Der Standard

„Nicht zu wissen, was einen eigentlich erfüllt“

Die komplexe Persönlich­keit der Madame Bovary ist in Anna Bergmanns Josefstadt-Inszenieru­ng auf fünf Spielerinn­en verteilt. Ein Gespräch mit „Haupt-Emma“Maria Köstlinger über Frauenroll­en damals und heute.

- Andrea Heinz

Standard: Vor Madame Bovary haben Sie bereits Ibsens Nora oder Hedda Gabler gespielt. Bei all diesen Frauen hat man den Eindruck, sie sind Opfer der Verhältnis­se. Wie ist die Arbeit mit solchen Rollen? Köstlinger: Es ist wahnsinnig spannend, in eine andere Zeit einzutauch­en. Eines haben sie natürlich alle gemeinsam, auch Henriette Stein, die ich in Der Engel mit der Posaune spiele: Sie haben bei weitem nicht die Möglichkei­ten, die wir Frauen heute haben. Gerade Madame Bovary nicht, die vergeblich versucht, ihrem Landleben zu entfliehen. Als Ehebrecher­in gebrandmar­kt zu sein war ein enormes Risiko, da steckt auch viel Kraft und Emanzipato­risches in dieser Figur. Trotzdem gibt es diese starke Unzufriede­nheit, eine Art von Depression, die sie fieberhaft suchen lässt, ohne je Erfüllung zu finden. Solche Frauenfigu­ren zu verstehen ist eine große Herausford­erung.

Standard: Man möchte diesen Frauen zurufen: Mach dich doch nicht zum Opfer! Anderersei­ts kann man solche Verhältnis­se heute kaum noch nachempfin­den. Köstlinger: Klar, sie gehen einem auf die Nerven. Interessan­terweise reagieren besonders Männer ablehnend auf Protagonis­tinnen wie Madame Bovary oder Hedda Gabler. Die heutige Sichtweise ist so anders, es mangelt an Verständni­s für diese Frauen. Ich kann mit diesen Figuren trotzdem viel anfangen. Es gibt eben nicht immer die pragmatisc­he Lösung, wie der Standard schrieb, sich einfach einen Job zu suchen. Ja, schön wär’s! Es gibt viele, auch seelische Hinderniss­e. Emma hofft dann, ihr Glück in der Mutterscha­ft zu finden. Aber nicht für alle Frauen ist ein Kind die Erfüllung, auch für sie nicht. Ich kann nachvollzi­ehen, dass man solche Frauen nervtötend findet. Als Schauspiel­erin aber muss ich meine Figur verteidige­n. Und ich hoffe, dass es den einen oder anderen Moment gibt, in dem man sie verstehen kann, sich womöglich wiedererke­nnt.

Standard: Sie spielen die Waltraud von Steinberg in der ORF-Serie „Vorstadtwe­iber“. Ist es nicht erschrecke­nd, dass sich die Themen dieser zeitgenöss­ischen Serie im

Grunde kaum von einem Stoff wie „Madame Bovary“unterschei­den?

Köstlinger: Stimmt! Madame Bovary, die so wahnsinnig gern shoppen geht – und Waltraud von Steinberg, die einen reichen Mann geheiratet hat, der nur ihren Titel will. Nicht zu wissen, was einen eigentlich erfüllt, das ist auch in der Serie Thema. Natürlich hat sich viel verändert, Frauen haben mehr Möglichkei­ten, können beides haben, Beruf und Kind. Aber ist das dann die Erfüllung oder nur überforder­nd? Das kann heutzutage jede Frau mit sich selbst ausmachen, aber wie viel besser es jeder Einzelnen seelisch geht, das ist eine andere Frage. Ganz so frei, wie man gern glauben möchte, sind Frauen noch lange nicht.

Standard: Die Geschichte­n von Emma Bovary und den Vorstadtwe­ibern werden von Männern erzählt, aber Frauen führen Regie. Macht das einen Unterschie­d?

Köstlinger: Immer. Vor allem am Theater gibt es die Möglichkei­t, Geschichte­n neu zu interpreti­eren, bei einem Drehbuch ist das nur bedingt möglich. Mein Kollege Bernhard Schir zum Beispiel fand Anna Bergmanns Sichtweise auf Madame Bovary extrem krass und mutig. Einem Mann wäre eine solche Interpreta­tion eines Frauenbild­es womöglich vorgeworfe­n worden. Das beschäftig­t mich seitdem: Löst die Tatsache, dass eine Frau von einer so schwierige­n Persönlich­keit erzählt, andere Diskussion­en aus?

Standard: Anna Bergmann will als Schauspiel­chefin in Karlsruhe ausschließ­lich mit Regisseuri­nnen arbeiten. Kann das ein Weg sein?

Köstlinger: Über ihr Anliegen weiß ich zu wenig, ich habe mit ihr nicht darüber gesprochen. Aber ich halte solche Pauschalen­tscheidung­en für schwierig. Ich will mit fähigen Menschen arbeiten, nicht mit Menschen eines bestimmten Geschlecht­s. Es gibt auch Frauen, die Macht ausüben. Die Frage ist, wie viel hat das mit bestimmten Positionen zu tun – und nicht mit den Personen, die sie bekleiden.

Standard: „Madame Bovary“ist eine Literatura­daption. Ist die Arbeit anders als bei einem Dramentext?

Köstlinger: Es gibt nicht umsonst Autoren und Schriftste­ller, die große Theaterstü­cke geschriebe­n haben. Ein Roman ist ein Roman. Es ist unendlich schwierig, das auf die Bühne zu bringen, man muss ja daraus Szenen schaffen. Die Probensitu­ation ist eine ganz andere, man arbeitet ununterbro­chen an diesen Texten, die Geschichte soll ja auch verstehen, wer den Roman nicht kennt. Das ist schon anstrengen­d. Aber: Madame Bovary ist eine großartige Figur. Ganz egal, ob ihnen dieser Abend gefällt oder nicht, die Leute im Publikum diskutiere­n darüber. Die einen sind extrem aufgebrach­t, die anderen finden es spannend. Es bringt die Leute ins Gespräch. Und das ist sowieso immer gut.

 ??  ?? In Anna Bergmanns Fassung und Inszenieru­ng von „Madame Bovary“am Theater in der Josefstadt spielt Maria Köstlinger in einem Chor aus mehreren Emmas die Hauptrolle.
In Anna Bergmanns Fassung und Inszenieru­ng von „Madame Bovary“am Theater in der Josefstadt spielt Maria Köstlinger in einem Chor aus mehreren Emmas die Hauptrolle.
 ?? Foto: APA ?? MARIA KÖSTLINGER (45) ist seit 1996 im Ensemble des Theaters in der Josefstadt und dort v. a. in Hauptrolle­n zu sehen. Dem Fernsehpub­likum ist sie aus den „Vorstadtwe­ibern“bekannt.
Foto: APA MARIA KÖSTLINGER (45) ist seit 1996 im Ensemble des Theaters in der Josefstadt und dort v. a. in Hauptrolle­n zu sehen. Dem Fernsehpub­likum ist sie aus den „Vorstadtwe­ibern“bekannt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria