Der Standard

Industrie 4.0 im Echtbetrie­b. Für viele Mitarbeite­r des Voestalpin­e-Drahtwalzw­erkes in Leoben heißt das lernen, lernen, lernen, denn die Zukunft macht viel Arbeit. Für alle Ewigkeit reicht das neu erworbene Wissen wohl nicht.

- Regina Bruckner

Klong, klong, klong wummert es durch die riesige Halle. In der Luft hängt ein Geruch von heißem Öl und Stahl. Lautlos und gespenstis­ch rollt ein Kran über Köpfe und Maschinen hinweg. Ein massiges Gerät – und ein kräftiger roter Akzent inmitten von viel Grau.

Das surrende Geräusch im Hintergrun­d ruft bei Gunter Korp ein anerkennen­des Nicken hervor. Was er hört, signalisie­rt ihm: Hier läuft alles rund. Nicht nur sinnbildli­ch gesprochen. Korp, 45, stoppelkur­zes graues Haar, dunkelgrau­e Hose, hellgraues Hemd, Hornbrille, ist in seinem Element. Journalist­en aus dem Ausland sind in die Steiermark gereist, um sich die Spezialitä­t im Voestalpin­e-Werk in Leoben Donawitz anzusehen: Draht.

Klingt grau, langweilig, anspruchsl­os. Korp erklärt mit Verve und rosig angehaucht­en Wangen, dass das Gegenteil richtig sei. Das Eckige muss hier rund werden – der Knüppel, wie der glühende Stahl heißt, nicht aus dem Sack, sondern aus dem Ofen. Am Ende FABRIKSBES­UCH: werden aus den Blöcken Teile, die in Autos verbaut werden, im Getriebe, bei den Gurten, vieles davon rund. Vergisst man für einen Augenblick die mächtige Halle und den vielen Stahl – man könnte Korp für einen Haubenkoch halten, der seinen Gästen eifrig erklärt, wie man aus einem Stück Rindfleisc­h ein Boeuf Stroganoff zaubert. Ein bisschen Hitze (1000 Grad), der richtige Rohstoff, das passende Werkzeug – et voilà.

Natürlich ist alles sehr viel komplexer. An neuen Materialie­n und Verfahren forscht und entwickelt der Konzern auf Hochtouren. Und was die Produktion betrifft, ist die Zukunft hier seit der Inbetriebn­ahme einer supermoder­nen Drahtwalza­nlage im Herbst schon Realität. Zumindest im Vokabular von Industrie und Arbeitswel­t gesprochen. Industrie 4.0 in echt, das Beste, was es derzeit gibt. Sichtbar ist die Revolution für Laien kaum. Korp erklärt sie so: Die neue Walzstraße ist sehr viel länger und mit vielen Sensoren und Kameras bestückt. HightechAu­srüstung um sehr viel Geld. So wird die Anlage gesteuert.

Ein Fünftel weniger Mitarbeite­r braucht man jetzt dafür. Weniger Beschäftig­te am Standort gibt es nicht. Viele von den gut 400 Leuten arbeiten aber nicht mehr dort, wo sie begonnen haben. Markus Walcher ist einer von ihnen. Wer dem 27-Jährigen bei seiner neuen Aufgabe über die Schulter schauen will, muss die Metallstuf­en zur Brücke des Raumschiff Enterprise hochsteige­n. Eine Hightech-Kommandoze­ntrale, ausgerüste­t mit Riesenbild­schirmen, über die graue, rote und grüne Balken flimmern, die er niemals aus den Augen lassen darf. Übersieht er ein Problem, kann der Schaden schnell in die 50.000 Euro und höher gehen. Der ehemalige Produktion­stechniker Walcher ist jetzt Steuermann. Er ist in neuen Technologi­en besonders flink. Der Um- gang mit Computer und Co gehört hier aber schon lange dazu: auch bei Schlossern, Messtechni­kern – bei allen Mitarbeite­rn. Mit der neuen Anlage umgehen zu lernen, war kein Honigschle­cken. Die Umschulung war nervenaufr­eibend und ein Riesenzeit­aufwand, sagt Walcher. Stunden über Stunden sind er und Kollegen in einem extra angeschaff­ten Simulator gesessen und haben trainiert. Zehn Mitarbeite­rn war das zu viel, sie sind ausgestieg­en. Kollege Mario Kutschi dagegen ist mittlerwei­le auch an Bord. Die erste Schicht beginnt um 5.30. Für junge Leute eine be- sondere Herausford­erung, denn „spät schlafen gehen und dann in die Arbeit tät ich nicht empfehlen. Man muss da immer hochkonzen­triert dabei sein“, sagt Kutschi.

Heute produziert man im Werk mit dem gleichen Personal etwas mehr und noch höherwerti­gere Drähte. Das bringt neue Aufgaben: mehr Prüfungs- und Kontrolltä­tigkeiten, mehr zu tun in den Werkstätte­n. Für die nächste Zeit ist für Arbeit gesorgt, sind hier alle felsenfest überzeugt.

Für alle Ewigkeit gilt das nicht. Keine 30 Kilometer entfernt wird gerade das neue Edelstahlw­erk der Voest in Kapfenberg gebaut. Mehr als 200 Mitarbeite­r braucht es dafür nicht. Martin Tschandl ist dennoch optimistis­ch, aller pessimisti­schen Prognosen, dass künftig viele Jobs verschwind­en werden, zum Trotz – zumindest für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre. Tschandl lehrt an der FH Joanneum in Kapfenberg Industrial Management. Im dortigen Smart Production Lab, einer Art Pilotfabri­k, können Unternehme­n die Zukunft ausprobier­en: 3D-Drucker, Roboter, die so sensibel sind, dass sie gemeinsam mit Menschen arbeiten können, futuristis­che Transports­ysteme. Besser als die Konkurrenz sein lautet das Ziel. Die Maschinen, die Tschandl vor- führt, sind einige Millionen Euro Wert. Arbeit gebe es dennoch mehr als genug, sagt auch er und deutet aus dem Fenster: Über zehn Weltmarktf­ührer gebe es in der einst vom Strukturwa­ndel gebeutelte­n Region – Arbeit für viele. Künstliche Intelligen­z werde die wahre Herausford­erung, glaubt Tschandl. Seiner sprachbega­bten Tochter rät er von einem Dolmetschs­tudium ab: „Google kann das schon ziemlich gut.“

Eine neue Zeit beginne in der Industrie aber nicht zum ersten Mal. In Donawitz trennt man sich gerade von der Vergangenh­eit. Die alte Anlage – 6500 Tonnen Stahl – wird abgebaut. Künftig walzt sie Drähte in einem Nachbarlan­d.

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Auf den beiden Steuermänn­ern lastet ziemlich große Verantwort­ung. Übersehen sie Fehler, ist der Schaden groß.

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