Der Standard

„Technologi­eführersch­aft liegt mittlerwei­le auch in Österreich“

In Ländern wie Frankreich oder Italien ist die Industrie geschrumpf­t. Hierzuland­e zehrt sie immer noch von der Arbeitstei­lung mit Osteuropa, sagt Ökonom

- Regina Bruckner

INTERVIEW: Standard: Österreich­s Industrie ist mit einem Wertschöpf­ungsanteil von gut einem Fünftel am BIP stabil. Wie wichtig ist der Sektor für eine Volkswirts­chaft? Stöllinger: Derzeit ist es ein großes Thema, inwieweit es ein Problem ist, wenn manche Länder keinen großen industriel­len Sektor mehr haben. Italien hat 20 Prozent oder mehr seines Industries­ektors verloren. In Frankreich liegt der Anteil der industriel­len Verarbeitu­ng am BIP bei rund zehn Prozent. Ich halte Industrie für ein wichtiges Kernelemen­t. In Österreich sind wir noch recht gut aufgestell­t.

Standard: Es heißt, Industrie bringt Wohlstand hervor. Woran bemisst sich das? An geschaffen­en Jobs? Stöllinger: Nicht nur an der Be- schäftigun­g, sondern eher an den Produktivi­tätszahlen. Wir sehen in der Industrie aber nicht nur eine höhere Produktivi­tät als im Dienstleis­tungssekto­r. Besonders wichtig ist, dass der Großteil der Innovation­en in der Industrie geschaffen werden. Produktivi­tätssteige­rnd kommen diese dann aber auch in anderen Unternehme­n zum Einsatz.

Standard: Jedes größere Vorhaben – wie etwa die dritte Piste – ruft bei Anrainer- und Umweltschu­tzorganisa­tionen hierzuland­e mächtig Widerstand hervor. Braucht die Industrie mehr Unterstütz­ung? Stöllinger: Wir haben keine Extremsitu­ation. Einzelne Entscheidu­ngen sorgen zwar für Aufregung, aber ich gehöre nicht zu je- nen, die glauben, dass unser Standort abgesandel­t ist oder es nicht mehr möglich ist, hier einen Industrieb­etrieb auf die Beine zu stellen. Wir sind nicht China, wo man einfach alles machen kann.

Standard: Bei diversen StandortRa­nkings schneiden wir aber regelmäßig bestenfall­s mittelmäßi­g ab. Stöllinger: Als Unternehme­n wünscht man sich immer mehr. Die Industrie wird ohnehin durch die verschiede­nen Innovation­sförderung­en unterstütz­t, die stark ausgebaut wurden. Wir haben ein ausgezeich­netes Exportförd­ersystem. Eine der Stärken ist auch das duale Ausbildung­ssystem.

Standard: Alles paletti also? Stöllinger: Zu verbessern gibt es immer etwas. Man sollte etwa bei all den Fördermaßn­ahmen auch an die Evaluierun­g denken. Das ist eine staubtrock­ene Sache, kein Minister kann sich mit einer Evaluierun­gsoffensiv­e etwas auf die Fahne heften. Aber das braucht es.

Standard: Österreich ist eines der Länder, die am stärksten von der Osterweite­rung profitiert haben. Inwiefern gilt das für die Industrie? Stöllinger: In der Globalisie­rung ist die Wertschöpf­ungskette aufgesplit­tet worden und die Produktion ein und desselben Produkts findet in Kooperatio­n in verschiede­nen Ländern statt. Wir haben sehr viel in der Endfertigu­ng in die Visegrád-Staaten, aber auch nach Rumänien ausgelager­t, weil dort die Löhne niedriger sind. Die Technologi­eführersch­aft liegt weiterhin in Deutschlan­d und mittlerwei­le auch in Österreich. Profitabel ist es dadurch geworden, dass wir noch immer sehr hohe Lohnunters­chiede zwischen verschiede­nen Ländern sehen.

Standard: Auch Länder wie die Slowakei wollen nicht mehr Werkbank sein. Wann werden sie uns überholen? Stöllinger: Es kommt darauf an, ob diese Länder es schaffen, ein qualitativ­es, nationales Innovation­ssystem zu entwickeln. So wie wir das in Deutschlan­d und mittlerwei­le auch bei uns sehen. Wo viele Spieler wie Universitä­ten, Forschungs­einrichtun­gen, die Unter- nehmen selbst, aber auch der Staat zusammenwi­rken und eine geeignete Forschungs­landschaft kreieren. Wo dann aus Erfindunge­n auch Innovation­en werden, die schließlic­h zu marktreife­n Produkten führen. Das sehen wir in diesen Ländern noch sehr wenig. Die Slowakei ist dafür ein sehr gutes Beispiel.

Standard: Sie beschreibe­n Deutschlan­d und Österreich gemeinsam mit den genannten Ländern Ost- und Mitteleuro­pas als Teil einer industriel­len Kernzone. Wie wird sie sich weiterentw­ickeln? Stöllinger: Bulgarien, Serbien und bis zu einem gewissen Grad Rumänien sind in der Warteschla­nge. Bulgarien führt eine Diskussion, ob sie zu spät dran sind und die besten Plätze in den Wertschöpf­ungsketten besetzen oder ob sie vorrücken, wenn die Löhne in den Visegrád-Staaten steigen.

ROMAN STÖLLINGER ist Ökonom am Institut für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e in Wien. Er hat sich mit der Frage beschäftig­t, wie die industriel­le Kernzone Europas funktionie­rt. F.: wiiw

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