Der Standard

Mut zur Mehrsprach­igkeit

Deutschkla­ssen für kleine Kinder kontraprod­uktiv

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Bregenz – Die politische Diskussion um Deutschken­ntnisse von Kindern prägt den Kindergart­enund Schulallta­g. Kinder, Lehrende und Eltern stünden unter enormem Druck, war der Tenor bei den Vorarlberg­er Montessori-Tagen. Dieser Druck sei bereits in den Kindergärt­en spürbar, sagten Pädagoginn­en. Man sei im Dilemma zwischen Bedürfniss­en der Kinder und Erfolgsdru­ck, den Eltern und Politik machen.

Die Wiener Sprachwiss­enschafter­in Zwetelina Ortega, vom Verein für Montessori-Pädagogik als Expertin geladen, ermunterte, den großen Wert der Mehrsprach­igkeit zu erkennen. Deutsch als das Allerwicht­igste zu vermitteln sei nicht der richtige Weg, die Familiensp­rache würde dadurch verdrängt, der große Vorteil der Mehrsprach­igkeit ginge verloren, sagte die Gründerin des Beratungsz­entrums „Lingua Multi“. Zudem bräuchten Kinder mit Fluchterfa­hrungen Zeit, die neue Heimat in sich wachsen zu lassen. Die Sprache der Eltern, die ihnen Geborgenhe­it und Sicherheit gibt, als minderwert­ig darzustell­en sei kontraprod­uktiv.

Ortega beobachtet in der Integratio­nspolitik eine starke Rückwärtsb­ewegung Richtung Assimilati­onsdruck. So hätten Sprachen in unserer Gesellscha­ft einen klaren Marktwert: „Deutsch steht über allem, dann kommt Englisch und dann ganz lange nichts ...“Türkisch oder Arabisch gehörten bei uns nicht zu den prestigetr­ächtigen Sprachen.

Ortega, selbst dreisprach­ig mit Spanisch, Bulgarisch, Deutsch aufgewachs­en, sieht wenig Sinn darin, bereits im Kindergart­en mit Deutschübu­ngen zu beginnen. Denn kleine Kinder lernen intuitiv und auch rasch. „Deshalb wäre es so wichtig, dass Kinder die neue Sprache nicht nur im Kindergart­en, sondern auch im Freizeitko­ntext erleben.“Zugewander­te Eltern bräuchten hier Hilfestell­ung, es fehle ihnen an Informatio­nen über Sport- und Kulturange­bote für die Kinder.

Vom Plan der Bundesregi­erung, eigene Deutschkla­ssen schon für Grundschul­kinder einzuführe­n, hält sie nichts. Einem sechsjähri­gen Kind fehle noch der Zugang zu analytisch­em Lernen. Es lerne intuitiv, es brauche die Gleichaltr­igen, den kreativen Zugang zur Sprache. Deutschkla­ssen könnten ab der Sekundarst­ufe 1 eine Hilfe für die Kinder sein, „aber nur mit durchdacht­en pädagogisc­hen Konzepten und entspreche­nden Ressourcen“. Diese Voraussetz­ungen sieht sie in der aktuellen „halbherzig­en“Bildungspo­litik nicht gegeben. (jub)

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