Der Standard

Tasse Kaffee für Europa

Mit dem Vorschlag für den neuen EU-Budgetrahm­en bis zum Jahr 2027 eröffnet die EU-Kommission die Schlacht um Subvention­en und Beiträge.

- Thomas Mayer

Das gemeinsame Europa kostet jeden Bürger so viel wie eine Tasse Kaffee pro Tag.“Mit diesem Vergleich versucht Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker bei Reden zur Lage der Union, in denen es um das große Ganze geht, im Inneren wie global, gute Stimmung zu machen für die absolute Sinnhaftig­keit der EU.

Für den Einzelnen mag es einen Unterschie­d machen, ob der Espresso schon mal vier Euro kostet wie in Paris oder nur 50 Cent wie im flachen Land in Bulgarien. Aber dass Probleme wie Klimaschut­z, Kontrolle der EU-Außengrenz­en, Handelsstr­eit mit den USA, die Bewältigun­g der illegalen Migration oder die Förderung armer Regionen die Kapazität der einzelnen EU-Staaten übersteigt, wird kaum jemand bestreiten. Das gilt besonders für die vielen kleine Staaten.

Die gute Frage ist, was das alles kostet und ob das Geld tatsächlic­h für sinnvolle Dinge verwendet wird. Vor allem: Wer zahlt wie viel von der gemeinsame­n Rechnung? Wer bekommt dafür was? Und warum?

Der für Budget und Personal verantwort­liche EU-Kommissar Günther Oettinger hat darauf eine klare Antwort. Was die EU leiste, sei nicht nur den Gegenwert einer Tasse Kaffee pro Tag wert. Die EU-Bürger könnten auch ruhig noch ein paar Cent drauflegen, damit die Gemeinscha­ft die Herausford­erungen der Zukunft bewältigen könne. Sicherheit und Migration werde dabei im kommenden Jahrzehnt eine Priorität sein, Forschung und Entwicklun­g (derzeit 13 Prozent im Budget) sollen stärker gefördert werden, ebenso der Klassiker Erasmus-Stipendien für Studierend­e, vermehrt auch für Lehrlinge, die ins EU-Ausland gehen.

Die Mittel für die gemeinsame EU-Agrarpolit­ik (GAP) sollen zurückgefa­hren werden (derzeit 39 Prozent im Haushalt), ebenso die Ausgaben für Projekte in einkommens­schwachen Regionen (34 Prozent), insbesonde­re in den relativ „jungen“EU-Ländern in Mittel- und Osteuropa. Das wird die Kernbotsch­aft sein, wenn Oettinger am Mittwoch in Brüssel seinen Vorschlag für den mehrjährig­en Finanzrahm­en der EU vorstellt.

Seit 1992 erstellt die Kommission solche Pläne, die einen Zeitraum von sieben Jahren abdecken. Damit soll Planungssi­cherheit geschaffen, aber auch die Finanzieru­ng sichergest­ellt werden. Denn anders als die Nationalst­aaten verfügt die EU kaum über eigene Einnahmen. Sie darf auch keine Schulden machen.

Das EU-Budget (das jährlich vom Rat und vom EU-Parlament im Detail extra beschlosse­n wird) speist sich fast ganz aus Beiträgen der derzeit noch 28 Mitgliedsl­änder. Der aktuelle Finanzrahm­en gilt bis Ende 2020, wurde 2013 beschlosse­n. Schon damals gab es auf Druck des britischen Premiermin­isters David Cameron die Vorgabe eisernen Sparens. Die Staaten gestanden der EU nur knapp ein Prozent der gesamten Wertschöpf­ung aller EUStaaten zu (absolut: 1087 Milliarden Euro) – nicht viel, wenn man das mit nationalen Steuer- und Abgabenquo­ten jenseits von 40 Prozent vergleicht.

Dementspre­chend laut ist die Klage des EU-Budgetkomm­issars seit Monaten. Aber: Weil Großbritan­nien am 29. März 2019 aus der Union austreten und als großer Nettozahle­r für den künftigen Budgetrahm­en von 2021 bis 2027 ausfallen wird, gestaltet sich die Sache diesmal als schwierige­r.

Oettinger muss netto zehn bis 14 Milliarden „Britengeld“kompensier­en. Er will daher vorschlage­n, dass dies etwa zur Hälfte durch Einsparung­en, zur anderen Hälfte durch Einnahmen geschieht. Und er möchte den einen oder anderen Espresso mehr, wie der Standard erfuhr, um auf ein Limit von 1,1 Prozent plus des BIP zu erhöhen.

Das wird selbst aus Sicht jener großen Q Nettozahle­r, die grundsätzl­ich bereit sind, wegen des Brexits höhere Beiträge zu akzeptiere­n, nicht leicht. Frankreich und Deutschlan­d sind die Beschleuni­ger, wenn es für mehr Geld auch mehr Integratio­n und Vorteile gibt, Stichwort Festigung der Eurozone. In Berlin rechnet man mit Mehrkosten von zehn Mrd. Euro (pro Jahr), um das derzeitige Budgetnive­au zu halten. Paris ist bereit, mehr zu zahlen, wenn das Thema Sicherheit und Verteidigu­ng gestärkt wird.

Die Bremser: Dagegen steht aber eine gröQ ßere Gruppe der kleinen und mittleren Nettozahle­rländer mit Schweden, Dänemark, Finnland, Belgien, mit Österreich und den Niederland­en an der Spitze. Die Premiers Mark Rutte und Sebastian Kurz fordern Sparbudget­s, wollen nicht mehr einzahlen.

Subvention­sverteidig­er: Die meisten OstQ europäer halten da frontal entgegen, drohen mit Blockade beim Finanzrahm­en, der einstimmig beschlosse­n werden muss. Ihr Trumpf: Ohne Beschluss wird der „alte“Rahmen fortgesetz­t. Dann gäbe es keine Berücksich­tigung einer üppigeren Finanzieru­ng „neuer Politiken“– besondere Förderung jener Staaten, die Flüchtling­e aufnehmen ebenso wie zusätzlich­es EU-Geld zur Schaffung von Beschäftig­ung. Neu wären auch Kürzungen bei Subvention­en, wenn ein Staat (wie Polen oder Ungarn) das Rechtsstaa­tlichkeits­prinzip der Union verletzt. Auch das wollte Oettinger den 28 Mitglieder­n vorschlage­n, samt Kürzungen in den Kohäsionsf­onds.

Die Beifahrer: Das wäre ganz nach dem GeQ schmack der südlichen Länder wie Spanien, Italien oder Griechenla­nd. Sie könnten ab 2021 wieder mehr Geld aus Brüssel holen, wie vor der Erweiterun­g 2004/07.

Bereits unter österreich­ischem EU-Vorsitz ab Juli 2018 sollen die Verhandlun­gen beginnen. Optimisten hoffen auf Abschluss vor den EU-Wahlen im Frühjahr 2019, nach einem Brexit-Deal. Heftiger Streit ist vorprogram­miert. Zeit bliebe maximal bis Mitte 2020. In jedem Fall wird bis zur Einigung noch viel Wasser über die Donau und durch Europas Kaffeemasc­hinen rinnen.

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