84 Lämpchen im Theseustempel
Die Intervention im Wiener Theseustempel stammt erstmals von einem bereits verstorbenen Künstler: Felix Gonzalez-Torres reflektierte über das Leben mit Aids in der Ära Reagan.
Wien – Bonbons. Irgendwie hätte man auf die süßen Zuckerln getippt – eingewickelt in glänzende silberne, rote, blaue Papiere, geschüttet zu stattlichen Bergen, arrangiert zu verlockenden bunten Feldern. Ein Zuckerzeugberg im Theseustempel, der schwindet, dessen schimmernde Steilhänge abrutschen, weil die Spaziergänger im Volksgarten ihn eins ums andere Bonbon weglutschen. Ein Kunstwerk, das sich verzehrt und das, wenn es – wie von Felix Gonzalez-Torres (1957–1996) gewünscht – wieder aufgefüllt wird, sich quasi regeneriert.
Nun sind es die Glühbirnen einer Lichterkette, die den Raum des klassizistischen Tempelchens in ein zartes, regelrecht melancholisches Licht tauchen. Definitiv zahnschonender – aber in ihrer Symbolik sind diese Arbeiten gar nicht so weit voneinander entfernt. Auch die Birnen verlöschen irgendwann; im Verglimmen ihrer Glühfäden hauchen sie ihr Leben aus. Auch sie werden erneuert, so wünscht es das Konzept des vor zweiundzwanzig Jahren verstorbenen kubanisch-amerikanischen Künstlers. Die wilde Party ist vorbei, die süße Verlockung verspeist. In Leben, Liebe und Lust schwingen immer auch Vergänglichkeit, das Ephemere des Glücks und sein Verlust mit. Im Kreislauf des Lebens beginnt aber mit einer neuen Birne ein neuer Zyklus.
Minimalismus und Gefühle
Es ist das erste Mal seit 2012, dass die vom Kunsthistorischen Museum (KHM) angestiftete Intervention im Theseustempel nicht von einem lebenden Künstler vorgenommen wird. Aber GonzalezTorres ist trotz seines frühen Todes und eines überschaubaren Repertoires an Motiven ein weit über die 1990er-Jahre hinaus prägender Künstler. Mit einfachen, unprätentiösen Materialien und Objekten, Kunstwerken, von denen man ein Stück mit nach Hause nehmen konnte, schuf er sehr unmittelbar erfahrbare Arbeiten. GonzalezTorres vereinte die Strenge der Konzeptkunst und die Kühle des Minimalismus mit Poesie und Emotionalität. Und mit Gesellschaftspolitik.
Denn Gonzalez-Torres starb an Aids, so wie nur fünf Jahre zuvor sein Lebensgefährte Ross und viele seiner Freunde. Künstler waren wesentlich in den politischen AidsAktivismus in den USA der 1980er involviert. Die „republikanischen Jahre“unter Ronald Reagan zeichneten sich durch gesteigerte Gegensätze aus: Reichtum gegen Armut, Weiß gegen Schwarz, Heterogegen Homosexuelle, Gesunde gegen HIV-Positive. In einer patriarchalen Gesellschaft war Gonzalez-Torres zur permanenten Gratwanderung zwischen öffentlich und privat regelrecht gezwungen. Das galt es zu ändern.
Politik des Intimen
1991 ließ er einen Gogo-Tänzer im Museum auftreten und verwandelte damit den öffentlichen Raum in einem privaten Ort schwulen Begehrens. Nach dem Tod von Ross fotografierte er das leere Doppelbett, fing in den Kissen Spuren des verlorenen Lebens ein. Als dieses Bild 1992 in New York plakatiert wurde, war das ein zutiefst politisches Statement: es erzählte von der Lebensrealität der in der Gesellschaft diskriminierten Homosexuellen.
Gonzalez-Torres’ Bonbonhaufen sind banal, solange man nicht weiß, dass manche genauso viel wiegen wie sein Geliebter in der Zeit vor der Krankheit. Auch das Duett der Lichterketten Untitled (Lovers – Paris) von 1993 erzählt vom Licht, das einer in das Leben des anderen bringt. Ursprünglich spielte Gonzalez-Torres darauf an, dass eine 60-Watt-Birne, die gleiche Wärmemenge abstrahlt wie ein menschlicher Körper. Heute sind in die Fassungen 8-WattEnergiesparlampen gedreht. Die sind nicht nur kälter, sondern sie halten beinahe ewig. Bis 1. 10.