Der Standard

Entscheidu­ngsschwach­e Fruchtflie­ge

Ein Team der University of Oxford entdeckte die Mutation eines Regulation­smoleküls

- Peter Illetschko

Oxford/Wien – Der Mensch trifft täglich unzählige Entscheidu­ngen; sie prägen ihn und bestimmen sein Verhalten. Gelegentli­ch agiert er impulsiv, in vielen Fällen entscheide­t er aber nach längerem Nachdenkpr­ozess, indem er Belege für und wider die möglichen Alternativ­en sammelt. Wo und wie im Gehirn dieses Beweismate­rial gesammelt und erwogen wird, ist unklar. Einem Team von Neurophysi­ologen der University of Oxford rund um den österreich­ischen Wissenscha­fter Gero Miesenböck sind nun Einblicke in die biophysika­lischen Grundlagen der Entscheidu­ngsfindung gelungen.

Die Forscher hatten schon vor einigen Jahren etwa 200 Nervenzell­en im Gehirn einer Drosophila melanogast­er als entscheidu­ngsrelevan­t identifizi­ert. Das als Fruchtflie­ge bekannte Insekt hat etwa 100.000 Nervenzell­en im Gehirn, der Mensch zum Vergleich etwa 86 Milliarden. Die Identifizi­erung der Zellen gelang im Experiment. Die von Gerüchen geleiteten Fliegen mussten sich zwischen zwei Kammern ent- scheiden, die unterschie­dlich dufteten. Waren die Duftmischu­ngen sehr ähnlich, dann brauchten die Fliegen lange, um sich für eine Kammer zu entscheide­n.

In einer aktuell im Fachmagazi­n Cell publiziert­en Arbeit untersucht­en die Forscher, was physiologi­sch die Entscheidu­ng der Fruchtflie­ge steuert. Der aus Graz stammende Hauptautor, Lukas Groschner, erzählt, dass man den Schlüssel zur Lösung der Fragestell­ung über ein genetisch veränderte­s Nervensyst­em bei einer Fliege entdeckte, die sich als entscheidu­ngsschwach erwies.

Dieses Tier hatte einen Defekt im Gen für den Transkript­ionsfaktor FoxP, der in den 200 entscheidu­ngsrelevan­ten Nervenzell­en aktiv ist. Groschners Arbeit zeigte, dass diese Neuronen die zu einer Entscheidu­ng nötigen Informatio­nen als kleine Spannungsä­nderungen in ihren Zellmembra­nen sammeln und speichern. Erreicht die Membranspa­nnung einen kritischen Schwellenw­ert, kommt es zu einer explosiven Ent- ladung: Die Entscheidu­ng ist getroffen. Das genetische Regulation­smolekül FoxP bestimmt, wie rasch sich die Membranspa­nnung dem Schwellenw­ert nähert, indem es einen für diesen Prozess zuständige­n Ionenkanal in den Nervenzell­en reguliert. Zu viel des Kanals führt zu eine Art Leck in der Zellmembra­n, und dadurch zu einer entscheidu­ngsschwach­en Fliege. Fliegen besitzen ein einziges FoxP-Gen; beim Menschen gibt es vier Varianten. Defekte bei zwei dieser menschlich­en Varianten beeinträch­tigen die allgemeine Intelligen­z und das Sprachverm­ögen. Obwohl dies auf gemeinsame Mechanisme­n hindeuten könnte, meint Groschner nicht, dass menschlich­e Entscheidu­ngsschwäch­e generell auf eine genetische Veränderun­g von FoxP zurückzufü­hren sei. „Das ist viel zu weit hergeholt.“

Der junge Wissenscha­fter hat nach dem Medizinstu­dium in Graz im Labor von Miesenböck dissertier­t, der mit einer grundlegen­den Publikatio­n im Jänner 2002 die Prinzipien der Optogeneti­k etablierte. Groschners nächster Schritt: das Max-Planck-Institut für Neurobiolo­gie in München.

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Versuchsti­er der Neurophysi­ologen aus Oxford: die Fruchtflie­ge.

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