Kunasek weitet Untersuchung der Golan-Affäre aus
Video soll zu Schulungszwecken gezeigt worden sein, Ex-Minister Klug wusste nichts
– Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) erweiterte am Freitag den Auftrag der militärischen Untersuchungskommission, die prüfen soll, ob österreichische UN-Soldaten auf dem Golan neun syrische Geheimpolizisten ohne explizite Warnung in einen tödlichen Hinterhalt fahren haben lassen.
Denn die Affäre hat eine neue Wendung genommen: Die umstrittene Videoaufzeichnung heimischer UN-Blauhelme rund um die Schießerei im September 2012 soll Soldaten im Frühjahr 2013 in Götzendorf zur Einsatzvorbereitung gezeigt worden sein. Die Kleine Zeitung zitierte dazu einen Ex-Militär, der nicht namentlich genannt werden will: „Das Video wurde jedem Soldaten des letzten Kontingents im Schulungsraum auf einem Laptop gezeigt und danach gemeinsam heftig debattiert.“Nun soll von der Kommis- sion auch geklärt werden, wer alles von der möglichen Vorführung des Golan-Videos zur UN-Einsatzvorbereitung gewusst hat – und „warum das nicht gemeldet“wurde, wie man im Verteidigungsressort erklärt.
Kunasek selbst erwartet sich „lückenlose“Aufklärung. Laut Generalstabschef Othmar Commenda handelte es sich bei dem Golan-Video „um kein offizielles Ausbildungsvideo des Verteidigungsministeriums“.
Ex-Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ), in dessen Amtszeit die allfällige Vorführung gefallen sein soll, erklärt im STANDARD- Interview, dass er von solchen Vorgängen nichts gewusst habe: Er habe „davon erst jetzt aus den Medien“erfahren. Was den von ihm erwirkten Abzug der UN-Truppe vom Golan betrifft, betont Klug: „Die Lage auf dem Golan ist nach wie vor unbeherrschbar.“
STANDARD: Als Verteidigungsminister gingen Sie als jener Mann in die Geschichte ein, der Österreichs UN-Truppe nach knapp vier Jahrzehnten von den Golanhöhen abziehen ließ. Angesichts der nun publik gewordenen Videoaufzeichnungen von heimischen Blauhelmen rund um das Massaker im September 2012: Fühlen Sie sich im Nachhinein bestätigt? Klug: Man braucht doch nur den Fernseher aufzudrehen – und schon sieht man seit Jahren täglich neue Bilder aus dem syrischen Bürgerkrieg. Daher bin ich der Meinung, dass auch die Lage am Golan nach wie vor unbeherrschbar ist.
STANDARD: Der Vorfall, bei dem österreichische UN-Soldaten neun syrische Geheimpolizisten in einen tödlichen Hinterhalt haben fahren lassen, ereignete sich in der Amtszeit Ihres Vorgängers Norbert Darabos (SPÖ). Danach soll aber das Video der Soldaten zur Einsatzvorbereitung vorgezeigt worden sein – haben Sie davon gewusst? Klug: Nein. Auch davon habe ich erst jetzt aus den Medien erfahren.
STANDARD: Acht Monate nach der Schießerei haben Sie die UN-Truppe wegen ständiger innersyrischer Gefechte in der Pufferzone zwischen Syrien und Israel nach Hause beordert. Warum informierten Sie damals nicht eindrücklicher, was sich dort alles abspielt? Klug: Aus sicherheitsrelevanten Überlegungen wollten wir den Ball flachhalten – um angesichts der Lage unsere UN-Soldaten vor Ort nicht zusätzlich zu gefährden. Natürlich brachte mir die zurückhaltende Kommunikation keinerlei Vorteile.
STANDARD: Gab es in der rot-schwarzen Koalition Dissonanzen, ob man abziehen oder bleiben soll? Klug: Zu keinem Zeitpunkt hat es darüber eine Streiterei gegeben – im Gegenteil. Die Regierungsspitze unter Kanzler Werner Faymann (SPÖ) sowie Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) war in der Frage eng abgestimmt – und als Ressortminister habe ich in Absprache mit dem Generalstab den Vorschlag vorgelegt, der lautete: „Ich empfehle den geordneten Abzug.“Das war und ist aus meiner Sicht bis heute die einzig richtige Entscheidung.
STANDARD: Haben Sie sich davor bei den Vereinten Nationen noch nachdrücklich um ein stärkeres UN-Mandat und bessere Ausrüstung für die Blauhelme bemüht? Klug: Selbstverständlich haben wir da alle Kanäle des Verteidigungsministeriums in Richtung Uno genutzt, genauso wie das Außenministerium. Doch für ein robusteres Mandat hätten die fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat zustimmen müssen – plus Israel und Syrien!
STANDARD: Also die USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien. Klug: Genau. Doch das muss man auch einmal zu Ende denken. Wichtig wäre auf alle Fälle eine robustere Ausrüstung für unsere Soldaten gewesen. Außerdem frage ich mich: Ist die Uno bei Bürgerkriegsgefechten tatsächlich der richtige Adressat?
STANDARD: Auf dem Balkan helfen bis heute UN-Truppen mit, dass vormalige Bürgerkriegsparteien nicht mehr aneinandergeraten. Klug: Die Missionen auf dem Balkan möchte ich auch gar nicht hinterfragen, denn das ist keinesfalls mit der Entwicklung im Nahen Osten und auch nicht mit dem Verhältnis zwischen Syrien und Israel vergleichbar.
STANDARD: Ein Hinweisgeber hat erzählt, dass auf dem Golan sogar die Versorgung von Verwundeten problembehaftet war – weil jede Hilfe für Rebellen, aber auch für syrische Soldaten als Einmischung gewertet werden konnte, sodass die UN-Truppe erneut unter Beschuss geraten konnte. Können Sie das bestätigen? Klug: In dieser Form war mir das nicht bekannt. Ich kann nur sagen: Das Mandat war der absoluten Neutralität unterworfen – was unterm Strich leichtes Peacekeeping bedeutet, also beobachten und melden. Und ich sage noch einmal: Mit dem Bürgerkrieg war dem Mandat, das sich ausschließlich auf die Überwachung des Waffenstillstandes zwischen Syrien und Israel konzentrieren sollte, die Grundlage entzogen.
STANDARD: Hätte schon Darabos die UN-Soldaten heimholen sollen? Klug: Er hat zu Recht alles unternommen, um diese Mission aufrechterhalten zu können.
STANDARD: Ihnen wurde vorgeworfen, just vor der Nationalratswahl auf den Abzug zu drängen. Klug: Für derartige Plattitüden habe ich keinerlei Verständnis. Wenn ich auf Basis der Lageberichte nicht diese Entscheidung getroffen hätte und es wäre dann ein österreichischer UN-Soldat im Sarg am Flughafen Wien-Schwechat abzuholen gewesen, dann frage ich: Welche Verantwortlichkeit hätte man da wohl vom Verteidigungsminister eingefordert? Deswegen haben wir davor ja sogar noch gepanzerte Fahrzeuge geliefert, die dann Schwierigkeiten gehabt haben, in die Pufferzone vorzudringen.
STANDARD: Wie hätten Sie am 29. September 2012 auf der UNPosition Hermon Süd gehandelt, bevor es zu dem Blutbad kam? Klug: Dazu sage ich Ihnen ganz direkt: Diese Arroganz, vom Schreibtisch aus darauf jetzt eine eindeutige Antwort zu geben, besitze ich nicht! Bildlich ziehe ich jedenfalls den Hut vor allen Soldaten, die sich für Auslandsmissionen melden. Denn alle wissen zum Zeitpunkt der Kontingentverabschiedung, dass sie sich auf gefährliche Einsätze begeben. Da kann man nur dreimal „Danke!“sagen.
GERALD KLUG (49) war von März 2013 bis Jänner 2016 Verteidigungsminister in der rot-schwarzen Koalition. Der Jurist ist nun Prokurist bei der Graz-Köflacher Bahn und der Busbetrieb GmbH.