Das satte Leben der langen Prosa
Romandramatisierungen boomen: Eine ganze Welt literarischer Stoffe kann so für das Theater neu entdeckt werden
Wien – Auch die Kunst ist nur ein Markt, das ist bekannt. Und auch dieser Markt verlangt nach immer Neuem, Originellerem, noch nie da Gewesenem. Romandramatisierungen haben da natürlich einen unschätzbaren Wert: Sie steigern die Summe der möglichen Stoffe um ein Vielfaches. Wie leicht wird es da plötzlich, etwas ganz Einzigartiges, gar die nächste Welturaufführung zu präsentieren.
Natürlich sorgt das auch oft genug für Unmut, besonders bei Puristen. Muss das sein, in einem Land, das Wiener Volkstheater und Säulenheilige der modernen Dramatik wie Schwab, Bernhard, Jelinek hervorgebracht hat? Ist das wirklich nötig, in einer Sprache, in der die Stücke der Weimarer Klassik verfasst wurden?
Man muss, das ist immer heilsam, differenzieren. Zum einen liegt das Problem auch ein wenig in der Gegenwartsdramatik. Sinnliche und dabei ungemein heutige Texte wie jene von Ferdinand Schmalz, Ewald Palmetshofer, Thomas Köck oder Sasha Marianna Salzmann stehen allzu oft diskurslastigen, postdramatischen Stoffen gegenüber, die den Spielern wenig Figurenarbeit abverlangt, sondern sie zu bloßen Sprechern erklärt. Lebenssatter und bunter sind da Romanstoffe.
Was aber steht dabei im Vordergrund: das Theater? Oder doch die Sensation, der praktische Nutzen? Es gibt gute Gründe, Romane (wie auch Filme, Hörspiele etc.) auf die Bühne zu bringen. Das Theater kann schließlich etwas, das noch die großartigste Literatur nicht zustande bringt (und das die Dramatik, siehe oben, oft viel zu sehr vernachlässigt): Auf der Bühne agieren echte Menschen aus Fleisch und Blut.
Durchgangsstadium Kunst
Wer das zu schätzen weiß, der kann den Stoffen etwas hinzufügen, sie auf eine ganz andere Art erfahrbar machen. Denn, um es mit Walter Benjamin zu sagen, die „Kunst ist nur Durchgangsstadium der großen Werke“. Ihr wohnt, wenn man so will, ein Kern inne, eine Botschaft. Wer es schafft, diesen Kern eines Stückes Literatur zu erkennen und ihn mit den Mitteln des Theaters zu überbringen, der hat die Kunst eigentlich nur in einen anderen Aggre- gatzustand überführt. Denn auf der Bühne kann man etwas zeigen, buchstäblich.
Anna Bergmann will mit ihrer (gemeinsam mit Marcel Luxinger geschriebenen) Spielfassung der komplexen Persönlichkeit von Flauberts Madame Bovary Raum geben und verteilt sie auf fünf Emmas. Ein ähnlicher Zugriff, wie ihn Oliver Reese für seine Bühnenfassung von Thomas Bernhards Auslöschung (Josefstadt, 2016) gewählt hat: Vier Schauspieler teilten sich die Figur des FranzJosef Murau und machten so deren innere Widersprüche kenntlich. Oder Bernhards Alte Meister am Volkstheater: Durch die Dramatisierung von Dušan David Pařízek versteht man erst richtig, warum Bernhard sich diese Figuren erschrieben, warum Reger sich die- ses Alter Ego erschaffen musste – um ein Gegenüber zu haben, einen echten Menschen.
Es gibt Literaturadaptionen, die begnügen sich damit, die jeweilige Geschichte nachzuerzählen; sie sind im schlimmsten Falle nur dazu gut, dem Publikum das Lesen zu ersparen. Und dann gibt es jene, die machen ihre Vorlagen reicher, erhellen sie, füllen sie mit neuem Leben. Im besten Fall wird die Frage nach dem Stoff dann zu einer völlig belanglosen.