Der Standard

Raus aus der Selbsterfa­hrung

- Michael Völker

Die Grünen sind nicht gleich die Grünen. Jene in Salzburg oder in Innsbruck lassen sich schwer mit jenen in Wien vergleiche­n. Da liegen ideologisc­h wenn nicht Welten, dann doch Bundesländ­er dazwischen. Die Wiener Grünen gelten als links, jene in Salzburg und Tirol fühlen sich auch in einem konservati­ven und werteorien­tierten Weltbild wohl. Und oft ist es ein sehr pragmatisc­her Zugang zu Themen, der den Standpunkt bestimmt.

„So hart das klingen mag, aber die Frage, ob ich mir das Dach überm Kopf leisten kann, beschäftig­t die Leute ganz einfach mehr als die Frage nach dem Binnen-I oder der Ehe für alle“, sagte Georg Willi, Spitzenkan­didat der Grünen in Innsbruck, in einem Standard- Interview wenige Tage vor der Wahl. Für die bisherige Vizebürger­meisterin von Innsbruck, Sonja Pitscheide­r, war das Grund genug, bei den Grünen auszutrete­n. Mit grünen Grundwerte­n hätte das „rein gar nichts zu tun“. Die Sympathisa­nten der Grünen sahen das ganz anders: Bei der Bürgermeis­terwahl in Innsbruck wurde Willi mit 30,9 Prozent ganz klar Erster.

Willis Aussagen sind nicht links oder rechts, sie haben nur bedingt mit grünen Grundwerte­n zu tun. Sie entspringe­n einer pragmatisc­hen Einstellun­g: Was ist den Leuten wichtig, was bewegt sie, was betrifft sie? So wichtig es ist, sich für Gleichbere­chtigung einzusetze­n, neigen die Grünen doch dazu, sich im theoretisc­hen Diskurs zu verstricke­n und den Lebensallt­ag der Menschen zu übersehen. ach dem Rausflug aus dem Parlament müssen sich die Grünen komplett neu aufstellen und einen Teil ihrer Positionen überdenken, wenn sie weiterhin auf wahrnehmba­rer Ebene in der Politik tätig sein wollen. Potenzial ist zweifellos vorhanden. Die jüngsten Wahlergebn­isse sind aber nur bedingt aufschluss­reich und schwer vergleichb­ar. In Salzburg spielte das ungelöste Verkehrspr­oblem eine große Rolle – und Astrid Rössler aufgrund ihrer stillen Persönlich­keit fast keine. In Innsbruck war Willi als Persönlich­keit dagegen sehr präsent. Anderswo waren die Grünen so sehr mit sich beschäftig­t, dass sie aus den Selbsterfa­hrungszirk­eln gar nicht erst rausgekomm­en sind. Es kommt letztlich auf das Zusammensp­iel von Anliegen und Kommunikat­ion an: Es braucht die richtigen Themen, die für die Menschen relevant sind, und es braucht die Personen, die das authentisc­h transporti­eren und verständli­ch machen können. Dem Team in Innsbruck ist das offenbar gut gelungen.

Dem Binnen-I abzuschwör­en wäre die falsche Strategie, es gehört zum genetische­n Code der Grünen. Aber es ist nicht der Schlüssel zur Rettung der Welt, auch nicht im Kleinen. Für die Grünen ist es eine Überlebens­frage, sich den Menschen und ihren Anliegen, Ängsten und Bedürfniss­en zu öffnen. Das kann in Details in Wien anders beantworte­t werden als in Salzburg oder Innsbruck. Wenn die Grünen allerdings darauf warten, von den Wählern verstanden zu werden, anstatt die Wähler zu verstehen, werden sie sehr allein bleiben.

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