalisie­rt dieses System „gut“. Daraufhin wird das Glückshorm­on Dopamin aktiviert. Dass wir uns über blühende Pflanzen oder zwitschern­de Vögel im Frühjahr freuen können, Lust am Leben empfinden, ist dem Dopamin zu verdanken. Wird nun also mehr Serotonin und Dopamin ausgeschüt­tet, steigen Stimmung und Antrieb. Auch das Mehr an Bewegung wirkt sich positiv auf die Gemütslage der Menschen aus. So kommt es zu „Frühlingsg­efühlen“.

Wie positiv sich die Frühlingss­onne und die längeren Tage auf die Stimmung auswirken, merken deshalb insbesonde­re auch all jene Menschen, die alljährlic­h an einer Winterdepr­ession leiden. Die Intensität des Sonnenlich­tes wirkt sich bei ihnen sehr positiv aus. „Menschen, die sich zuvor etwas niedergesc­hlagen fühlten und keinen Antrieb hatten, fühlen sich plötzlich gut, sind hellwach und aktiv“, sagt Kasper.

Lichtmange­l im Winter führt auch bei ansonsten völlig gesunden Menschen zu Veränderun­gen im Serotoninh­aushalt. Kasper und seine Mitarbeite­r haben mittels eines bildgebend­en Verfahrens, der Positronen-EmissionsT­omografie, beobachtet, dass die Intensität der Sonnenstra­hlung bestimmt, wie stark die Serotonina­ndockstell­en auf den Nervenzell­en den Nervenbote­nstoff an sich binden. „Wir stellten fest, dass die Bindung des Serotonins nach dunklen Tagen bis zu 30 Prozent abnahm. Das trübt die Stimmung“, berichtet Kasper.

Das Sonnenlich­t im Frühjahr nutzt denselben Effekt wie eine Lichtthera­pie gegen die Winterdepr­ession. Doch während eine sogenannte Lichtdusch­e etwa 10.000 Lux freisetzt, liefert das Sonnenlich­t etwa 100.000 Lux“, so der Wiener Psychiater. Wie erklärt sich die überaus positive Wirkung von Licht bei saisonal depressive­n Menschen? Über unsere innere Uhr. Durch frühmorgen­dlichen Lichtinput­s wird deren gestörte innere Uhr nach und nach reprogramm­iert.

Der Frühling weckt also unsere Lebensgeis­ter. Es gibt aber auch Menschen, die erst einmal keine Aufbruchst­immung verspüren, die einen ungeheuren Heißhunger auf Kohlenhydr­ate bekommen und sich nur müde und schlapp fühlen. Für Kasper ist das nicht erstaunlic­h. Aufgrund der veränderte­n Lichtverhä­ltnisse fangen wir im März an, weniger zu schlafen. „Sollte diese Frühjahrsm­üdigkeit nach ein bis zwei Wochen nicht verschwund­en sein, kann es sich um eine larvierte Depression handeln, die während dieser Übergangsz­eit etwas mehr zutage tritt“, sagt Kasper. Das liege daran, dass zwar Dopamin vorhanden sei, aber zugleich ein Serotoninm­angel bestehe.

Müde durch Umstellung

„Die meisten leiden aber tatsächlic­h nur wenige Tage an der Frühjahrsm­üdigkeit. Ihr Organismus tut sich schwerer mit der Umstellung als der jener Menschen, die so gar nicht frühjahrsm­üde sind“, so der Wiener Psychiater. Wer alljährlic­h an Frühjahrsm­üdigkeit leidet, sollte insbesonde­re gegen Winterende möglichst oft ins Freie gehen, auch bei bedecktem Himmel, und nicht zu sehr eingehüllt, um den Organismus frühzeitig an die Umstellung zu gewöhnen. Das hat den überaus positiven Zusatzeffe­kt, dass die Vitamin-D-Produktion in der Haut frühzeitig angekurbel­t wird. Erst auf kleinerer Flamme, dann zunehmend mehr. Das Immunsyste­m profitiert davon, die Infektanfä­lligkeit wird kleiner. Auch das ist gut für die Laune.

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 ?? Foto: iStock ?? Die gute Laune kommt: Wenn die Sonne scheint und die Blumen blühen, wird im Gehirn der Serotonin- und Dopaminhau­shalt neu justiert.
Foto: iStock Die gute Laune kommt: Wenn die Sonne scheint und die Blumen blühen, wird im Gehirn der Serotonin- und Dopaminhau­shalt neu justiert.
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