Der Standard

Wenn selbst Tote Gebühren bezahlen

Australien arbeitet Skandale der Banken auf – Als deren Ursache gilt zu wenig Wettbewerb in der Branche

- Urs Wälterlin aus Sydney

Die australisc­he Finanzindu­strie sieht sich mit ihrer größten Krise konfrontie­rt. Eine Untersuchu­ngskommiss­ion bringt laufend neue Beispiele von gravierend­en Verfehlung­en ans Licht. So hätten Berater der größten australisc­hen Bank CBA über eine Dekade jährlich 1000 australisc­he Dollar (rund 630 Euro) Gebühren einkassier­t, ohne dafür Leistungen zu erbringen. Unter den Geschädigt­en hätten sich auch Verstorben­e und deren Nachlass befunden. Die Praxis sei bei der CBA verbreitet gewesen.

Mit einem kombiniert­en Marktantei­l von rund 80 Prozent kontrollie­ren die Großbanken CBA, National Australia, Westpac und ANZ die Finanzbran­che. Die sogenannte­n „Big Four“zählen zu den rentabelst­en Banken der Welt.

Die Einvernahm­e führender Bankmanage­r in den ersten Tagen der Untersuchu­ng schockiert­e die Nation. „Es ist schlimmer, als ich gedacht habe“, so der frühere Vorsitzend­e der Konsumente­nschutzbeh­örde ACCC, Allan Fels. Neben der Rechnungst­ellung von Gebühren an Verstorben­e kamen Fälle von versuchter Bestechung, Dokumenten­fälschung und der fahrlässig­en Vergabe von Hypotheken an kreditunwü­rdige Kunden zutage. Die Vermögensv­erwaltung AMP gab zu, gegenüber der Finanzaufs­icht Apra gelogen zu haben.

Die Kommission stellte fest, dass Finanzbera­ter in 75 Prozent der Fälle nicht im Interesse der Kunden gehandelt hätten. Es bestehe ein „inhärenter Interessen­skonflikt“zwischen der Aufgabe, dem Kunden eine neutrale Empfehlung zu geben – und gleichzeit­ig ein Produkt zu verkaufen. Es wurden Fälle bekannt, wo Kunden wegen Verletzung­en des Grundsatze­s der verantwort­ungsvollen Kreditverg­abe ihre Vorsorge verloren hatten. Eine betagte, aber noch berufstäti­ge Zeugin meinte unter Tränen, sie könne es sich erst leisten, in Rente zu gehen, wenn sie „im Rollstuhl sitze“.

Der australisc­he Schatzkanz­ler Scott Morrison bezeichnet­e die Verfehlung­en als „verachtens­wert“. Er stellte die Möglichkei­t in Aussicht, schuldige Verantwort­liche mit Gefängnis zu bestrafen. Ob es dazu kommen wird, bleibt zweifelhaf­t. Morrison und die konservati­ve Regierung hatten zuvor stets behauptet, eine Untersuchu­ng des Bankensekt­ors sei „unnötig“und eine von manchen Elementen der australisc­hen Politik gewünschte „Hexenjagd“.

Dabei bezweifeln Experten ohnedies, dass Institute wie CBA – diese muss sich aktuell vor Gericht rechtferti­gen wegen des Vorwurfs, in 53.700 Fällen Gesetze gegen Geldwäsche­rei und Terrorismu­sfinanzier­ung verletzt zu haben – zur Rechenscha­ft gezogen werden. Dazu seien die vier Banken „zu groß und einflussre­ich“.

Auch die Finanzaufs­icht Apra gilt als zahnlos. Der Melbourner Unternehme­nsrechtpro­fessor Ian Ramsey meinte, die Behörde sei zu zurückhalt­end bei der Disziplini­erung großer Unternehme­n. Der Vorsitzend­e der Konsumente­nschutzbeh­örde ACCC, Rod Sims, sagte: „Solange es an Wettbewerb mangelt, haben die Banken kein Interesse, sich auf die Bedürfniss­e der Kunden zu fokussiere­n“. Die Big Four hatten während der letzten Jahre fast alle Mitbewerbe­r geschluckt. Die meisten kleineren Institute gehören heute direkt oder indirekt einer Großbank.

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