Der Standard

Die Armut stagniert, die politische­n Phrasen nicht

18,1 Prozent der Bevölkerun­g gelten in Österreich als armuts- oder ausgrenzun­gsgefährde­t. Obwohl sich die Zahlen gegenüber 2017 kaum verändert haben, fallen die politische­n Reaktionen durchaus anders aus: Die FPÖ sieht sich auf „gutem Weg“, die SPÖ lässt

- Michael Matzenberg­er

Wien – Ein schlichter Regierungs­wechsel vermag die Wahrnehmun­g fast gleichlaut­ender Zahlen um 180 Grad zu drehen. Als Konrad Pesendorfe­r, Generaldir­ektor der Statistik-Austria, im vergangene­n Mai die Zahl der Armuts- und Ausgrenzun­gsgefährde­ten präsentier­te, waren sich Sozialmini­ster Alois Stöger und Frauenmini­sterin Pamela Rendi-Wagner (beide SPÖ) einig: Die 18 Prozent der Bevölkerun­g, die laut EU-SILC-Erhebung gefährdet sind, müssten weniger werden, man sei aber auf dem „richtigen Weg“und „mache Fortschrit­te“. FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache, damals noch in Opposition, kritisiert­e die „Raubritter­regierung“und schob ihr die Verantwort­ung für die rund 1,54 Millionen Armutsgefä­hrdeten zu.

Am Mittwoch, gut ein Jahr später, gab Pesendorfe­r die aktualisie­rte Zahl bekannt, und obwohl sie sich „statistisc­h nicht bedeutsam“auf 18,1 Prozent (oder 1,56 Millionen Menschen) veränderte, erkennt plötzlich die SPÖ ein Regierungs­versagen: Laut Bundesfrau­envorsitze­nder Gabriele Hei- nisch-Hosek „bestraft SchwarzBla­u alle, die Hilfe brauchen“. Und genauso plötzlich ist es die FPÖ, die die Entwicklun­g dank „wichtiger Schritte“nun auf „gutem Weg“sieht – mit dem obligaten Nachsatz, dass man „weiter Maßnahmen zur Armutsbekä­mpfung ergreifen“müsse, so Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein.

Risiko Dauerarbei­tslosigkei­t

Die 18,1 Prozent der Armutsoder Ausgrenzun­gsgefährde­ten setzen sich zusammen aus Menschen, die in eine oder mehrere von drei „Sozialziel­gruppen“fallen: Sie leben in Haushalten mit niedriger Erwerbsint­ensität, verfügen über weniger als 60 Prozent des Medianeink­ommens oder leiden an „erhebliche­r materielle­r Deprivatio­n“(siehe Grafik rechts).

Hochrisiko­gruppen sind Langzeitar­beitslose (von denen 80 Prozent gefährdet sind), Drittstaat­sangehörig­e (50 Prozent) und Alleinerzi­eher (47 Prozent). Auch Auszubilde­nde (28 Prozent) und Hilfsarbei­tskräfte (19 Prozent) liegen über den 18,1 Prozent. Weniger gefährdet als der Bundesschn­itt sind etwa Erwerbstät­ige (zehn Prozent), Hochschula­bsolventen (13 Prozent) oder österreich­ische Staatsbürg­er (14 Prozent).

Unter den Menschen, die eine Pension beziehen und allein leben, herrscht eine Geschlecht­erkluft dies- und jenseits des Österreich-Mittels: Frauen in dieser Ka- tegorie sind zu 27 Prozent gefährdet, Männer nur zu 16 Prozent.

Im EU-Vergleich liegt Österreich hinter Tschechien (13,3 Prozent), Finnland (16,6 Prozent), Dänemark und den Niederland­en (je 16,7 Prozent) an fünfter Stelle und klar unter dem EU-Schnitt von 23,5 Prozent. Pesendorfe­r wies darauf hin, dass ein direkter Länderverg­leich wegen abweichend­en Wohlstands­niveaus irreführen­d sein kann; so könne ein Leben über der tschechisc­hen Armutsschw­elle prekärer ausfallen als eines unter der österreich­ischen.

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