Die Armut stagniert, die politischen Phrasen nicht
18,1 Prozent der Bevölkerung gelten in Österreich als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Obwohl sich die Zahlen gegenüber 2017 kaum verändert haben, fallen die politischen Reaktionen durchaus anders aus: Die FPÖ sieht sich auf „gutem Weg“, die SPÖ lässt
Wien – Ein schlichter Regierungswechsel vermag die Wahrnehmung fast gleichlautender Zahlen um 180 Grad zu drehen. Als Konrad Pesendorfer, Generaldirektor der Statistik-Austria, im vergangenen Mai die Zahl der Armuts- und Ausgrenzungsgefährdeten präsentierte, waren sich Sozialminister Alois Stöger und Frauenministerin Pamela Rendi-Wagner (beide SPÖ) einig: Die 18 Prozent der Bevölkerung, die laut EU-SILC-Erhebung gefährdet sind, müssten weniger werden, man sei aber auf dem „richtigen Weg“und „mache Fortschritte“. FPÖ-Chef HeinzChristian Strache, damals noch in Opposition, kritisierte die „Raubritterregierung“und schob ihr die Verantwortung für die rund 1,54 Millionen Armutsgefährdeten zu.
Am Mittwoch, gut ein Jahr später, gab Pesendorfer die aktualisierte Zahl bekannt, und obwohl sie sich „statistisch nicht bedeutsam“auf 18,1 Prozent (oder 1,56 Millionen Menschen) veränderte, erkennt plötzlich die SPÖ ein Regierungsversagen: Laut Bundesfrauenvorsitzender Gabriele Hei- nisch-Hosek „bestraft SchwarzBlau alle, die Hilfe brauchen“. Und genauso plötzlich ist es die FPÖ, die die Entwicklung dank „wichtiger Schritte“nun auf „gutem Weg“sieht – mit dem obligaten Nachsatz, dass man „weiter Maßnahmen zur Armutsbekämpfung ergreifen“müsse, so Sozialministerin Beate Hartinger-Klein.
Risiko Dauerarbeitslosigkeit
Die 18,1 Prozent der Armutsoder Ausgrenzungsgefährdeten setzen sich zusammen aus Menschen, die in eine oder mehrere von drei „Sozialzielgruppen“fallen: Sie leben in Haushalten mit niedriger Erwerbsintensität, verfügen über weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens oder leiden an „erheblicher materieller Deprivation“(siehe Grafik rechts).
Hochrisikogruppen sind Langzeitarbeitslose (von denen 80 Prozent gefährdet sind), Drittstaatsangehörige (50 Prozent) und Alleinerzieher (47 Prozent). Auch Auszubildende (28 Prozent) und Hilfsarbeitskräfte (19 Prozent) liegen über den 18,1 Prozent. Weniger gefährdet als der Bundesschnitt sind etwa Erwerbstätige (zehn Prozent), Hochschulabsolventen (13 Prozent) oder österreichische Staatsbürger (14 Prozent).
Unter den Menschen, die eine Pension beziehen und allein leben, herrscht eine Geschlechterkluft dies- und jenseits des Österreich-Mittels: Frauen in dieser Ka- tegorie sind zu 27 Prozent gefährdet, Männer nur zu 16 Prozent.
Im EU-Vergleich liegt Österreich hinter Tschechien (13,3 Prozent), Finnland (16,6 Prozent), Dänemark und den Niederlanden (je 16,7 Prozent) an fünfter Stelle und klar unter dem EU-Schnitt von 23,5 Prozent. Pesendorfer wies darauf hin, dass ein direkter Ländervergleich wegen abweichenden Wohlstandsniveaus irreführend sein kann; so könne ein Leben über der tschechischen Armutsschwelle prekärer ausfallen als eines unter der österreichischen.