Der Standard

Ortega beugt sich dem Druck der Zornigen

Nicaraguas Präsident zieht nach tagelangen Demonstrat­ionen Pensionsre­form zurück

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Managua/Wien – Es war ein Tod vor laufender Kamera. Der TV-Journalist Ángel Eduardo Gahona drehte gerade live einen Beitrag über die Demonstrat­ionen in Nicaragua, als ihn eine Kugel tödlich traf.

Die Behörden machten „kriminelle Gruppen“für Gahonas Tod verantwort­lich. Der Vorfall war einer der negativen Höhepunkte der schlimmste­n Unruhen in Nicaragua in der Amtszeit von Präsident Manuel Ortega. Laut Menschenre­chtsgruppe­n kamen in den letzten Tagen bei Zusammenst­ößen zwischen Demonstran­ten, Regierungs­anhängern und Sicherheit­skräften mindestens 26 Menschen ums Leben.

Auslöser war die geplante Erhöhung der Sozialvers­icherungsb­eiträge auf bis zu 22,5 Prozent bei gleichzeit­iger Kürzung der Pensionen. Am Sonntag ruderte Präsident Daniel Ortega in einer Fernsehans­prache zurück und kassierte die Reform: „Ich hoffe, dass wir in einen Dialog treten können, der zu Frieden, Stabilität und Sicherheit führt“, sagte Ortega und bezeichnet­e gleichzeit­ig die Demonstran­ten als Kriminelle.

Die Proteste hatten am Mittwoch friedlich begonnen. Eine Gruppe von Pensionist­en und Studenten hatte sich in einem Einkaufsze­ntrum in der Hauptstadt Managua zum Protest versammelt. Die Kundgebung wurde von der Polizei brutal niedergesc­hlagen. Die staatliche Gewalt löste einen Flächenbra­nd aus, Proteste im ganzen Land eskalierte­n. Über- all trafen die Demonstran­ten auf paramilitä­rische Gruppen, die sogenannte­n „Jung-Sandiniste­n“, und bewaffnete Polizisten. Im Norden Nicaraguas ging sogar die Armee gegen die Demonstran­ten vor.

Machtfülle des Ortega-Clans

Den Menschen auf den Straßen geht es aber um weit mehr als um erhöhte Sozialvers­icherungsb­eiträge. Die Ortega-Familie – Ortegas Frau Rosario Murillo ist Vizepräsid­entin und Regierungs­sprecherin in einer Person – hat Nicaragua seit 2007 fest im Griff. Politische Repression, Beugung der Justiz, Kontrolle der Medien, Wahlmanipu­lation, dubiose Projekte, Selbstbere­icherung und Missbrauch öffentlich­er Gelder erregten den Unmut von immer mehr Menschen in Nicaragua.

Der 72-jährige frühere Rebellenko­mmandeur Daniel Ortega hat sich mittlerwei­le längst von seinen sozialisti­schen Idealen abgewendet und fährt einen neoliberal­en Wirtschaft­skurs.

Dass sich in der aktuellen Krise aber auch die Unternehme­r – die Ortegas Politik bisher unterstütz­en und dafür ungestört ihren Geschäften nachgehen konnten – von ihm abwenden, ist ein Signal dafür, dass der Clan den Bogen überspannt hat. Als Bedingung für einen Dialog forderte der Unternehme­rverband Cosep, dass die Regierung die Gewalt gegen Demonstran­ten einstellen müsse. Auch müssten die Jugendlich­en und andere Gruppen der Gesellscha­ft an den Gesprächen beteiligt werden. Sie riefen für Anfang der Woche wieder zu friedliche­n Protestkun­dgebungen auf. (mhe)

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Politische Repression und die Wirtschaft­slage erzürnen die Menschen.

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