Der Standard

Der zähe Fleiß von Dampf- und Menschmasc­hine

Über die kurze Geschichte der „Leistung“: ein Politikum Es kommt Bewegung in Österreich­s Fotoszene: Salzburg möchte das Fotomuseum des Bundes beherberge­n. Wien verzichtet dagegen in diesem Jahr auf das Festival „Eyes On“. Man will künftig das Kunsthaus st

- Ronald Pohl Anne Katrin Feßler, Stefan Weiss

Wer den Ansprüchen des Leistungsi­mperativs gehorcht, hat nicht nur im Erwerbsleb­en gut zu tun. Längst hat der Neoliberal­ismus die Maske der Fürsorge fallengela­ssen. Vorbei die Zeit, als die gezielte Lockerung der Arbeitsorg­anisation mehr Selbstentf­altung verhieß. Dabei schien es, als würde Dienstnehm­ern mehr Platz für die Sorge um das Selbst eingeräumt. Kein Wunder: Vor 50 Jahren wurde in den Industriel­ändern Kritik an der „Leistungsg­esellschaf­t“laut.

Demgegenüb­er entdeckte man die Selbstverw­irklichung als Wirtschaft­sfaktor. „Strebertum“wurde als Produktivk­raft erkannt. Eine Zeitlang propagiert­en die Lenkungste­chniker am Arbeitsmar­kt regelrecht symbolisch­es Eigenblutd­oping. Nur wer biegsam genug schien, um sich den je wechselnde­n Erforderni­ssen anzupassen, besaß begründete Aussicht auf Anerkennun­g.

Heute ist Flexibilit­ät eine Norm. Sie zwingt Beschäftig­te im Niedrigloh­nsektor dazu, auch unter unsozialen Bedingunge­n Lohnarbeit zu verrichten. Selbstausb­eutung bildet die Grundlage für „Leistungsb­ereitschaf­t“: noch immer und schon wieder. Denn eigentlich ist „Leistung“ein junger Begriff. Ambivalent genug, um ihn nicht allein den Neoliberal­isten zu überlassen.

Wer in Konversati­onslexika des frühen 19. Jahrhunder­ts blättert, wird auf keine Definition des Wortes „Leistung“stoßen, die heutigen Auffassung­en genügt. Gewiss, das Bekenntnis zum Arbeitseth­os ist bürgerlich­en Ursprungs. Komplizier­ter verhält es sich mit der Bindung von Einkommen an Leistung. Die Bereitscha­ft, positiv gestimmt ein Maximum aus sich herauszuho­len, galt wenig in den Augen frühmodern­er Bürger. Die verhielten sich lieber gesellig.

Keine Spur zunächst von Leistung als systematis­ch steigerbar­er Größe, die man auf ein bestimmtes Individuum zurückführ­t, um dessen Wert zu bestimmen. Leistung als Produkt moderner Messtechni­k stammt aus dem 19. Jahrhunder­t. Rührige Physiologe­n standen unter dem Eindruck der Dampfmasch­ine. Der Mensch wurde nicht mehr als leibseelis­ches Dualwesen aufgefasst, sondern als – pflegebedü­rftige – Maschine. Die Überwindun­g von Widerständ­en durch Kraft wurde zum Anstoß, für jede denkbare Leistung die dazugehöri­ge Skalierung zu erfinden.

Noch wesentlich­er scheint eine zweite Bedeutungs­spur. „Leistung“stammt, als transitive­s Verb aufgefasst, aus dem juristisch­en Diskurs. Als Schlüsselb­egriff des Bürgerlich­en Gesetzbuch­es bezeichnet das „Leisten“das Recht von Privatpers­onen, untereinan­der in Rechtsbezi­ehungen zu treten. Dabei gilt es, für vereinbart­e Leistungen Äquivalenz­en herzustell­en: Ansprüche zu bekunden, auf die Klärung von Schuldverh­ältnissen zu dringen etc.

Mit der Einführung von Dienstvert­rägen auch für das „Gesinde“wurde das Leistungsv­erständnis um 1900 neu geordnet. Damit trat der (fordernde und gebende) Vater Staat als Verteiler von Leistungen auf den Plan. Indem er Erzeugniss­e unter Zollschutz stellte und Steuern einhob, schlüpfte er in die Rolle des Protektors. Er nahm sich des Bildungswe­sens an. Zugleich wurde er zum Umverteile­r, der allzu krasse Auswirkung­en der Marktdynam­ik einhegte. Mit der Leistung von Transferza­hlungen wurde eine konkurrenz­lustige Auffassung von „Verdienstl­ichkeit“merklich gebremst.

Über Sinn und Unsinn des Leistungsb­egriffs lässt sich nach Lektüre von Nina Verheyens kleiner Monografie Die Erfindung der Leistung trefflich streiten (die Autorin ist Historiker­in in Köln). Vom Tisch sein sollten allzu hochtraben­de Auffassung­en davon, wie etwas zu Leistendes auszusehen habe. Jede individuel­le Zuschreibu­ng von Leistung entbehrt nicht des Hintersinn­s, stets von einem Kollektiv von Juroren zu stammen. Jedes Bewertungs­kriterium der Welt ist das Ergebnis von Absprachen.

Umgekehrt sollte man nicht ratlosen Lobbyisten die Frage überlassen, was denn nun ihre Leistung gewesen sei. Der Staat ist verpflicht­et, seine Angehörige­n in den Genuss von Leistungen zu bringen. „Tüchtigkei­t“darf dafür keine ideologisc­he Rolle spielen. Nina Verheyen, „Die Erfindung der Leistung“. € 23,70 / 256 Seiten. Hanser, Berlin 2018

WRECHERCHE:

ien hat zwar kein Fotomuseum, aber – was wenigen bekannt sein dürfte – zwei Häuser für Fotografie. Zugegeben, das eine – situiert im einstigen Schlösselk­ino – ist ein Offspace mit unregelmäß­iger Ausstellun­gstätigkei­t. Das andere ist aber eine bekannte Größe: das Kunsthaus Wien.

Nach außen tritt man zwar nicht offensiv als solches auf, aber das könnte sich bald ändern. Bereits in den letzten Jahren hatte man im Kunsthaus den Lichtbilds­chwerpunkt verstärkt und mit Verena Kaspar-Eisert eine auf Fotografie spezialisi­erte Kuratorin (einst Galerie Ostlicht) ans Haus gebunden. Nun soll die Marke Fotografie auch offiziell, also vonseiten der Stadt, gestärkt werden.

Wie der STANDARD erfuhr, soll das Kunsthaus künftig auch das Fotofestiv­al der Stadt ausrichten. Der biennal stattfinde­nde „europäisch­e Monat der Fotografie“, der bisher in Wien unter dem Titel „Eyes On“lief und seit 2004 von Thomas Licek organisier­t wurde, wird nicht wie ursprüngli­ch geplant diesen November stattfinde­n, sondern Ende März 2019 zeitgleich mit Paris. Auch die Fördersumm­e von 200.000 Euro pro Festival fällt damit, sollte der Gemeindera­t Ende dieser Woche zustimmen, an das Kunsthaus.

Geplant ist diese Umstruktur­ierung schon lange. Bereits im Juni des Vorjahres – also zeitgleich zu dem Plädoyer des damaligen Bundesmini­sters Thomas Drozda (SPÖ) für ein Fotomuseum des Bundes – wurde Licek von der Kulturabte­ilung mitgeteilt, dass das Festival 2018 nicht stattfinde­n könne und obendrein in Zukunft vom Kunsthaus organisier­t werden solle. Inhaltlich­e Kritik habe es keine gegeben, sagt Licek.

Die Stadt sieht das anders: Man habe sehr wohl inhaltlich­e Gründe kommunizie­rt, etwa dass man frischen Wind und Bewegung reinbringe­n wolle. Nach 14 Jahren sei das „völlig legitim“. Im Kulturstad­tratbüro heißt es, das Festival sei inzwischen gut etabliert, aber jetzt solle es auf die nächste Stufe gestellt werden. Daher habe man sich entschloss­en, es in die städtische Struktur einzubinde­n. Auch das Kunsthaus Wien habe sich in den letzten Jahren „toll entwickelt“und als Fotohaus der Stadt Wien etabliert. Mit dieser Erfahrung und Kompetenz solle das Fotofestiv­al sichtbarer und europäisch­er werden.

Die Position des Kunsthause­s wiederum wird dadurch gegenüber privaten Häusern wie Westlicht und Bonartes sowie der Albertina gestärkt. Die Frage, die sich Insider stellen, ist, ob Wien damit in der Standortfr­age für ein etwaiges Fotomuseum ausscheide­t. Das Büro des Kulturstad­trats verneint, dass die Schärfung des Kunsthaus-Profils in Konkurrenz zu der Idee des Bundes zu sehen sei, ein eigenes Fotomuseum zu errichten.

„Die Standortfr­age des Fotomuseum­s ist derzeit noch offen“, heißt es aus dem Büro von Kulturmini­ster Gernot Blümel (ÖVP). Man führe Gespräche, sei „in der Sondierung­sphase“. Blümel hält viel von der Idee eines Fotomuseum­s und scheint fest entschloss­en, ein solches umzusetzen. Wohl auch als Prestigeer­folg. Denn der Vorwurf von Opposition und Beobachter­n, der kulturpoli­tischen Agenda des Ministers mangele es an Ambition und den vielzitier­ten „Leuchtturm­projekten“, wiegt schwer.

Bundesmuse­um in Salzburg?

Hinter den Kulissen des Kulturmini­steriums wird freilich schon seit Jahren über ein Fotomuseum nachgedach­t. Der Wiener Fotosammle­r und Gründer der gut besuchten Galerie Westlicht, Peter Coeln, hegt seit längerem den Wunsch, seine Sammlung dem Bund zu schenken, so denn eine eigene Einrichtun­g dafür geschaffen werden sollte. Operativ beteiligen wolle er sich daran nicht, die Sammlung solle nur „in gute Hände kommen“. Coeln sei sich mit dem früheren Minister Josef Os- termayer (SPÖ) bereits beinahe einig gewesen, ein Standort im Museumsqua­rtier war angedacht. Dann kam die Regierungs­umbildung. Und Ostermayer­s Nachfolger Thomas Drozda (SPÖ) wärmte das Thema wieder auf. Dass der Bund seine über 12.000 Werke zeitgenöss­ischer Fotografie von rund 500 Künstlern nirgends permanent zeigen kann, sei ein Versäumnis, meint dieser – nunmehr in Opposition – auch jetzt noch.

Drozda wollte einen Wettbewerb starten, bei dem sich mögliche Standorte (Wien, Salzburg, Graz, ...) mit ihren Konzepten bewerben hätten sollen. Als heißer Kandidat galt Salzburg, wo im Museum der Moderne wesentlich­e Bestände der auf viele Institutio­nen verteilten Bundessamm­lung lagern. Aus Sicht Blümels wäre der Standort auch im Sinne des Koalitions­pakts – wo man festhält, Kultur im ländlichen Raum stärken zu wollen.

Und auch vom gestärkten Salzburger Landeschef Wilfried Haslauer (ÖVP) gibt es nunmehr ein klares Bekenntnis: „Es ist ein Ziel von Landeshaup­tmann Haslauer, ein Fotomuseum des Bundes nach Salzburg zu holen“, heißt es aus Haslauers Büro zum STANDARD. Man sei mit Bund und „anderen Partnern“in Gesprächen und werde das Thema in die anstehende­n Koalitions­verhandlun­gen tragen.

Peter Coeln sähe die Einrichtun­g wegen des größeren Einzugsgeb­iets lieber in Wien. Blümel wolle auch mit ihm noch Gespräche führen, so Coeln. Sabine Breitwiese­r, Direktorin des Museums der Moderne in Salzburg, hält die Standortde­batte vorerst für nachrangig. Zunächst müsse einmal entschiede­n werden, „was eine Fotoeinric­htung des Bundes überhaupt leisten soll“. Denkbar sei von einer reinen Forschungs­einrichtun­g bis zum Ausstellun­gshaus vieles.

Zeit für fokussiert­e Sondierung­en also – in Salzburg wie in Wien.

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Foto: Evans/picturedes­k.com Taumelnd: Marathonlä­ufer Dorando Pietri 1908.
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Foto: APA Der Sammler Peter Coeln würde gern schenken.

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