„Nicht zu wissen, was einen eigentlich erfüllt“
Die komplexe Persönlichkeit der Madame Bovary ist in Anna Bergmanns Josefstadt-Inszenierung auf fünf Spielerinnen verteilt. Ein Gespräch mit „Haupt-Emma“Maria Köstlinger über Frauenrollen damals und heute.
Standard: Vor Madame Bovary haben Sie bereits Ibsens Nora oder Hedda Gabler gespielt. Bei all diesen Frauen hat man den Eindruck, sie sind Opfer der Verhältnisse. Wie ist die Arbeit mit solchen Rollen? Köstlinger: Es ist wahnsinnig spannend, in eine andere Zeit einzutauchen. Eines haben sie natürlich alle gemeinsam, auch Henriette Stein, die ich in Der Engel mit der Posaune spiele: Sie haben bei weitem nicht die Möglichkeiten, die wir Frauen heute haben. Gerade Madame Bovary nicht, die vergeblich versucht, ihrem Landleben zu entfliehen. Als Ehebrecherin gebrandmarkt zu sein war ein enormes Risiko, da steckt auch viel Kraft und Emanzipatorisches in dieser Figur. Trotzdem gibt es diese starke Unzufriedenheit, eine Art von Depression, die sie fieberhaft suchen lässt, ohne je Erfüllung zu finden. Solche Frauenfiguren zu verstehen ist eine große Herausforderung.
Standard: Man möchte diesen Frauen zurufen: Mach dich doch nicht zum Opfer! Andererseits kann man solche Verhältnisse heute kaum noch nachempfinden. Köstlinger: Klar, sie gehen einem auf die Nerven. Interessanterweise reagieren besonders Männer ablehnend auf Protagonistinnen wie Madame Bovary oder Hedda Gabler. Die heutige Sichtweise ist so anders, es mangelt an Verständnis für diese Frauen. Ich kann mit diesen Figuren trotzdem viel anfangen. Es gibt eben nicht immer die pragmatische Lösung, wie der Standard schrieb, sich einfach einen Job zu suchen. Ja, schön wär’s! Es gibt viele, auch seelische Hindernisse. Emma hofft dann, ihr Glück in der Mutterschaft zu finden. Aber nicht für alle Frauen ist ein Kind die Erfüllung, auch für sie nicht. Ich kann nachvollziehen, dass man solche Frauen nervtötend findet. Als Schauspielerin aber muss ich meine Figur verteidigen. Und ich hoffe, dass es den einen oder anderen Moment gibt, in dem man sie verstehen kann, sich womöglich wiedererkennt.
Standard: Sie spielen die Waltraud von Steinberg in der ORF-Serie „Vorstadtweiber“. Ist es nicht erschreckend, dass sich die Themen dieser zeitgenössischen Serie im
Grunde kaum von einem Stoff wie „Madame Bovary“unterscheiden?
Köstlinger: Stimmt! Madame Bovary, die so wahnsinnig gern shoppen geht – und Waltraud von Steinberg, die einen reichen Mann geheiratet hat, der nur ihren Titel will. Nicht zu wissen, was einen eigentlich erfüllt, das ist auch in der Serie Thema. Natürlich hat sich viel verändert, Frauen haben mehr Möglichkeiten, können beides haben, Beruf und Kind. Aber ist das dann die Erfüllung oder nur überfordernd? Das kann heutzutage jede Frau mit sich selbst ausmachen, aber wie viel besser es jeder Einzelnen seelisch geht, das ist eine andere Frage. Ganz so frei, wie man gern glauben möchte, sind Frauen noch lange nicht.
Standard: Die Geschichten von Emma Bovary und den Vorstadtweibern werden von Männern erzählt, aber Frauen führen Regie. Macht das einen Unterschied?
Köstlinger: Immer. Vor allem am Theater gibt es die Möglichkeit, Geschichten neu zu interpretieren, bei einem Drehbuch ist das nur bedingt möglich. Mein Kollege Bernhard Schir zum Beispiel fand Anna Bergmanns Sichtweise auf Madame Bovary extrem krass und mutig. Einem Mann wäre eine solche Interpretation eines Frauenbildes womöglich vorgeworfen worden. Das beschäftigt mich seitdem: Löst die Tatsache, dass eine Frau von einer so schwierigen Persönlichkeit erzählt, andere Diskussionen aus?
Standard: Anna Bergmann will als Schauspielchefin in Karlsruhe ausschließlich mit Regisseurinnen arbeiten. Kann das ein Weg sein?
Köstlinger: Über ihr Anliegen weiß ich zu wenig, ich habe mit ihr nicht darüber gesprochen. Aber ich halte solche Pauschalentscheidungen für schwierig. Ich will mit fähigen Menschen arbeiten, nicht mit Menschen eines bestimmten Geschlechts. Es gibt auch Frauen, die Macht ausüben. Die Frage ist, wie viel hat das mit bestimmten Positionen zu tun – und nicht mit den Personen, die sie bekleiden.
Standard: „Madame Bovary“ist eine Literaturadaption. Ist die Arbeit anders als bei einem Dramentext?
Köstlinger: Es gibt nicht umsonst Autoren und Schriftsteller, die große Theaterstücke geschrieben haben. Ein Roman ist ein Roman. Es ist unendlich schwierig, das auf die Bühne zu bringen, man muss ja daraus Szenen schaffen. Die Probensituation ist eine ganz andere, man arbeitet ununterbrochen an diesen Texten, die Geschichte soll ja auch verstehen, wer den Roman nicht kennt. Das ist schon anstrengend. Aber: Madame Bovary ist eine großartige Figur. Ganz egal, ob ihnen dieser Abend gefällt oder nicht, die Leute im Publikum diskutieren darüber. Die einen sind extrem aufgebracht, die anderen finden es spannend. Es bringt die Leute ins Gespräch. Und das ist sowieso immer gut.