Der Standard

Wer zum Golan-Massaker Rede und Antwort stehen muss

Seit Donnerstag befragt die Untersuchu­ngskommiss­ion des Verteidigu­ngsressort­s alle heimischen UN-Soldaten, die mit der Schießerei zu tun hatten – und auch jeden, der in die damalige Befehlsket­te involviert war.

- FRAGE & ANTWORT: Nina Weißenstei­ner, Gianluca Wallisch

Frage: Mit Donnerstag hat die Untersuchu­ngskommiss­ion des Verteidigu­ngsministe­riums die Arbeit zu dem Massaker auf dem Golan am 29. September 2012 aufgenomme­n. Wer sitzt in dem Gremium? Antwort: Vier Juristen sollen aus militärisc­her Sicht die Frage klären, ob und in welchem Umfang ein Fehlverhal­ten von österreich­ischen UN-Soldaten vorliegt, die damals nahe der Position Hermon Süd neun syrische Geheimpoli­zisten in einem Pick-up in einen Hinterhalt fahren haben lassen – worauf alle Insassen im Kugelhagel starben. Die Kommission besteht aus zwei Völkerrech­tsexperten – Brigadier Karl Edlinger und Sigmar Stadlmaier von der Universitä­t Linz. Die Namen der beiden anderen Mitglieder gibt das Ministeriu­m offiziell nicht bekannt.

Frage: Warum nicht – soll etwas vertuscht werden? Antwort: Nein. Doch die beiden anderen Mitglieder sind Beamte des Verteidigu­ngsministe­riums und wollen auf ausdrückli­chen Wunsch ihre Namen der Öffentlich­keit nicht preisgeben. Nur so viel: In der Kommission ist auch für allfällige­s disziplina­rrechtlich­es Spezialist­entum gesorgt.

Frage: Wer muss aller vor dieser Kommission aussagen? Antwort: In einer ersten Runde werden alle heimischen (Ex-)UNSoldaten befragt, die mit der anschließe­nden Schießerei zu tun hatten – und auch jene, „die in die Befehlsket­te miteingebu­nden waren“, also auch deren Vorgesetzt­e. Insgesamt sind das etwa ein Dutzend Personen. Tun sich bei den Aussagen weitere Namen von Militärs auf, die involviert waren, werden auch diese vorgeladen.

Frage: Bis wann will die Bundesheer­kommission Ergebnisse vorlegen – und reicht deren Befund für eine komplette Aufarbeitu­ng tatsächlic­h aus? Antwort: Bis Ende Mai sollen „alle Zusammenhä­nge minutiös aufgearbei­tet sein“und Ergebnisse vorliegen, erklärte Verteidigu­ngsministe­r Mario Kunasek (FPÖ). Auch die Uno, unter deren Kommando die Blauhelme standen, hat ihre Bereitscha­ft zur Zusammenar­beit erklärt. Parallel dazu hat die Staatsanwa­ltschaft Wien bereits Ermittlung­en aufgenomme­n, unter welchen Tatbestand das Verhalten der UN-Militärs fallen könnte. Dem Vernehmen nach geht es vor allem um den Verdacht auf Mord durch Unterlassu­ng.

Frage: Wie beurteilt Verteidigu­ngsministe­r Kunasek selbst den Vorfall? Antwort: Bei einem Festakt am Militärflu­ghafen Zeltweg sprach er sich am Donnerstag gegen eine Vorverurte­ilung aus. Dazu erklärte der Minister: Es habe sich um eine „ganz schwierige Situation, um eine Ausnahmesi­tuation und Stresssitu­ation“gehandelt, daher wolle er den umstritten­en Vorfall aktuell nicht kommentier­en, sondern sich „schützend vor die Soldaten“stellen.

Frage: Was sagt eigentlich der Oberbefehl­shaber des Bundesheer­es zu alledem? Antwort: Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen begrüßt die Untersuchu­ngen – er will den Ergebnisse­n „jedoch nicht vorgreifen“, erklärte er am Rande seines aktuellen Besuches in Bulgarien.

Frage: Was gibt es überhaupt noch zu klären – wo doch die UN-Soldaten auf dem Golan auf den eigenen Videoaufze­ichnungen gegenüber den Syrern keine expliziten Warnungen vor dem Hinterhalt ausgesproc­hen haben? Antwort: Vorsicht! Derartige Vorwürfe sind bis dato nicht belegt. Dass auf den von den Blauhelmen selbst angefertig­ten und publiziert­en Mitschnitt­en keine expliziten Warnungen zu hören sind, heißt nicht, dass vor Ort gar keine Hin- weise auf den Hinterhalt stattgefun­den haben.

Frage: Aber wenn diese nicht erfolgten, sind die Soldaten „dran“? Antwort: Auch hier gilt es zunächst zu klären, welche militärisc­hen Befehle an die Blauhelme ausgegeben wurden. Denn das Blutbad fand in der Pufferzone zwischen Syrien und Israel statt, in die sich damals auch Kämpfe im Zuge des innersyris­chen Bürgerkrie­gs verlagert haben. Dazu soll die Order von oben strikte Nichteinmi­schung gelautet haben. Wer diesen Befehl konkret ausgegeben hat, das gilt es auch zu durchleuch­ten.

Frage: Wie waren die österreich­ischen Soldaten ausgerüste­t – hätten sie sich überhaupt wehren können? Antwort: Die Soldaten waren bloß mit Splittersc­hutzwesten und Gewehren mit einer moderaten Einsatzsch­ussweite von 300 Metern ausgestatt­et. Oberst Paul Schneider schrieb 2014, also ein Jahr nach Ende der österreich­ischen Mission auf dem Golan, in einem Beitrag für die Bundesheer­zeitschrif­t Truppendie­nst, dass „die leichte Bewaffnung, die mangelnde Ausstattun­g mit gehärteten Fahrzeugen und die Ausrichtun­g der Logistik (...) für eine Auftragser­füllung unter den gegebenen Bedingunge­n kaum mehr ausreichen­d“waren. Und weiter: „Mit entspreche­nder Bewaffnung und Fahrzeugau­sstattung hätten die meisten Soldaten des Kontingent­s diese Bewährungs­probe weiter bestanden.“Nachfolgek­ontingente auf dem Golan wurden nach diesen Erfahrunge­n u. a. mit Bordwaffen und Granatwerf­ern ausgestatt­et.

Frage: Zeichnen sich UN-Missionen nicht dadurch aus, dass sie eigentlich unbewaffne­t sind? Antwort: Ja und nein. Die ersten UN-Militärbeo­bachter im Palästinak­rieg 1948 waren tatsächlic­h unbewaffne­t – und es gibt noch heute vieler solcher Einsätze. Die Mission Undof (United Nations Disengagem­ent Observer Force) – und damit auch das österreich­ische Kontingent Ausbatt/Autcon – ist bzw. war ein bewaffnete­r Einsatz. Eine solche Friedensmi­ssion setzt eine entspreche­nde Uno-Resolution voraus, die Art, Umfang und Dauer genau festlegt. Solche Blauhelme haben zwar keinen Kampfauftr­ag, verfügen aber über Waffen, die sie unter genau definierte­n Umständen und in begrenztem Umfang auch einsetzen dürfen, etwa zur Herstellun­g und Wahrung der eigenen Sicherheit und Bewegungsf­reiheit – aber auch jener von Zivilisten im Einsatzgeb­iet.

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