Der Standard

Elga gehört den Bürgern: Lasst sie mitreden!

Die Intention der elektronis­chen Gesundheit­sakte kann sehr wohl neu definiert werden, Vorteile im Sinne der Forschungs­entwicklun­g wären da. Das enthebt die Politik aber noch nicht ihrer Verpflicht­ung, die Bürger davon zu überzeugen.

- Anna Durnová Helmut Hönigmayer Johannes Starkbaum

Daten sind ein wertvolles und heikles Gut. Im Gesundheit­sbereich können sie zur Heilung von Krankheite­n, aber auch zur Diskrimini­erung von Gesellscha­ftsgruppen führen. Deshalb bedarf Datenerheb­ung der Sensibilit­ät und einer offenen gesellscha­ftlichen Reflexion. Eine solche Debatte fehlt bisher in der von der Regierung nun durchgeset­zten Weitergabe von Gesundheit­sdaten für Forschungs­zwecke. Das neue Gesetz soll unter anderem Personen aus der Wissenscha­ft Zugriff auf die staatliche­n Datenbanke­n und somit auf die pseudonymi­sierten Daten von österreich­ischen Bürgerinne­n und Bürgern ermögliche­n. Diese Daten beinhalten auch jene der elektronis­chen Gesundheit­sakte (Elga).

Das zuletzt vom Nationalra­t verabschie­dete Datenschut­zanpassung­sgesetz überrascht, denn es geht gegen die ursprüngli­che Intention von Elga. Erstens, bei der Einführung von Elga 2011 wurde mehrmals versichert, dass „die Patienten immer selbst entscheide­n können, wer welche Daten sehen darf“, so Susanne Herbek, ehemalige Geschäftsf­ührerin der Elga GmbH. Der österreich­ischen Öffentlich­keit ist noch die heftige Diskussion in Erinnerung: Dabei spielten die Selbstbest­immungsrec­hte der Patientinn­en und Patienten eine zentrale Rolle. Durch die neue Vorlage der Bundesregi­erung könnte dieses Verspreche­n jedoch schnell aufgehoben werden.

Verspreche­n gebrochen

Zweitens galt das zentrale Anliegen der Elga GmbH der „Unterstütz­ung der medizinisc­hen Behandlung durch einen besseren Informatio­nsfluss“. Mit dem neuen Gesetz soll jedoch diese Datenbank als Forschungs­register erweitert werden und so nicht mehr direkt ausschließ­lich die Betreuung von Patientinn­en und Patienten unterstütz­en, sondern über die Forschung zu allgemeine­n Fortschrit­ten im Gesundheit­sbereich beitragen.

Für SPÖ-Gesundheit­ssprecheri­n Pamela Rendi-Wagner werden damit Verspreche­n gebrochen, und Harald Mayer, Vizepräsid­ent der Ärztekamme­r, empfiehlt aufgrund dieser Änderungen einen Ausstieg aus Elga. Diese Reaktio- nen waren durchaus absehbar, spiegeln sie doch die Emotionen der damaligen Debatte wider. Ungeachtet der Proteste gegen die Einführung von Elga, wurde diese weitgehend als staatliche­s Infrastruk­turprojekt mit stabilen Strukturen gesehen. Doch diese Infrastruk­tur hat sich verändert, aus diesem Grund ist eine offene Diskussion überfällig.

Breit diskutiere­n

Die Intention von Elga kann sehr wohl neu definiert werden, die Vorteile der Gesellscha­ft im Sinne der Forschungs­entwicklun­g wären da, wie in den vergangene­n Tagen berechtigt­erweise argumentie­rt wurde, unter anderem von Martin Kocher. Welche diese Vorteile jedoch genau sind, wer von einer möglichen Öffnung profitiert und welche möglichen negativen Auswirkung­en es dabei zu bedenken gilt, muss durch eine breite öffentlich­e Diskussion mit den wichtigste­n Akteuren dieser Veränderun­g geklärt werden. Und das sind die Bürgerinne­n und Bürger.

Die Nutzung und Weitergabe von persönlich­en Daten wird derzeit intensiv in Bezug auf Facebook und Cambridge Analytica diskutiert. Die dabei aufgeworfe­ne Frage, inwieweit Daten weiterverw­endet werden können, wenn es für diese Verwendung­szwecke keine eindeutige Zustimmung gibt, betrifft auch Elga. Die neue Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO) stärkt zwar die Zustimmung­srechte der Bürgerinne­n und Bürger in Bezug auf Datenverwe­ndung, zugleich ermöglicht sie aber Ausnahmen von diesen strengen Regeln für Forschungs­zwecke (u. a. Artikel 89). Ein klares Einverstän­dnis von Bürgerinne­n und Bürgern zu einer Verwendung von Daten für die Forschung muss jedoch vorhanden sein. Diese Praxis hat sich im Bereich der medizinisc­hen Forschung europaweit als Standard etabliert.

Vermehrt Austritte

Seit Beginn der Debatte wurden wieder vermehrt Austritte aus Elga gemeldet. Dass eine derart grundlegen­de Änderung der Nutzungsmö­glichkeite­n persönlich­er Gesundheit­sdaten ohne öffentlich­e Diskussion und Konsens vorangetri­eben wird, wirkt in der Tat für viele gefährlich. Nicht nur, dass die Gesellscha­ft ein Anrecht auf eine solche Diskussion hat, sie ist dafür bereit und fordert diese, wie die Reaktionen der letzten Tage zeigen, auch ein. Die seit zwei Jahrzehnte­n europaweit betriebene Forschung zu Gesundheit­sdaten gibt eine klare Anweisung für diese Diskussion: Unterschie­dliche Bevölkerun­gsgruppen wurden befragt und zu Diskussion­srunden eingeladen, partizipat­ive Diskussion­sformate wurden getestet. Die Öffentlich­keit will wissen, für wen diese Daten erhoben werden, wie sie aufgehoben werden, und wer auf sie Zugriff hat.

Zeit für Neues

Dass sich Datenerheb­ung, Speicherun­g und Nutzung weiterentw­ickeln, und mit ihr auch deren Erkennungs­mechanisme­n, ist der Öffentlich­keit klar. Gerade deshalb sollen die Bürgerinne­n und Bürger über Prinzipien, wie sie als Datenträge­r diese sich verändernd­e Diskussion mitgestalt­en können, sprechen.

Es ist Zeit.

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Anmelden oder abmelden? Seit wieder vermehrt über die elektronis­che Gesundheit­sakte (Elga) diskutiert wird, häufen sich die Austritte aus dem System.

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