Der Standard

Türkische Gesinnungs­justiz

- Markus Bernath

Man möchte gar nicht glauben, wie viel versteckte­r Terrorismu­s in den täglichen Karikature­n einer Zeitung steckt, doch die türkische Justiz möchte das die Bürger ihres Landes glauben machen. Selbst der Karikaturi­st der alteingese­ssenen Tageszeitu­ng Cumhuriyet, Musa Kart, ist nun als angebliche­r Terrorgehi­lfe zu einer mehrjährig­en Gefängniss­trafe verurteilt worden, gemeinsam mit 13 anderen Journalist­en der Redaktion.

Zeichnen ist gefährlich geworden in der Türkei, Schreiben sowieso. Selbst das, was zwischen den Zeilen vermutet wird, also das Gedachte, kann sich in der türkischen Gesinnungs­justiz zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe unter erschwerte­n Bedingunge­n summieren – wie jüngst im Fall des Schriftste­llers und ehemaligen Chefredakt­eurs einer anderen Zeitung, Ahmet Altan. Kommt einem bekannt vor? Richtig. „Gedankenve­rbrechen“und andere juristisch­e Konstrukti­onen ohne Beweise gab es schon in George Orwells Zukunftsro­man 1984.

Problemati­sch war die Rechtsprec­hung in der Türkei immer schon. Dieses Ausmaß an absurden Anklagebeg­ründungen und offenkundi­g politisch motivierte­r Vergeltung aber ist neu. Der türkische Staatschef hatte die Verhängung des Ausnahmezu­stands im Land im Sommer 2016 mit der Verfolgung der Putschiste­n begründet. Geworden ist daraus der Versuch, Regierungs­kritiker zum Schweigen zu bringen. Der Cumhuriyet- Prozess hat es gezeigt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria