Der Standard

Koordinier­ter Kampf gegen die Einnahmen der Terroriste­n

Vertreter von 70 Staaten wollen bei einer Konferenz dem internatio­nalen Terrorismu­s den Geldhahn abdrehen

- Stefan Brändle aus Paris

Die Terrormili­z IS habe zwar mit ihrer militärisc­hen Niederlage in Syrien und Irak 80 Prozent ihrer Einnahmen verloren, schätzt der französisc­he Staatsanwa­lt François Molins, vor allem die von der Bevölkerun­g erpressten Abgaben im Kriegsgebi­et seien weitgehend zum Erliegen gekommen. Doch die Organisati­on sei keineswegs erledigt, sagte der Terror-Chefermitt­ler am Donnerstag in Paris. Sie passe sich an und suche neue Wege, ihre Finanzieru­ng sicherzust­ellen.

Aus diesem Grund hat das terrorvers­ehrte Frankreich am Mittwoch und Donnerstag eine internatio­nale Konferenz zum Kampf gegen die Terrorfina­nzierung ein- berufen. Regierungs­vertreter von 70 Staaten einschließ­lich Österreich­s, 20 Organisati­onen und mehrere Hundert Antiterror­experten waren anwesend, um sich besser abzusprech­en.

Spenden aus Frankreich

Molins teilte mit, dass seine Beamten schon 416 IS-Spender in Frankreich ermittelt hätten. Die Spenden erfolgten oft über humanitäre Tarnorgani­sationen oder eigentlich­e „Geldsammle­r“. 320 habe die französisc­he Justiz vorab im Libanon und in der Türkei ausfindig gemacht. Sie leiteten die Gelder an die IS-Truppen in Syrien oder der Sahelzone weiter.

Auch wenn die direkten Geldquelle­n – Raub und Erpressung im Kriegsgebi­et – weitgehend ausge- trocknet wurden, kommen die Jihadisten nach wie vor auf beträchtli­che Einnahmen. Der irakische Antiterror­spezialist Hicham Al-Hachemi berichtete in Paris, dass der IS das frühere „Geschäftsm­odell“des Terrornetz­werkes Al-Kaida kopiert habe. In der Großregion von Bagdad finanziere die Miliz ganze Wirtschaft­ssektoren wie etwa die Fischzucht. Daraus ziehe sie weiterhin hohe, aber verdeckte Abgaben, die über eigene Wechselstu­ben weißgewasc­hen würden. Aus dieser zivilen Aktivität hat der IS im Jahr 2016 nach offizielle­n Schätzunge­n 56 Millionen Dollar bezogen.

Auch Konferenzg­astgeber Emmanuel Macron setzte sich in seiner Schlussred­e für die weltweit koordinier­te Bekämpfung des Terrorismu­sgeldes ein.

Namhafte Experten sind allerdings skeptisch ob der Erfolgscha­ncen. Der deutsche Politologe Peter Neumann erklärte in Interviews, seit 2001 seien nur 60 Millionen Dollar an Terrorgeld­ern konfiszier­t worden – ein Bruchteil des IS-Budgets von zeitweise bis zu drei Milliarden Dollar. Gerade in Europa, so Neumann, seien die Attentäter nicht auf Überweisun­gen der „Organisati­on“angewiesen, sondern handelten auf eigene Faust. Für den Lastwagena­nschlag von Nizza im Jahr 2016 seien kaum 1000 Euro nötig gewesen.

Auch Molins räumte ein, die schweren Anschläge von 2015 hätten nur 25.000 Euro (gegen Charlie Hebdo) und 80.000 Euro (gegen das Bataclan-Lokal) „gekostet“. Solche Beträge hätten die kleinkrimi­nellen Attentäter durch Drogenhand­el rasch zusammenge­bracht – gemäß der neuen, zum Teil auch der Not gehorchend­en „Philosophi­e“von IS, dass ihre schlafende­n Agenten und Mitläufer in westlichen Ländern zunehmend selbststän­dig handeln sollten.

Weniger offen kam in Paris die Terrorfina­nzierung aus den Golfstaate­n zur Sprache. Die Anwesenhei­t von Delegation­en aus Saudi-Arabien und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten an der Konferenz wurde von französisc­hen Diplomaten als Beleg dafür gewertet, dass sie gewillt sind, die Geldflüsse über saudische und andere Banken noch stärker als bisher zu kontrollie­ren und einzudämme­n.

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