Raus aus der Selbsterfahrung
Die Grünen sind nicht gleich die Grünen. Jene in Salzburg oder in Innsbruck lassen sich schwer mit jenen in Wien vergleichen. Da liegen ideologisch wenn nicht Welten, dann doch Bundesländer dazwischen. Die Wiener Grünen gelten als links, jene in Salzburg und Tirol fühlen sich auch in einem konservativen und werteorientierten Weltbild wohl. Und oft ist es ein sehr pragmatischer Zugang zu Themen, der den Standpunkt bestimmt.
„So hart das klingen mag, aber die Frage, ob ich mir das Dach überm Kopf leisten kann, beschäftigt die Leute ganz einfach mehr als die Frage nach dem Binnen-I oder der Ehe für alle“, sagte Georg Willi, Spitzenkandidat der Grünen in Innsbruck, in einem Standard- Interview wenige Tage vor der Wahl. Für die bisherige Vizebürgermeisterin von Innsbruck, Sonja Pitscheider, war das Grund genug, bei den Grünen auszutreten. Mit grünen Grundwerten hätte das „rein gar nichts zu tun“. Die Sympathisanten der Grünen sahen das ganz anders: Bei der Bürgermeisterwahl in Innsbruck wurde Willi mit 30,9 Prozent ganz klar Erster.
Willis Aussagen sind nicht links oder rechts, sie haben nur bedingt mit grünen Grundwerten zu tun. Sie entspringen einer pragmatischen Einstellung: Was ist den Leuten wichtig, was bewegt sie, was betrifft sie? So wichtig es ist, sich für Gleichberechtigung einzusetzen, neigen die Grünen doch dazu, sich im theoretischen Diskurs zu verstricken und den Lebensalltag der Menschen zu übersehen. ach dem Rausflug aus dem Parlament müssen sich die Grünen komplett neu aufstellen und einen Teil ihrer Positionen überdenken, wenn sie weiterhin auf wahrnehmbarer Ebene in der Politik tätig sein wollen. Potenzial ist zweifellos vorhanden. Die jüngsten Wahlergebnisse sind aber nur bedingt aufschlussreich und schwer vergleichbar. In Salzburg spielte das ungelöste Verkehrsproblem eine große Rolle – und Astrid Rössler aufgrund ihrer stillen Persönlichkeit fast keine. In Innsbruck war Willi als Persönlichkeit dagegen sehr präsent. Anderswo waren die Grünen so sehr mit sich beschäftigt, dass sie aus den Selbsterfahrungszirkeln gar nicht erst rausgekommen sind. Es kommt letztlich auf das Zusammenspiel von Anliegen und Kommunikation an: Es braucht die richtigen Themen, die für die Menschen relevant sind, und es braucht die Personen, die das authentisch transportieren und verständlich machen können. Dem Team in Innsbruck ist das offenbar gut gelungen.
Dem Binnen-I abzuschwören wäre die falsche Strategie, es gehört zum genetischen Code der Grünen. Aber es ist nicht der Schlüssel zur Rettung der Welt, auch nicht im Kleinen. Für die Grünen ist es eine Überlebensfrage, sich den Menschen und ihren Anliegen, Ängsten und Bedürfnissen zu öffnen. Das kann in Details in Wien anders beantwortet werden als in Salzburg oder Innsbruck. Wenn die Grünen allerdings darauf warten, von den Wählern verstanden zu werden, anstatt die Wähler zu verstehen, werden sie sehr allein bleiben.
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