Internetanbieter für Verschiebung des Überwachungspakets
Branchenvertreter zweifeln an Umsetzbarkeit der Regierungspläne
Wien – Die Vertreter der Internetwirtschaft denken nicht, dass sie fristgerecht den ersten Teil des von der Regierung beschlossenen Überwachungspakets umsetzen können. Bereits ab 1. Juni sollen Internet- und Mobilfunkdaten auf Anordnung „eingefroren“werden, damit Ermittler nach einem richterlichen Beschluss auf diese zugreifen können. Doch es gebe im Gesetzestext „Unklarheiten und offene Fragen“, sagt Maximilian Schubert, Generalsekretär der Internet Service Providers Austria (Ispa), zum STANDARD.
Ein pünktlicher Start im Juni sei „beinahe ein Ding der Unmöglichkeit“, so Schubert. Telekomfirmen fordern nun eine Fristverlänge- rung, sie sollen sich dazu in Gesprächen mit zuständigen Ministerien befinden.
Neben dem „Quick Freeze“werden ab Juni auch die Bestimmungen zum Briefgeheimnis gelockert. Die anderen Teile des Überwachungspakets, etwa mehr Videoüberwachung oder die Registrierung von Wertkarten, treten dann schrittweise in Kraft. Als Schlusspunkt folgt der Bundestrojaner, der ab 1. April 2020 in Mobiltelefone von Verdächtigen eindringen wird. Derzeit befindet sich das Innenministerium auf der Suche nach der Software. Dabei sind offenbar die zwei deutschen Firmen Finfisher und Digitask die Favoriten. (red)
Wien – Nach einem jahrelangen politischen Tauziehen wurden nun weitreichende Überwachungsmaßnahmen beschlossen. Das Überwachungspaket passierte vergangene Woche den Nationalrat, am Donnerstag gelangt es in den Bundesrat, dann folgt die Unterschrift des Bundespräsidenten. Der Großteil der Maßnahmen tritt bereits im Juni 2018 in Kraft. Ab dann dürfen beispielsweise Briefe von Verdächtigen geöffnet werden. Auch das sogenannte Einfrieren von Telekommunikationsdaten darf ab Juni verlangt werden. Staatsanwälte dürfen dann anordnen, dass Telekomunternehmen Daten bestimmter Nutzer nicht löschen, wenn gegen diese ein Verdacht besteht.
Quick Freeze schon ab Juni
Nach einer richterlichen Bewilligung kann der Zugriff auf diese Informationen erfolgen, sie dürfen maximal ein Jahr gespeichert werden. Der Verband der Internet Service Provider (ISPA) kritisiert den engen Zeitrahmen und moniert Unklarheiten im Gesetz.
„Eine Umsetzung innerhalb so kurzer Zeit wäre für die Provider auch dann extrem schwierig, wenn im Gesetzestext wirklich alles auf Punkt und Beistrich geregelt wäre. Bei den vielen offenen Fragen und Unklarheiten, die wir sehen, ist es jedoch beinahe ein Ding der Unmöglichkeit“, sagt ISPA-Generalsekretär Maximilian Schubert zum STANDARD.
Man wolle nun mit den Ministerien ins Gespräch kommen, um womöglich eine Fristverlängerung und einen „unbedingt notwendigen Kostenersatz“zu besprechen. Derartige Wünsche hatten auch die Mobilfunker deponiert.
Ab Juni 2018 beginnt außerdem der Ausbau der Videoüberwachung auf Autobahnen. Das Innenministerium, das Verkehrsministerium sowie die Asfinag begeben sich nun auf die Suche nach „neuralgischen Punkten“, an denen Autofahrer überwacht werden sollen. Bis Ende Dezember 2018 ist dem Nationalrat darüber Bericht zu erstatten, dann folgt die Umsetzung. Bereits ab Juni werden Daten von bestehenden Vorrichtungen zur Kennzeichenerfassung bis zu zwei Wochen lang gespeichert. Zudem können nun auch Bilder des Fahrzeuglenkers aufgehoben werden, das gilt ab dem „Tag der Kundmachung“des Gesetzes.
Mehr Autobahnkameras
Momentan ist die sogenannte Section-Control der Asfinag bei fünf Stellen im Einsatz: auf der A2 zwischen Krumbach und Grimmenstein in Richtung Wien im Ehrentalerbergtunnel, auf der A7 im Tunnel Bindermichl, auf der A9 im Plabutschtunnel und auf der A22 im Tunnel Kaisermühlen. Die Polizei hat auf diesem Weg Zugriff auf Fotos von Kennzeichen von Verkehrsteilnehmern, die zu schnell gefahren sind.
„Sollte der Gesetzgeber hier eine umfassendere und längere Speicherung von Daten anordnen, werden wir als Asfinag dem nachkommen“, sagt die Asfinag dem STANDARD. Das gilt auch für Kameras zur Verkehrsbeobachtung, mit denen bisher nicht aufgezeichnet wurde. Die Identifikation von neuralgischen Stellen liege laut Asfinag aber bei den Sicherheitsbehörden selbst, nicht beim Autobahnbetreiber.
Ab 1. Jänner 2019 beginnt die Ausweispflicht beim Kauf von Handywertkarten. Das gilt auch für Bestandskunden, die sich beim Erwerb neuer Guthaben registrieren müssen. Eine andere Maßnahme greift ab März 2019: Dann müssen Flughäfen, Bahnhöfe und öffentliche Stellen Videoaufnahmen an Ermittler weitergeben.
Für den am kontroversesten diskutierten Teil des Überwachungspakets gibt es hingegen noch eine Vorlaufzeit. Der Bundestrojaner soll erst ab 1. April 2020 eingesetzt werden. Das Innenministerium muss sich nun also auf die Suche nach einer entsprechenden Software begeben, die Sicherheitslücken ausnutzt, um Kommunikationsvorgänge am Smartphone von Verdächtigen auszuspionieren. Als aussichtsreiche Kandidaten für den Verkauf eines Bundestrojaner-Programms an Österreich gelten zwei deutsche Firmen: Digitask und Finfisher.
Deutsche Anbieter
Digitask gab bereits 2011 an, eine Geschäftsbeziehung mit dem österreichischen Innenministerium zu unterhalten. Das Unternehmen entwickelte für deutsche Behörden bereits Bundestrojaner, eine ihrer Softwarelösungen wurde 2011 vom Chaos Computer Club auseinandergenommen – und wegen grober Sicherheitsmängel scharf kritisiert. Das deutsche Bundeskriminalamt berät sich mit anderen Behörden, etwa aus der Schweiz oder Belgien, über den Einsatz von DigitaskSoftware. Österreich würde hier vermutlich dazustoßen. Eine Alternative wäre Finfisher, das derzeit vom Bundeskriminalamt in Deutschland genutzt wird. Die vom gleichnamigen deutsch-britischen Unternehmen hergestellte Überwachungssoftware wurde bereits 2013 von Deutschland erworben, musste dann aber angepasst werden. Finfisher wurde in der Vergangenheit mehrfach für den Verkauf an despotische Regime, etwa in Bahrain, kritisiert. Eine unwahrscheinliche Variante ist die Eigenentwicklung eines Trojaners. Daran scheiterte zuletzt Deutschland, das sechs Millionen Euro in die Erstellung eines eigenen Spionageprogramms gepumpt hat. Das Innenministerium beantwortete Fragen zum Beschaffungsvorgang nicht.
Für den Widerstand gegen das Überwachungspaket gibt es nun mehrere Möglichkeiten. So könnte die SPÖ – im Nationalrat mit Neos oder Liste Pilz, im Bundesrat allein – eine sogenannte Drittelbeschwerde einbringen. Dann würden Teile des Gesetzes direkt vor dem Verfassungsgerichtshof landen. Die SPÖ beantwortete eine dementsprechende Anfrage des STANDARD nicht. Außerdem können nach dem Inkrafttreten der Maßnahmen Betroffene gegen einzelne Regelungen klagen. So wurde beispielsweise die Vorratsdatenspeicherung zu Fall gebracht. Entscheidend daran beteiligt waren die Datenschützer von AK Vorrat, die nun unter dem Namen epicenter.works arbeiten.
Deren Sprecher Werner Reiter sagt auf Anfrage des STANDARD, dass die Regierung zwar in einigen Punkten nachgebessert habe, das Überwachungspaket in Summe aber eine „tickende Zeitbombe“für unsere Demokratie sei. „Wir gehen davon aus, dass Beschwerden beim Verfassungsgerichtshof sie entschärfen werden“, sagt Reiter. Bis dahin könnten allerdings einige Jahre vergehen.