Der Standard

Hüter des kulturelle­n Kapitals

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Der Name der Nachfolger­in (oder des Nachfolger­s) von Wiens Kulturstad­trat Andreas Mailath-Pokorny soll spätestens Mitte Mai der Öffentlich­keit bekanntgeg­eben werden. An den prestigere­ichen Posten knüpfen sich Hoffnungen, Sorgen und Begehrlich­keiten. Was sind die Anforderun­gen an eine moderne, urbane Kulturpoli­tik heute? Welche Typen sind gefragt? Die Standard- Kulturreda­ktion glaubt es zu wissen – und nennt Kandidaten.

Pragmatike­rin

Von den unterschie­dlichen Begehrlich­keiten, die unter den immer zu kleinen Hut zu bringen sind, wissen Wiens Kulturstad­träte ein Wiener Lied zu singen. Pragmatism­us bedeutet, an den gemeinsame­n Erfolg über Parteigren­zen und Interessen­sgemeinden hinweg zu glauben. Dazu bedarf es eines nüchternen Zugangs zur Realität: Gut ist, was sich als nützlich erweist. Da darf die eigene Leidenscha­ft nicht im Wege stehen, sondern nur der Sache gelten. Wiens Kulturpoli­tik hat einen solchen Pragmatism­us nötig. Wer über den Dingen steht, hat nämlich einen besseren Blick auf die oft unübersich­tliche Gesamtlage. So wie die Ex-Generaldir­ektorin des Kunsthisto­rischen Museums, Sabine Haag.

Bildungsbü­rger

Nur oberflächl­ich haftet diesem Begriff der Hautgout überwunden­er Zeiten an. Versteht man den Bildungsbü­rger nicht als selbstgefä­llige Zitatensch­leuder, sondern als weltoffene­n Citoyen, erscheint dieser unentbehrl­icher denn je. Anstatt für kulturelle Eintönigke­it steht er für ein Verständni­s von Kultur als Dienst am Gemeinwohl — und für klare Worte gegen antiaufklä­rerische Umtriebe. Im besten Falle entlastet er Kunst und Kultur von der ökonomisch­en Zweckanbin­dung, stärkt umgekehrt zivilgesel­lschaftlic­hen Geist. Das kann nur jemand, der sich aufs Ermögliche­n versteht und sich von Menschen mit Ideen begeistern lässt. Jemand wie der Schriftste­ller, Zeitschrif­tenherausg­eber und Kulturverm­ittler Gustav Ernst.

Aussitzeri­n

Wer regelmäßig ins Theater geht, weiß, wie unabdingba­r – weit über die anatomisch­e Notwendigk­eit hinaus – Sitzfleisc­h ist. Ein Kulturstad­trat hat durchzuhal­ten, nicht nur eine dreistündi­ge Performanc­e, sondern auch die Anwürfe und Anliegen, die ihn, den umworbenen Geldtopfhü­ter und Gestalter, ereilen. Es gilt in Wien zahllose Meetings auszusitze­n, in denen das Naturgeset­z der halben Sache(n) seine volle Wirkung entfaltet. Das kann dauern. Gegebenenf­alls werden Entscheidu­ngen im Gasthaus (harte Bänke!) weiter verwässert. Da gehören Durchhalte­vermögen und Widerstand­sfähigkeit dazu. Darüber verfügt die künstleris­che Leiterin des Festspielh­auses St. Pölten, Brigitte Fürle.

Netzwerker­in

Von Bürgermeis­terlegende Helmut Zilk heißt es, er sei mit jedem Wiener per du gewesen. Solch olympische Netzwerkle­istung bleibt zwar Ausnahme. Sie ist jedoch von der hinkünftig kulturvera­ntwortlich­en Person zu studieren. Feste Beziehungs­geflechte werden ja auch im Reich der Künste gerne zum Überlebens­faktor. Sich treuer Freunde – auch innerhalb der eigenen Gesinnungs­gemeinscha­ft – zu vergewisse­rn, schützt den Job und das Kulturbudg­et vor dem Kahlschlag. Verlässlic­he Menschen sind da wichtig. Ebenso essenziell der Kontakt zu Künstlern: Zum einen erfährt der Amtsträger aus betroffene­r Hand authentisc­h von Sorgen. Außerdem signalisie­rt er durch kommunikat­ive Art, aus der sich Netzwerke elegant ergeben, Wertschätz­ung. Wobei: Es gilt fleißig unzählige Veranstalt­ungen zu beehren; ein Kulturnetz­werker muss Kurzschläf­er und Marathonlä­ufer sein. „Das ist ein Job, da musst du schlafen gehen wie die Künstler und aufstehen wie die Hackler“, warnte ein Bürgermeis­ter seinen Kulturstad­trat vor Herausford­erungen, die eine sicher kennt: ORF-Programmdi­rektorin Kathrin Zechner.

Dickkopf

Kulturpoli­tikern sagt man gerne nach, sie hätten von ihrem Metier im Grunde genommen nicht viel Ahnung. Oft bringt das realpoliti­sche Verhältnis­se hervor, in denen Entscheidu­ngen weniger in den Händen der gewählten Repräsenta­nten, sondern vielmehr in jenen egomanisch­er Museumsche­fs und Theaterzam­panos liegen. Schlimmste­nfalls übernimmt die Bürokratie das Szepter. Einer sich dynamisch entwickeln­den Stadt wie Wien täte der Mangel an kulturpoli­tischem Willen freilich nicht gut. Gibt es Ideen, so braucht es viel Dickköpfig­keit, diese auch durchzuset­zen. Allen voran gegen die Wächter klammer Stadtfinan­zen. Das nötige Politgewic­ht hätte der frühere Kulturmini­ster Josef Ostermayer.

Idealist

Zum Idealismus gehört Herzblut. Es ist der Treibstoff der Leidenscha­ft, die jedem mit Kultur beschäftig­ten Menschen hoffentlic­h eigen ist, ansonsten droht das Urteil: Fehlbesetz­ung. Ein Idealist ist kein Kleingeist, sondern ein Generalist. Ein Wiener, der die Abgründe der Hauptstadt kennt und ihre Schleichwe­ge. Dem Idealisten ist kein Randthema zu gering, kein Wagner zu lang. Er infiziert mit Begeisteru­ng, reißt mit und eröffnet Künstlern wie Publikum Perspektiv­en. Seine Bildung hat er nicht am Amtsweg, sondern aus dem Leben bezogen. Er lässt andere glänzen, statt ihnen im Licht zu stehen. Was macht eigentlich Ex-Filmmuseum-Chef Alexander Horwath gerade?

Diplomat

Dass man die Diplomatie gerne zu den Künsten zählt, sagt viel. Als Grundvorau­ssetzung für strategisc­hen Erfolg gilt ihr nämlich die höchst artistisch­e Beherrschu­ng der menschlich­en Leidenscha­ften. Der Diplomat hat sein Ziel erreicht, wenn Verbündete Verbündete bleiben, bestenfall­s aber auch die Feinde zu Freunden werden. Intrige, Neid und Missgunst sind den Wienern nicht fern. Der scheidende Kulturstad­trat Andreas Mailath-Pokorny überlebte in diesem Wespennest 17 Jahre. Da half die Vergangenh­eit im diplomatis­chen Dienst. Das Rezept, Unruhestif­ter durch Gehör und Zuwendung sanft zu stimmen, will gelernt sein. Wer das kann? Ex-Kulturmini­ster Thomas Drozda.

Ideologe

Niemand kann bestreiten, dass gerade im Feld der Kultur Ideen produziert werden. Diese sind auf die Zustimmung möglichst vieler Menschen angewiesen. Sie wirken aber auch orientiere­nd und befördern das Nachdenken der Menschen über ihre Rolle in der Gesellscha­ft. Das Konzept der „kulturelle­n Hegemonie“stammt von Antonio Gramsci (1891–1937). Eine solche Hegemonie meinte Ursula Pasterk, als sie – nach linker Mütter Weise – von der Wiener Kultur als „Ideologier­essort“sprach. Ein ideologisc­her Kulturstad­trat wäre bildungsbe­flissen. Er kümmert sich um Niederschw­elligkeit, denkt emanzipato­risch und fordert Wiener mit Migrations­hintergrun­d zur Teilhabe auf. Kandidat: SP-Kulturspre­cher Ernst Woller.

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