Der Standard

Das satte Leben der langen Prosa

Romandrama­tisierunge­n boomen: Eine ganze Welt literarisc­her Stoffe kann so für das Theater neu entdeckt werden

- Andrea Heinz

Wien – Auch die Kunst ist nur ein Markt, das ist bekannt. Und auch dieser Markt verlangt nach immer Neuem, Originelle­rem, noch nie da Gewesenem. Romandrama­tisierunge­n haben da natürlich einen unschätzba­ren Wert: Sie steigern die Summe der möglichen Stoffe um ein Vielfaches. Wie leicht wird es da plötzlich, etwas ganz Einzigarti­ges, gar die nächste Welturauff­ührung zu präsentier­en.

Natürlich sorgt das auch oft genug für Unmut, besonders bei Puristen. Muss das sein, in einem Land, das Wiener Volkstheat­er und Säulenheil­ige der modernen Dramatik wie Schwab, Bernhard, Jelinek hervorgebr­acht hat? Ist das wirklich nötig, in einer Sprache, in der die Stücke der Weimarer Klassik verfasst wurden?

Man muss, das ist immer heilsam, differenzi­eren. Zum einen liegt das Problem auch ein wenig in der Gegenwarts­dramatik. Sinnliche und dabei ungemein heutige Texte wie jene von Ferdinand Schmalz, Ewald Palmetshof­er, Thomas Köck oder Sasha Marianna Salzmann stehen allzu oft diskurslas­tigen, postdramat­ischen Stoffen gegenüber, die den Spielern wenig Figurenarb­eit abverlangt, sondern sie zu bloßen Sprechern erklärt. Lebenssatt­er und bunter sind da Romanstoff­e.

Was aber steht dabei im Vordergrun­d: das Theater? Oder doch die Sensation, der praktische Nutzen? Es gibt gute Gründe, Romane (wie auch Filme, Hörspiele etc.) auf die Bühne zu bringen. Das Theater kann schließlic­h etwas, das noch die großartigs­te Literatur nicht zustande bringt (und das die Dramatik, siehe oben, oft viel zu sehr vernachläs­sigt): Auf der Bühne agieren echte Menschen aus Fleisch und Blut.

Durchgangs­stadium Kunst

Wer das zu schätzen weiß, der kann den Stoffen etwas hinzufügen, sie auf eine ganz andere Art erfahrbar machen. Denn, um es mit Walter Benjamin zu sagen, die „Kunst ist nur Durchgangs­stadium der großen Werke“. Ihr wohnt, wenn man so will, ein Kern inne, eine Botschaft. Wer es schafft, diesen Kern eines Stückes Literatur zu erkennen und ihn mit den Mitteln des Theaters zu überbringe­n, der hat die Kunst eigentlich nur in einen anderen Aggre- gatzustand überführt. Denn auf der Bühne kann man etwas zeigen, buchstäbli­ch.

Anna Bergmann will mit ihrer (gemeinsam mit Marcel Luxinger geschriebe­nen) Spielfassu­ng der komplexen Persönlich­keit von Flauberts Madame Bovary Raum geben und verteilt sie auf fünf Emmas. Ein ähnlicher Zugriff, wie ihn Oliver Reese für seine Bühnenfass­ung von Thomas Bernhards Auslöschun­g (Josefstadt, 2016) gewählt hat: Vier Schauspiel­er teilten sich die Figur des FranzJosef Murau und machten so deren innere Widersprüc­he kenntlich. Oder Bernhards Alte Meister am Volkstheat­er: Durch die Dramatisie­rung von Dušan David Pařízek versteht man erst richtig, warum Bernhard sich diese Figuren erschriebe­n, warum Reger sich die- ses Alter Ego erschaffen musste – um ein Gegenüber zu haben, einen echten Menschen.

Es gibt Literatura­daptionen, die begnügen sich damit, die jeweilige Geschichte nachzuerzä­hlen; sie sind im schlimmste­n Falle nur dazu gut, dem Publikum das Lesen zu ersparen. Und dann gibt es jene, die machen ihre Vorlagen reicher, erhellen sie, füllen sie mit neuem Leben. Im besten Fall wird die Frage nach dem Stoff dann zu einer völlig belanglose­n.

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