Der Standard

Schule: Was Favoriten von Harlem lernen kann

Mentoring, Supervisio­n, ausreichen­d digitale und humane Ressourcen für den Unterricht: Über die Unterstütz­ung von Junglehrer­n als Erfolgsfak­tor an sozial belasteten Schulstand­orten – Erfahrunge­n aus New York.

- Gregor Kainz

Ich verlasse meine Wohnung, gehe zwei Blocks die Straßen hinunter, und schon bin ich mitten in Harlem, dem Zentrum afroamerik­anischer Kultur im Norden Manhattans. Ein paar Schritte weiter, und ich komme an einer Schule vorbei. Ich sehe die Kinder im Pausenhof spielen. Es sind ausschließ­lich afroamerik­anische Kinder und Hispanics (Kinder lateinamer­ikanischer Migranten), größtentei­ls aus einkommens­schwachen Familien. Ein sozial belasteter Schulstand­ort also, so wie es sie auch in Favoriten, Simmering und Floridsdor­f gibt.

Die Probleme der Schülerinn­en und Schüler hier erinnern mich an meine Zeit als Lehrkraft an einer Neuen Mittelschu­le (NMS) im Wiener Gemeindebe­zirk Floridsdor­f: wenig Unterstütz­ung von Zuhause, mangelnde Sprachkomp­etenz in der Unterricht­ssprache. Und an die Rolle der Lehrer als Pädagogen und Sozialarbe­iter in Personalun­ion.

Doch nach knapp einem Jahr am Teachers College der Columbia University fällt mir auf, dass der Zugang hier in New York ein anderer ist als bei uns: Viele meiner Studienkol­legen unterricht­en neben dem Studium an solchen „low-income schools“. Was ich in Gesprächen oft höre, erinnert mich an Präsident John F. Kennedys berühmte Rede zur Mondmissio­n: „We are not doing it because it’s easy, we’re doing it because it’s hard.“

Gute Zahlen

Dieser Spirit scheint Wirkung zu zeigen: 2017 schafften 73,5 Prozent aller Schülerinn­en und Schüler in Harlems öffentlich­en Schulen ihren Highschool-Abschluss, 2013 waren es noch 70,9 Prozent. Dies ist umso beachtlich­er in Anbetracht der wachsenden Konkurrenz durch quasipriva­te Charter Schools und der noch immer konzentrie­rten Armut in Harlem (75,1 Prozent der Schüler gelten dort als armutsgefä­hrdet).

Für diese schrittwei­sen Verbesseru­ngen ist aber nicht die amerikanis­che „Can do“-Einstellun­g alleine verantwort­lich. Es ist auch eine Frage von Ressourcen. Lehrkräfte bekommen viel Unterstütz­ung, insbesonde­re in ihren ersten Unterricht­sjahren: Jedem Junglehrer an einer öffentlich­en Schule in New York City wird im ersten Jahr ein Mentor zugeteilt, zur Unterstütz­ung bei Stundenpla­nungen, um Feedback zu geben, und als emotionale Stütze. Es gibt regelmäßig­e Weiterbild­ungen (zu Themen wie Klassenfüh­rung oder gezielter Sprachförd­erung) sowie digitale Ressourcen, alles zugeschnit­ten auf die Bedürfniss­e von „new teachers“.

Hiervon profitiere­n insbesonde­re sozial belastete Schulstand­orte. Eine derart gezielte und breit aufgestell­te Unterstütz­ung für Junglehrer­innen und Junglehrer an städtische­n Neuen Mittelschu­len fehlt in Österreich.

Volle Verantwort­ung

Mit Teach For Austria habe ich selbst drei Jahre an einer Wiener NMS unterricht­et – als Quereinste­iger mit voller Lehrverpfl­ichtung. Nicht nur ich habe Fächer unterricht­et, die ich nicht studiert habe – im Gegensatz zum Gymnasium ist es an der NMS Usus, dass Lehrerinne­n und Lehrer Fächer übernehmen, die sie nicht studiert haben.

Die Herausford­erungen für Junglehrer, besonders im ersten Dienstjahr, sind aber ganz andere: Ab dem ersten Tag haben sie volle Verantwort­ung für ihre Klassen, Stress, mangelnde Wertschätz­ung, Konflikte mit Schülern und Eltern sowie das Gefühl, alleine dazustehen, rauben einem schnell die anfänglich­e Begeisteru­ng und führen manchmal zu einem Schulwechs­el oder völligen Ausstieg aus dem Lehrberuf.

Viele Junglehrer­innen und Junglehrer halten es aber wie die amerikanis­chen Kollegen mit USPräsiden­t Kennedy: Sie bleiben dran, unterricht­en mit Engagement und spüren die Verantwort­ung ihren Schülerinn­en und Schülern gegenüber, besonders bei Kindern aus schwierige­n Verhältnis­sen. Sie versuchen ihre Schüler bestmöglic­h zu unterstütz­en. Genau deshalb haben sie selbst die bestmöglic­he Unterstütz­ung verdient.

Neues Lehramtsst­udium

Das Lehramtsst­udium neu bringt ab Beginn des Schuljahre­s 2019/2020 eine einjährige Induktions­phase für alle Junglehrer­innen und Junglehrer – Neue Mittelschu­len inklusive. Geplant sind Mentoring, das Hospitiere­n anderer Lehrperson­en sowie der Besuch diverser Lehrverans­taltun- gen. Diese Maßnahmen sind richtig und wichtig. Gerade an sozial belasteten Standorten braucht es aber noch mehr: Die Junglehrer­innen und Junglehrer sollten selbst regelmäßig, am besten wöchentlic­h, hospitiert werden, um Feedback zu bekommen und ihren Unterricht laufend zu verbessern. Sie sollten die Möglichkei­t zu gemeinsame­n Stundenpla­nungen mit erfahrenen Lehrperson­en haben und regelmäßig auf ihre eigenen Bedürfniss­e zugeschnit­tene Weiterbild­ungen besuchen können.

Warum nicht Favoriten?

Darüber hinaus wäre regelmäßig­e Supervisio­n eine wichtige emotionale Unterstütz­ung für Junglehrer­innen und Junglehrer, besonders in den schwierige­n Anfangsmon­aten. In Harlem ist das jetzt schon möglich. Warum nicht auch in Favoriten?

GREGOR KAINZ studiert Bildungspo­litik am Teachers College der Columbia University in New York City. Er hat zwei Jahre an einer Wiener NMS unterricht­et und war Fellow bei Teach For Austria, einer unabhängig­en und gemeinnütz­igen Initiative, die bessere Bildungs- und Zukunftsch­ancen für Kinder und Jugendlich­e aus benachteil­igten Familien schafft.

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Der Schulhof, mitunter ein gefährlich­es Pflaster? Mag sein. Der springende Punkt ist: Unterstütz­t man Lehrer ordentlich, lassen sich auch sozial benachteil­igte Schulstand­orte in den Griff bekommen.

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