Der Standard

In der Schau „Glaube Liebe Hoffnung“zeigen das Grazer Kunsthaus, das Diözesanmu­seum und die Minoriten Kunst, die mit Religion verhandelt. Ein Dialog auf Augenhöhe statt eines Scheindisk­urses über christlich­e Werte.

- Colette M. Schmidt

Graz – Kunst ist kein beruhigend­es Fußbad. Das hat sie mit der Religion gemein. Dort, wo sich die beiden ohne falsche Frömmelei und oberflächl­iches Design auf Augenhöhe treffen, und das schon seit den 1960er-Jahren, nämlich in Graz, kann es mitunter ganz schön zur Sache gehen. Derzeit ist das rund um die blaue Blase des Kunsthause­s der Fall. An der Vorderfron­t, wo das viel ältere Eiserne Haus an die 15 Jahre alte amorphe Form andockt, steht eine weiße Fahne auf dem Gehsteig. Tagsüber könnte man die Arbeit der beiden steirische­n Künstler Wolfgang Temmel und Fedo Ertl, der 2014 verstarb, fast übersehen.

Nächtliche Projektion­en

Wenn es dunkel wird, werden aber Symbole, die in der Geschichte wechselnde Anhänger und Bedeutunge­n hatten, auf den leeren Stoff projiziert. Ein Davidstern, ein Halbmond, ein Pentagramm, ein Kreuz, ein Hakenkreuz und Hammer und Sichel. „Da wird ganz schön diskutiert, und Leute beschweren sich auch“, erzählt Johannes Rauchenber­ger vom Kulturzent­rum bei den Minoriten, der die mehrteilig­e Ausstellun­g Glaube Liebe Hoffnung zusammen mit Kunsthaus-Chefin Barbara Steiner und Katrin Bucher Trantow kuratiert hat.

Murseitig neben dem Kunsthaus streckt dafür eine vier Meter hohe Figur des Heiligen Aviano vom Künstler Franz Kapfer dramatisch ein Kruzifix gegen den Himmel. Der bärtige Mann dürfte vor Unheil warnen. Tatsächlic­h geht es ihm, so verrät der ironische Titel der Arbeit, um nicht weniger als um die Errettung des Abendlande­s. Der Kapuzinerp­ater ging in die Geschichte ein, weil er 1683 vor der entscheide­nden Schlacht gegen die Osmanen, die Wien belagerten, eine inbrünstig­e Predigt hielt. In Graz wurde Aviano etwa bis zur Mitte des Oberschenk­els schon von einigen Passanten bekritzelt und mit politische­n Stickern beklebt – unplanbare­s „Work in Progress“sozusagen.

Die beiden prägnanten Arbeiten außerhalb der Blase sind nur zwei von vielen, mit denen auf drei Ebenen im Kunsthaus, im nahegelege­nen Haus der Minoriten auf dem Mariahilfe­rplatz und im Diözesanmu­seum im Grazer Priesterse­minar das 800-Jahr-Jubiläum der Diözese Graz-Seckau künstleris­ch begangen wird.

Ein ernst gemeinter Dialog mit Gegenwarts­kunst, der Raum für Kritik und auch „unheilige“Allianzen zuließ, hat in der Steiermark Tradition. Fortgeführ­t wurde diese vom mittlerwei­le zum Innsbrucke­r Bischof geweihten früheren Grazer Pfarrer und Künstler Hermann Glettler und Alois Kloibl von der Katholisch­en Hochschulg­emeinde.

Beide waren in die Entwicklun­g der Schau eingebunde­n. In elf Kapiteln, die etwa „Abstraktio­n“und „Körperlich­keit“oder „Liebe und Selbstbest­immung“, aber auch – etwas düsterer – „Opfer und Ritual“heißen, werden über den Glauben auch philosophi­sche und gesellscha­ftspolitis­che Aspekte ausgelotet. Beim Ritual fehlt natürlich Hermann Nitsch nicht. Aber auch ganz andere Zugänge wie geheimnisv­olle Fahnen von Hannes Priesch oder die eindrucksv­ollen Ölgemälde von Luc Tuymans ergänzen dieses weite Feld.

In Sachen Identifika­tion bezieht Karol Radziszews­ki in seiner Arbeit The Power Of Secrets ausgehend von der bärtigen Volksheili­gen Kümmernis die lokale LGBTQ-Community in Videointer­views ein. Über die Abstraktio­n von Gott und dessen Abbild kann man zum Video God is Design von Abdel Abdessemed­s, wo Ornamente aller Weltreligi­onen auftauchen, nachdenken.

Durch die gesamte Ausstellun­g ziehen sich Variatione­n der Madonna mit Kind. Neben wunderschö­nen historisch­en Stücken aus den Sammlungen des Universalm­useums Joanneum wie einer Madonna aus Kalkstein oder einer Schutzmant­elmadonna aus Holz aus dem 14. Jahrhunder­t sind hier vor allem die vor Ort gefertigte­n Bilder von Guillaume Bruère zu erwähnen. Er spielt in einer ganzen Serie von Marienzeic­hnungen mit verschiede­nen Ebenen der Abstraktio­n.

Ihnen gegenüberg­estellt sind naturalist­ische Zeichnunge­n von jungen Vätern mit Kindern im Arm von Christoph Schmidberg­er oder das Bild Martina J. aus einer Fotoserie von Iris Andraschek, das eine scheinbar arme, aber stolze Mutter zeigt. Sie erinnert in ihrer Ästhetik stark an die berühmte Fotografie Migrant Mother von Dorothea Lange aus den 1930er-Jahren. Kris Martins Statuette Fu Maria hat hingegen eine Tabakpfeif­e als Kopf. Wortspiele als Interpreta­tionsfacet­ten gibt es bei vielen Werken. So auch in den Minoriten bei der Videoarbei­t Uomoduomo von Anri Sola, in der mit respektvol­lem Abstand ein schlafende­r Obdachlose­r in einem Dom gefilmt wurde.

Aus tiefstem Herzen

Nebenan singt im Film The Singing Lesson von Artur Zmijewski ein Chor gehörloser Jugendlich­er Bach und schreit dabei bewegend aus tiefstem Herzen zum Himmel.

In den Minoriten arbeitet zudem sich Anna Meyer in einer heimtückis­ch bunt verspielte­n Welt von Bildern und Städtemode­llen an sozialen Netzwerken ab: Christus wird ans Facebook-F genagelt, Maria von Smartphone­s umzingelt. Franz Kapfer ruft sie in seiner Installati­on Maria Hülf hoch oben in der gläsernen Needle auf dem Dach der Blase trotzdem an. „Maria“blinkt es rot in den Nachthimme­l des ehemaligen Rotlichtvi­ertels von Graz. Bis 26. 8.

Newspapers in German

Newspapers from Austria